„Wir brauchen Mitarbeitende, die unpopuläre Meinungen vertreten.“
QUER GEFRAGT – 11 Fragen an den Vorstandsvorsitzenden der Otto Group Alexander Birken.
Welche Auswirkungen von New Work bekommt die Otto Group zu spüren? Brauchen wir in Zeiten von New Work mehr oder weniger Führung? Wie wichtig sind Querdenker? Und welche Rolle spielt die Unternehmenskultur? Diese und weitere Fragen haben wir Alexander Birken, seit dem 01. Januar 2017 Vorstandsvorsitzender der Otto Group, gefragt:
Herr Birken, wie wirkt sich New Work aktuell auf die Otto Group aus? Welche Veränderungen gibt es im „Daily Business“ und welche Auswirkungen haben diese auf die Unternehmenskultur?
In einer digitalen Welt brauchen wir eine neue Geisteshaltung und eine neue Kultur, um erfolgreich zu sein. Wir müssen unsere bisherigen Geschäftsprozesse und alte Muster im Denken und Handeln hinterfragen, um relevant zu bleiben. Das ist uns bei der Otto Group sehr früh bewusst geworden, weshalb wir vor über zwei Jahren einen Kulturwandel 4.0 top-down und zugleich bottom-up initiiert haben, den wohl größten Change-Prozess in unserer Unternehmenshistorie. Einfach gesagt geht es darum, Hierarchien und Führung neu zu definieren, Entscheidungswege zu verkürzen und jeder Kollegin und jedem Kollegen mehr Verantwortung zu übertragen. Das ermöglicht uns, schnell Entscheidungen zu treffen und agil auf Neues zu reagieren.
Wir wollen uns über alle Firmen- und Hierarchiegrenzen öffnen, Lust auf Neues wecken, in Kolleginnen und Kollegen eine Quelle der Inspiration sehen und übergreifend gemeinsam Lösungen erarbeiten. Das passiert zum Beispiel konkret in unseren so genannten Workstreams, in denen Kolleginnen und Kollegen aller Führungsebenen und aus ganz verschiedenen Unternehmen gemeinsam mit einzelnen Vorständen neue Ideen für ganz bestimmte Themenfelder entwickeln. Ich selbst bin beispielsweise im Workstream „Collaboration and Synergies“ aktiv. Darüber hinaus entstehen in der gesamten Otto Group ganz viele spannende Initiativen, oft aus dem Kreis der Mitarbeiter selbst. Ein Beispiel ist die Taskforce „Future Work“, die sich sehr gezielt mit der Frage auseinander setzt, wie sich Arbeitsweisen, -orte und –methoden im Zuge der Digitalisierung ändern müssen.
Mein persönlicher Eindruck ist, dass sich die Unternehmenskultur bei uns spürbar verbessert und mit dem Kulturwandel 4.0 ein ganz neuer Spirit Einzug gehalten hat. Aber wir befinden uns erst auf dem Anfang eines Weges, der nicht enden wird.
Was zeichnet Ihrer Meinung nach „Digital Leadership“ aus?
Grundsätzlich geht es dabei für mich um eine neue Offenheit, um bessere Vernetzung und um Partizipation – auch bei Entscheidungen. Bestenfalls führt all‘ das nicht nur zu einer größeren Zufriedenheit der Kolleginnen und Kollegen, sondern auch dazu, dass wir als Otto Group schneller, agiler und flexibler werden. Hierzu müssen tradierte Führungsbilder massiv entwickelt werden. Führungskräfte im digitalen Zeitalter sind viel stärker Enabler, Coach und Raum-Schaffende. Digital Leadership heißt für mich aber auch, die Möglichkeiten der Digitalisierung so einzusetzen, dass wir den Wünschen unserer Kunden noch besser gerecht werden, sehr zielgerichtet auf die Anforderungen des Marktes reagieren und damit auch langfristig im Wettbewerb bestehen können. Technologie ist nicht wichtig, aber das, was die Menschen daraus machen.
Brauchen wir im Zeitalter von New Work mehr oder weniger Führung?
Weder noch. Wir brauchen vielmehr ein neues Verständnis von Führung. Es geht nicht darum, die Kolleginnen und Kollegen zu kontrollieren, sondern ihnen auf Augenhöhe zu begegnen und sie zu befähigen. Es geht darum, zu unterstützen und Freiräume zu schaffen, um Innovationen zu erkennen, Chancen und Risiken abzuwägen und Entscheidungen eigenständig zu treffen. Nur so können neue Ideen schnell ausprobiert und umgesetzt werden. Und ja, auch Fehler bringen uns weiter, wenn sie nicht zwei Mal gemacht werden.
Welche Bedeutung haben Werte für den Unternehmenserfolg?
Zunächst einmal ist nachhaltiges, werteorientiertes Wirtschaften ja seit mehr als dreißig Jahren ein Grundprinzip der Otto Group und strategisch fest in der Unternehmensführung verankert. Das verdanken wir vor allem dem großen Engagement von Dr. Michael Otto. Dazu gehört, dass Gerechtigkeit, Chancengleichheit und ein faires Miteinander auch die Unternehmenskultur und den Umgang mit allen unseren Stakeholdern prägen. Kurz gesagt: Wir glauben schon immer an die Bedeutung bestimmter Werte und halten diese hoch.
Wir wollen unser werteorientiertes Handeln jedenfalls nicht an der Garderobe der Digitalisierung und Globalisierung abgegeben.
Für die Zukunft steht die Frage im Raum, wie Werte auch in der digitalen Transformation bewahrt werden können oder verändert werden müssen. Wir wollen unser werteorientiertes Handeln jedenfalls nicht an der Garderobe der Digitalisierung und Globalisierung abgegeben. Dass dieser Weg der richtige ist, belegen jüngste Studien: Verbraucher wenden sich in immer größerer Zahl von eben jenen Unternehmen ab, die keine oder die aus Sicht der Konsumenten falschen Werte vertreten. Das kann im schlimmsten Fall zum Boykott des jeweiligen Unternehmens führen. Gleichzeitig sinkt das Vertrauen der Bevölkerung nicht nur in die Politik und NGOs, sondern eben auch in die Wirtschaft und deren Verantwortliche. Deshalb müssen Unternehmen aus meiner Sicht sehr deutlich machen, für welche Werte sie einstehen, wie etwa Daten geschützt und genutzt werden, wie Verantwortung gegenüber der Umwelt, aber auch gegenüber Kolleginnen und Kollegen gelebt wird. Das Ziel der Wirtschaft und des Handels muss es sein, als transparent und verantwortungsbewusst wahrgenommen zu werden – und damit als vertrauenswürdig.
Wie verändert sich die Kommunikation in der Digitalisierung nach extern und wie innerhalb eines Unternehmens?
Zum einen erfährt Kommunikation eine enorme Aufwertung. Kommunikation nach innen und außen wird zum entscheidenden Instrument von Change und Führung. Zum anderen sind wir mitten in einem Paradigmenwechsel. Ging es früher um das Senden wohlfeiler One-Voice-Policies, geht es im Zeitalter von Social Media um die Gestaltung eines Dialogs auf Augenhöhe. Zwischen Führungskräften und Mitarbeitern, zwischen Kolleginnen und Kollegen und zwischen ihnen und der Öffentlichkeit. Wobei die Grenzen zwischen innen und außen zunehmend verschwimmen. Deshalb müssen insbesondere Führungskräfte den Dialog nach innen und außen neu erlernen.
Konkret: Gemäß unseres Leitbilds ,Gemeinsam Maßstäbe setzen‘ sollen sich die Kolleginnen und Kollegen stärker kommunikativ und frei äußern, viel stärker in Entscheidungsprozesse einbezogen werden, Ideen anderer aufgreifen, Kritik annehmen und zusammen an der bestmöglichen Lösung arbeiten. Dafür brauche ich nicht nur gut informierte Kolleginnen und Kollegen, sondern vor allem auch mündige. Um diesen Austausch zu fördern, haben wir neue Kommunikationsformate der Führung und neue Austauschplattformen wie eine App namens ,OG2GO‘ erdacht, entwickelt und an den Start gebracht. ,OG2GO‘ ermöglicht nicht nur den Upload aller denkbaren Kommunikationsformate – ob nun Text, Video oder Audio -, sondern fördert ganz bewusst den Austausch miteinander, und das über den gesamten Konzern hinweg.
Welche technologische Entwicklung ist für Sie im Moment am spannendsten?
Künstliche Intelligenz. Die Entwicklung in diesem Bereich verläuft rasend schnell und niemand ist bisher in der Lage, alle Implikationen – ob nun positive oder negative – vorauszusehen. Allein in unserem Bereich, dem Handel, hat KI schon jetzt Auswirkungen in Bereichen wie Business Intelligence, Kundenkommunikation, Logistik, Conversational Commerce, der Ausgestaltung von Jobprofilen, um nur einige zu nennen. Globaler betrachtet werden die gesellschaftlichen Umwälzungen enorm sein.
Ich persönlich glaube daran, dass die positiven Auswirkungen, die mit der Weiterentwicklung künstlicher Intelligenz einhergehen, die negativen weit überwiegen werden, gleichzeitig sehe ich aber natürlich auch die großen Herausforderungen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt. Damit müssen wir uns alle auseinandersetzen und bestenfalls gemeinsame, auch ethisch-moralische Regelungen für einen gewissenhaften Umgang mit dem Thema KI finden – und zwar nicht erst morgen, sondern heute.
Viele Diskussionen fordern heute, dass der Mensch im Zeitalter der Digitalisierung mehr in den Mittelpunkt gestellt werden muss. Sehen Sie das auch so, und wenn ja, was bedeutet das konkret für die Otto Group?
Ja, diese Meinung teile ich. Allerdings steht der Mensch bei uns seit jeher im Mittelpunkt unserer Betrachtungen. Schon unser Gründer Werner Otto hat gesagt, dass die Wirtschaft dem Menschen dienen müsse – und nicht umgekehrt. Hinzu kommt eine ganz praktische Erwägung: Eine Maschine kann nicht strategisch denken, kann keine zukünftigen Unternehmensziele formulieren. Und wenn es um Kreativität geht, sind Maschinen dem Menschen unterlegen. Wir brauchen Maschinen für die Optimierung von Prozessen, von sich wiederholenden Abläufen. Aber der Mensch wird auch weiterhin die Strategie bestimmen und neue Ideen entwickeln.
Was bedeutet „Querdenken“ für Sie und wie wichtig finden Sie es?
Enorm wichtig. Wir brauchen viel mehr Querdenker – gerade in diesen Zeiten des extrem schnellen Wandels. Wir brauchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die eine andere Sicht auf Dinge haben, kreative Ideen entwickeln, unpopuläre Meinungen vertreten. Wir brauchen diese Vielfalt, um dauerhaft innovativ zu bleiben und damit am Markt bestehen zu können. Genau das fördern wir übrigens mit dem Kulturwandel 4.0.
Wie quer denkt Alexander Birken selbst? Was würde Ihr Umfeld sagen?
Da müssen Sie die Kolleginnen und Kollegen fragen. Aber so viel: Dem gesamten Vorstand und mir wird zugesprochen, dass wir uns massiv verändert haben und dass wir das leben, was wir sagen.
Was ist aktuell Ihre größte Herausforderung?
Wir sind mit der Otto Group gerade auf einem guten Weg. Wir merken, dass das, was wir nicht zuletzt mit dem Kulturwandel 4.0 gestartet haben, erfolgreich ist. Wir spüren alle, dass wir einen ganz neuen Spirit im Unternehmen haben. Unsere größte Herausforderung ist es sicherlich, gemeinsam dafür zu sorgen, diesen Spirit beizubehalten. Dann ergibt sich alles andere fast von selbst.
Eine Entscheidung, die Sie nie bereuen werden…
Das ist einfach: die Entscheidung für meine Frau und unsere gemeinsame Entscheidung, vier Kinder in die Welt zu setzen.
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