Haltung? Echt!
Der nachstehende Blogbeitrag erscheint im Rahmen unserer Blogserie zum Camp Q 2019:
Bestimmt haben Sie noch die Bilder vom World Economic Forum 2019 vor Augen: Ein Mädchen aus Schweden steht unbeeindruckt von der in Davos versammelten Wirtschaftselite der Welt vor den Kameras. Ganz ruhig und selbstbewusst gibt sie zu Protokoll: „I want you to act as you would in a crisis. I want you to act as if our house is on fire. Because it is!“
Mittlerweile folgen Tausende von Schülern auf der ganzen Welt Greta Thunbergs Beispiel, die soeben für den Friedensnobelpreis nominiert wurde. Jeden Freitag demonstrieren sie unter dem Motto #fridaysforfuture für eine globale Klimaschutzpolitik, die diesen Namen wirklich verdient. Sie erwarten, dass die Sorgen und Interessen ihrer Generation endlich wahrgenommen werden.
„Die Haltung eines Menschen zeigt sich dort, wo sie sich bewähren muss“, stellt das Hohe Luft Magazin fest. „Ob jemand wirklich eine Haltung hat, erkennt man daran, dass er sie auch gegen Widerstände beibehält.“ Greta Thunberg vertritt eine klare Haltung. Sie findet deutliche Worte für ihre Überzeugung, dass sofort wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel ergriffen werden müssen. Und sie knickt trotz ihrer Jugend auch bei hartem Gegenwind nicht ein.
Für viele Menschen, darunter auch mich, ist Greta Thunberg durch ihr leidenschaftliches und mutiges Eintreten für einen nachhaltigen Umweltschutz zum Vorbild geworden. Eine Frage stelle ich mir als Kommunikatorin schon länger: Lassen sich Beispiele wie das von Greta auf das Verhalten von Unternehmen übertragen? Oder gehen dort das Geldverdienen und der PR-Effekt (Stichwort „kalkulierter Shitstorm“) am Ende immer vor?
Hype um Haltung in der Kommunikation
Dass sich die Wirtschaft und damit auch die Kommunikationsbranche verstärkt mit dem Thema auseinandersetzt, ist nicht zu übersehen. Immer mehr Unternehmen trauten sich in den vergangenen Monaten aus der Deckung und nahmen Stellung zu aktuellen Ereignissen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Die Chefs von Otto, Siemens oder Nomos zeigten im Netz klare Kante gegen Rechts, Edeka machte Werbung für Vielfalt, die Investmentgesellschaft Deka kritisierte die RWE für ihr Beharren auf dem Kohleabbau. Ein besonders anschauliches Beispiel lieferte das Unternehmen Gerken im Herbst 2018. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten um den Hambacher Forst, der einem Tagebau weichen soll, zog der Hebebühnenhersteller seine Geräte aus dem Wald ab.
Alles Aktionen, die mehr Sichtbarkeit, mehr Reichweite und mehr Debatte ermöglichen. Dennoch hat so mancher PRler offenbar schon wieder die Nase voll von der ganzen Sache. „Glückliche Eisbären oder die gleiche Bezahlung von Frau und Mann sind nicht für jeden eine Herzensangelegenheit“, hielt das PR Journal kürzlich leicht süffisant fest.
Für Klicks und Reichweite ist jedes Mittel recht?
Mag sein. Doch so schnell werden sich die Diskussionen über Haltung in der Kommunikation nicht zu den Akten legen lassen – wenn überhaupt. Laut einer Studie von JP Kom und Civey fordert immerhin jeder Dritte in Deutschland eine politische Haltung von Unternehmen in der Öffentlichkeit. Vor allem Deutsche im Alter von 18 bis 49 Jahren (im Schnitt 34 Prozent) erwarten dies. Der Global Communications Report 2018 berichtet, dass der Faktor Ethik in der PR nach Ansicht von knapp der Hälfte der Befragten in den nächsten fünf Jahren an Bedeutung zunehmen wird.
Leider können selbst Trends, die eigentlich begrüßenswert sind, heute unglaublich schnell zur Masche mutieren. Greenwashing und Whitewashing hat es trotz bekannter Übereinkünfte und Kodizes zwar schon immer gegeben. Doch die Gier nach viraler Sichtbarkeit im Netz kann diese unlautere und letztlich imageschädigende Form der Unternehmenskommunikation auf die Spitze treiben.
Beispiel Gillette: Der vieldiskutierte neue Spot des Herstellers surft eindeutig auf dem #metoo Ticket. Die Botschaft: Männer, hört endlich auf, euch wie Mistkerle zu benehmen! Aber nicht nur ich habe mich gefragt, ob der damit einhergehende Shitstorm eingepreist war, um mehr Reichweite zu erzeugen. Zwar haben die Werber bewiesen, dass sie ihr digitales Handwerk perfekt beherrschen. Doch lässt sich die Marke mit diesem Coup nachhaltig neu aufladen?
Gelebte Unternehmenskultur als Basis
Vielleicht müssen wir das Feld viel weiter aufmachen, wenn wir über Haltung in der Kommunikation diskutieren. Ein Social CEO, der via Twitter rechte Hetze anprangert, kann es allein nicht rausreißen. Ein Unternehmen, das dieses Thema wirklich glaubhaft und langfristig anpacken will, muss bereit sein, seine eigene Kultur zu hinterfragen und zu verändern.
Bei einem solchen Change stellen sich viele Fragen: Wie nachhaltig wirtschaften wir eigentlich? Was müssen wir innen wie außen verändern, um glaubwürdiger zu werden? Wie wollen wir im Unternehmen zusammenarbeiten? Wie stellen wir Diversität und Chancengleichheit sicher? Auf welche Weise befähigen wir die Mitarbeiter, unsere Werte als Markenbotschafter nach außen zu vertreten?
Fragen, die weit über die Kommunikationsabteilung hinausgehen. „Im Kontext von Markenführung ist Haltung eine anspruchsvolle strategische Aufgabe – in jedem Fall ungeeignet für Patentrezepte zum Zwecke günstiger PR oder trendbewusster Markenstärkung“, schrieb Elvira Steppacher dazu im Rahmen meiner Blogparade „Kommunikation mit Haltung“.
Erfolgsbeispiele wie das von Sina Trinkwalder gegründete Unternehmen „Manomama“ zeigen, was möglich ist und wie es geht. Bei Manomama wird Kleidung nachhaltig gefertigt, von Menschen, die auf dem normalen Arbeitsmarkt keine Chance hätten.
Die GLS Bank aus Bochum wurde schon 1974 als genossenschaftlich geführte Ökobank gegründet.
Auch bekannte Unternehmer wie Götz Werner machen vor, was Haltung konkret bedeutet. Der Gründer der Drogeriekette dm setzt sich schon seit vielen Jahren für das bedingungslose Grundeinkommen ein.
Eine Haltung lässt sich nicht faken
Diese und viele andere Beispiele zeigen, dass Unternehmen von einer positiven Vision, neudeutsch auch „Purpose“ genannt, langfristig profitieren können. Die Menschen erwarten zunehmend auch von Marken Klarheit und Orientierung darüber, wofür sie stehen. Sie wollen ein gutes Gefühl und Vertrauen haben, wenn sie ein Produkt kaufen oder eine Dienstleistung in Anspruch nehmen.
„Was sollen Unternehmen also machen?“, fragt Philip Bolognesi von Basic Thinking. „Sympathisch sein. Auf Augenhöhe kommunizieren. Sich für die Bedürfnisse und Herausforderungen der anderen interessieren. Mensch sein, und kein anonymes Unternehmen ohne Gesichter.“ Dafür sind Social Media oder Blogs wie gemacht – vorausgesetzt die Haltung und die Bereitschaft zum Dialog sind wirklich erkennbar.
Fazit: Unternehmen können sich nicht mehr so leicht aus dem gesellschaftlichen Kontext herausdividieren. Sie haben oft erheblichen Einfluss darauf, wie die Welt von morgen aussieht und tragen deshalb eine große Verantwortung. Doch eine Haltung lässt sich nicht faken. Es erfordert Mut und Weitsicht, um sie zu entwickeln und zu vertreten. Es braucht die Bereitschaft, sich zu ändern. Vorbilder wie Greta Thunberg könnten dabei den Weg weisen.
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