Es ist anstrengend, gegen Vorurteile anzukämpfen, die auf dem Erscheinungsbild beruhen
Im aktuellen Jubiläumsjahr „10 Jahre Executive Trainings: Women and Cultural Change“ haben wir verschiedenen Menschen 10 Fragen gestellt. Unter anderem interessiert uns, ob Frauen und Männer die gleichen Chancen haben, wenn es um entscheidende Karriereentwicklungen geht. Nach neuesten Untersuchungen liegt der Anteil von Frauen im Vorstand deutscher Unternehmen nach wie vor bei unter 10 Prozent. Wir möchten einen Beitrag zu mehr Chancengleichheit leisten.
10 Fragen an Sandra Navidi
Frau Navidi, welche Frau hat Sie besonders geprägt?
Mich haben zwei Frauen besonders geprägt: meine Großmutter und meine Mutter. Beide haben mir früh ihre Werte von Bildung, harter Arbeit und Disziplin vermittelt.
Haben Sie jemals Ihre berufliche Rolle in Frage gestellt?
Natürlich, insbesondere in den Anfängen. Wenn man ständig von anderen in Frage gestellt wird, tut man selbst das reflexartig auch. In “$uper-hubs“ schildere ich, wie Anwesende bei Meetings und Veranstaltungen häufig davon ausgegangen sind, dass ich die Assistentin von jemandem sein muss. Oft bin ich gefragt worden, mit wem ich denn dort sei, oder wer mein Mann sei. Wenn ich eröffnet habe, dass ich Rechtsanwältin in Deutschland und den USA bin, wurde ich ungläubig angeschaut oder es wurde ein doofer Scherz gemacht. Manchmal ist es ein Vorteil unterschätzt zu werden, aber in der Regel ist es eher anstrengend, ständig gegen Vorurteile anzukämpfen, die banal auf dem Erscheinungsbild beruhen. In den letzten Jahren hat sich dies allerdings gebessert, weil ich mittlerweile älter und etablierter bin.
Was glauben Sie, weshalb es noch immer mehr Männer als Frauen in deutschen Vorständen gibt?
Weil Frauen nicht in Netzwerke und Machtkanäle eingebunden sind wie die Männer des “Old Boys’ Club“. Das liegt daran, dass die männlichen Super-hubs, die die Netzwerke kontrollieren, sich am liebsten mit anderen Männern umgeben, die so sind wie sie. Mit ihnen können sie sich am besten identifizieren und fühlen sich am wohlsten. Je höher die Führungsebene, desto kleiner und homogener werden die Gruppierungen. Diese Homogenität ist das Ergebnis von sich-selbst perpetuierender Rückkopplungsschleifen. Ein Team, das überwiegend aus männlichen Führungskräften besteht, hat wenig Anreize, sich für Frauen einzusetzen. Der Ausschluss von Netzwerken ist ein deutlicher struktureller Nachteil für Frauen, da dort die wertvollsten Beziehungen geknüpft, Sozialkapital aufgebaut und Verhandlungsmacht gebildet werden. Frauenzentrische Netzwerke haben per se begrenzten Erfolg, da es zu wenige Frauen an der Spitze gibt, um »nach oben« zu networken, und Netzwerken unter Gleichgestellten in seiner Reichweite begrenzt ist.
Finden Sie, dass Frauen und Männer die gleichen Chancen haben, wenn es um anspruchsvolle Karrieresprünge geht?
Nein, das zeigen Statistiken und Studien deutlich. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen liegt es an weiterhin bestehenden, wenn auch unbewussten, Vorurteilen. Die durchschnittliche Führungskraft ist groß, weiß und männlich. Eine solche Tatsache wird dann zunächst zum Stereotyp und dann zur Norm.
So gehen dann die meisten Leute davon aus, dass gute Führungskräfte männlich sind, während erfolgreiche Frauen häufig zunächst auf Skepsis und Unbehagen stoßen. Die Tendenz ist, Männern automatisch „Führungsqualitäten wie Gravitas“ zuzuschreiben, während Frauen eher in Assistenzrollen gesehen werden.
Ein Experiment hat dies anschaulich bestätigt. Testgruppen bestehend aus Männern und Frauen wurden aufgefordert, eine “Führungskraft” zu zeichnen. Sowohl Männer als auch Frauen, zeichneten fast ausschließlich Männer.
Auch wenn es unzeitgemäß erscheint, gehen viele männliche Führungskräfte immer noch davon aus, dass Frauen physisch schwächer und weniger belastbar sind. Kürzlich sagte der CEO von Qatar Airways, Akbar Al Baker, auf der Jahreskonferenz der International Air Transport Association im Hinblick auf seinen Nachfolger, dass die Airline natürlich von einem Mann geführt werden müsse, weil es eine sehr herausfordernde Position sei.
Auch wird Frauen unterstellt, dass sich bei Familiengründung ihre Prioritäten verlagerten und sie ihre Motivation und ihr Engagement verlören. So sagte der legendäre Hedgefonds-Manager Paul Tudor Jones, dass Frauen nach einem Kind oder einer Scheidung nicht konkurrieren könnten: „Sie werden nie so viele großartige weibliche Investoren oder Trader sehen wie männliche. Sobald Frauen mit dem Stillen begönnen, könne man sie vergessen.“
Diese unterschwelligen Vorurteile werden sowohl von Männern als auch Frauen gehegt. Die Abwesenheit von Frauen wird beispielsweise automatisch negativer beurteilt als die ihrer männlichen Kollegen. Die vorherrschende Annahme ist, dass Frauen sich um die Kinder kümmern müssten, während bei Männern davon ausgegangen wird, dass sie Kundentermine oder andere arbeitsbedingte Termine wahrnähmen. Die herrschende Annahme ist immer noch, dass Frauen eher mit haushaltsbezogenen Aufgaben befasst sind. Das führt dazu, dass sie für viele Jobs gar nicht erst in Betracht gezogen und weniger oft befördert werden als ihre männlichen Kollegen.
Brauchen wir mehr Frauen in Führungspositionen?
Absolut. Die Nutzung von lediglich der Hälfte des kollektiven Humankapitals hat negative Auswirkungen auf die Produktivität, die zunehmende Ungleichheit und die Widerstandsfähigkeit des Wirtschaftssystems.
Die Forschung hat gezeigt, dass größere Vielfalt bessere Ergebnisse zur Folge hat. Die Einbeziehung der Fähigkeiten, Expertise und Erfahrungen von Frauen führt zu einer ganzheitlicheren, langfristigeren Perspektive, ausgeglicheneren Risikostreuung und einer höheren Kapitalrendite.
Glauben Sie, dass es möglich ist, der Familie und der Karriere gleichzeitig gerecht zu werden?
Gerade in Führungspositionen ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufgrund der langen Arbeitszeiten, der mangelnden Kontrolle über die Zeiteinteilung und des hohen Reiseaufwands eine Herausforderung.
Die Chief Operating Officer von Facebook, Sheryl Sandberg, hat die Vereinbarkeit von Familie und Karriere in ihrem Bestseller “Lean in“ propagiert, ihre Haltung allerdings nach dem Tod ihres Mannes wesentlich relativiert. Anne-Marie Slaughter von der Princeton University und Indra Nooyi, CEO von Pepsi, sind der Ansicht, dass Frauen zwar „so tun könnten, als ob sie alles hätten“, aber dass es ohne entsprechende Hilfe nahezu unmöglich sei, Beruf und Familie in Einklang zu bringen.
Denken Sie, es ist für Männer einfacher Familie und Beruf zu vereinbaren?
Nachweislich tragen Frauen immer noch den größten Anteil der Hausarbeit und sind mit logistischen Herausforderungen, insbesondere aufgrund unzureichender Kinderbetreuung, konfrontiert. Darüber hinaus wird Männern auch einfach eher zugetraut, dass sie die beiden Aspekte vereinbaren könnten.
Haben Sie jemals bewusst auf einen Karriereschritt verzichtet?
Nein, ich war Risiken eher aufgeschlossen. So bin ich vor fast zwei Jahrzehnten auf eigene Faust für ein Jobangebot in die USA übergesiedelt, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt schon in Deutschland etabliert war und in den USA noch einmal von vorne anfangen musste. Auch danach bin ich weiter intellektuell neugierig geblieben, habe neue Herausforderungen gesucht und versucht, mich weiterzuentwickeln.
Ist Ihrer Ansicht nach die Digitalisierung eine Chance für Frauen?
Zunächst einmal schmälert die Digitalisierung die Chancen der Frauen. Ihre Jobs sind tendenziell die ersten, die der Digitalisierung zum Opfer fallen und die eben geschilderten bereits bestehenden Vorurteile werden verstärkt, da Algorithmen von Menschen programmiert werden, die unabsichtlich ihre eigenen Vorurteile perpetuieren. Die gute Nachricht ist, dass Fähigkeiten, die gemeinhin eher Frauen zugeschrieben werden, wie Soft Skills, beispielsweise emotionale Intelligenz, im Maschinenzeitalter ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sein werden.
Finden Sie, dass Unternehmen Frauen besser fördern sollten?
Ja, denn obwohl die Einbeziehung von Frauen nachweislich bessere Geschäftsergebnisse erzielt, werden sie immer noch ausgegrenzt.
Die Förderung fängt bei den Einstellungspraktiken an. Zur Eindämmung von Vorurteilen, wären standardisierte Einstellungskriterien und objektives Qualifikationsdesign hilfreich, denn die meisten Executives stellen, nach “cultural fit” ein, das heißt, sie wählen Bewerber aus, die ihnen ähnlich sind. Wenn einmal Frauen an der Spitze einbezogen sind, stellen diese nachweislich mehr Frauen ein.
Darüber hinaus sollten Unternehmen ein obligatorisches Anti-Bias-Training anbieten.
Familienfreundliche Maßnahmen wie Kinderbetreuung und flexiblere Arbeitszeiten verbessern Inklusion erheblich. Diese sollten so weit wie möglich institutionalisiert werden, da Frauen immer noch davor zurückschrecken, diese in Anspruch zu nehmen, da sie negative Folgen fürchten.
Auch Mentorenprogramme könnten hilfreich sein, obwohl Mentoring eigentlich gerade aufgrund seiner informellen Natur effektiv ist. Da allerdings die MeToo-Bewegung unter anderem zur Folge hat, dass männliche Führungskräfte zunehmend davor zurückschrecken, Frauen zu fördern, könnten formalisierte Verfahren hilfreich sein.
Boards sollten CEOs bei ihren Bemühungen unterstützen, Frauen einzustellen, sie zu fördern und an die Spitze zu bringen.
Auch Investoren, wie institutionelle Anleger, Aktionäre und Aktivisten können einen wichtigen Beitrag leisten, insbesondere wenn sie im Einklang handeln. Beispielsweise könnten Diversifikations-Anforderungen in ihre Anlagerichtlinien aufnehmen. Dies macht nicht nur geschäftlich Sinn, sondern ist auch in Zeiten eines gesteigerten öffentlichen Bewusstseins ein effektives Marketinginstrument.
Zusatz: Und was ich unbedingt noch sagen möchte:
Das größte Problem ist das Fortbestehen unbewusster Vorurteile, kultureller Stereotypen und erlernter Verhaltensweisen, die sich über Jahrhunderte hinweg festgesetzt haben. Frauen sind immer noch mit veralteten sozialen Werten und Normen konfrontiert, die noch aus dem vorindustriellen Zeitalter stammten, als körperliche Stärke ausschlaggebend war. Heute sind die meisten dieser Normen veraltet, aber Vorurteile bestehen weiter fort. Der Kampf gegen diese Vorteile, die wir alle – Männer und Frauen verinnerlicht haben, ist keiner, der gewonnen werden kann, sondern der fortwährend weitergekämpft werden muss.
Frau Navidis Antworten basieren zum Teil auf Inhalten ihres Buches „Super-hubs: Wie die Finanzelite und ihre Netzwerke die Welt regieren“.
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