Familienunternehmen

Familienunternehmen – unterschätzt für Arbeit 4.0?

Familienunternehmen sind bekanntlich das Rückgrat unseres wirtschaftlichen Systems. Mehr als 90 % aller Unternehmen sind Familienunternehmen. Sie sind für etwa die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich und stellen die Hälfte der Arbeitsplätze in der freien Wirtschaft. In der „alten Zeit“ des 20. Jahrhunderts schätzten Mitarbeiter diese Unternehmensform sehr. Oft blieben sie ihr Leben lang im Familienunternehmen beschäftigt und häufig stiegen selbst die Kinder der Mitarbeiter zur Ausbildung und weiteren Arbeit ins Familienunternehmen ein.

Doch wie ist das heute? Und wie wird das in Zukunft sein? Als Professorin komme ich häufig mit jungen Leuten ins Gespräch: in Vorlesungen und Vorträgen, in Mentoring-Programmen und auf den verschiedensten Konferenzen und Veranstaltungen. Häufig stelle ich dort die Frage: Wo wollt ihr später mal arbeiten? Die Antworten sind meist dieselben: entweder im Großkonzern oder bei einer Beratung. Andere bevorzugen die Start-up Welt in Berlin oder München. Die Worte „Familienunternehmen“ und „Mittelstand“ fallen selten als Antwort. Und das ist nicht nur meine eigene, subjektive Erfahrung. Auch von anderen Forschern durchgeführte großzahlige Befragungen haben gezeigt, dass für Studierende Familienunternehmen eher als unattraktive Arbeitgeber erscheinen.

Aber warum ist das so? Warum hat sich das Bild von Familienunternehmen als Arbeitgeber scheinbar in den letzten Jahren und Jahrzehnten so stark geändert? Das hängt sicherlich damit zusammen, dass Familienunternehmen in der allgemeinen Wahrnehmung für traditionelle Werte und Eigenschaften stehen, die früher mehr als heute wertgeschätzt wurden. Dazu zählen beispielsweise Loyalität, Stabilität und Jobsicherheit am Arbeitsplatz. In Zeiten von Fachkräftemangel und Mobilität der Arbeitnehmer verloren diese Punkte für viele Arbeitnehmer vor allem der neuen Generation an Bedeutung. Auch das Klischee des alten Patriarchen an der Unternehmensspitze wirkt heute für viele jüngere Arbeitnehmer abschreckend. Zudem bringen oft ländlich geprägte Unternehmensstandorte fernab der großen Ballungsgebiete Doppelverdiener-Paare in ein echtes Ort-Zeit-Dilemma.

Bedeutet das nun, dass Familienunternehmen in Zukunft noch mehr an Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt verlieren werden? Nicht notwendigerweise. Nicht, wenn Familienunternehmer es schaffen, den Wandel in der Arbeitswelt richtig einzuschätzen und für sich zu nutzen. Schauen wir uns doch zunächst der Reihe nach einige wesentliche Punkte an, die vor allem von jüngeren Absolventen als wichtig genannt werden.

  1. Kreativität und Sinn.
    Arbeit nicht nur der Arbeit willen, sondern gestalten und Sinn stiften. Diese Aspekte werden neben dem rein Finanziellen immer bedeutender. Für Familienunternehmer bedeutet das, dass sie sich die Frage stellen müssen: Für was stehen wir eigentlich? Was ist die Identität des Unternehmens, was der Beitrag zur Gesellschaft? Wichtig ist, dass diese Botschaft nicht nur innerhalb der Familie weitergegeben wird, sondern auch nach außen kommuniziert wird. Das Konzept der „Hidden Champions“ muss sich in ein Konzept der „Well-known Champions“ ändern, wenn Familienunternehmen im 21. Jahrhundert erfolgreich bleiben wollen. Ist diese Herausforderung gemeistert, können Familienunternehmen auf Stärken aufbauen: So zeigten unsere eigenen, großzahligen Studien, dass Familienunternehmen a) effizienter in ihren Innovationsprozessen sind und b) es Familien-Geschäftsführer besser schaffen positive Emotionen im Unternehmen zu verbreiten.
  2. Flexibilität und Agilität.
    Eng mit dem Gestaltungswillen verbunden ist die Freiheit Dinge umzusetzen und im Unternehmen mitzuwirken. Junge Absolventen sehen diese Freiheiten vor allem im Start-up Bereich gegeben. Doch haben Familienunternehmer durchaus die Möglichkeit ähnlich flexible und auch agile Arbeitsumgebungen zu schaffen. Die schnelleren Entscheidungswege und das Fehlen von komplexen Strukturen sowie oft auch von taktischen Machtspielen, wie leider häufig in Großkonzernen gegeben, können Familienunternehmen hierbei helfen. Der Kern- und Angelpunkt für ein flexibles, agiles Arbeitsumfeld ist jedoch die Bereitschaft des Familienunternehmers Macht abzugeben, Verantwortung zu delegieren und Kontrolle abzubauen. Vor allem Ersteres fällt Unternehmern in einem bestimmten Alter zunehmend schwerer, wie viele aktuelle Beispiele zeigen.
  3. Work-Life-Balance.
    Nach Jahrzehnten des Fokus auf den Arbeits-Teil im Leben betonen nun viele Arbeitnehmer wieder das private Glück. Flexible Arbeitszeiten sowie ein empfundener „Sinn“ (s. obige Punkte) können dazu bereits beitragen. Aber Familienunternehmen können noch mehr tun, um beim Punkt Work-Life-Balance ein Vorreiter zu sein. Dazu gehören neben Modellen für Betreuungs- und Pflege-Zeiten auch weitere Modelle, die den Mitarbeitenden zu Gute kommen wie flexible Arbeitszeiten und -Orte. Auch hier können die schnellen Entscheidungswege im Familienunternehmen wieder von Vorteil sein.

Es zeigt sich also: Familienunternehmen können, wenn sie denn wollen, durchaus Arbeitsbedingungen schaffen, wie sie von den heutigen Absolventen bevorzugt werden. Doch was braucht es dazu? Nun, zunächst einmal Mut. Mut loszulassen. Wie sich die meisten Familienunternehmer bewusst sind, hat der Patriarch, der alle Fäden in der Hand hat, mittlerweile ausgedient. Vollkommene Kontrolle ist in einer VUCA-Welt nicht mehr möglich. Stattdessen muss Verantwortung delegiert werden und ein Informationsfluss muss nicht nur von oben nach unten sondern ebenso von unten nach oben und auch horizontal ermöglicht werden. Zum anderen aber auch Mut zu experimentieren. Derzeit stehen viele New Work Vorschläge im Raum: von selbst bestimmten Urlaubstagen zu demokratischer Gehaltsbestimmung bis hin zu neuen Rollen im agilen Management (wie bspw. der Scrum Master). Viele der Ideen wurden entweder aus Start-ups geboren oder von anderen Arbeitskulturen, bspw. aus den USA, zu uns gebracht. Ob sie – auch bei deutschen Familienunternehmen – funktionieren? Das wissen wir (noch) nicht. Vermutlich benötigt es durchaus Anpassungen an das spezielle Mittelstands-Umfeld. Aber ohne Ausprobieren werden wir es nie wissen.

Familienunternehmer behaupten häufig von sich selbst, sich durch eine besondere Verantwortung und durch besonders nachhaltiges Handeln auszuzeichnen. So betonten Familienunternehmer in der jüngsten IWF-Debatte zur Ungleichheit in Deutschland unter anderem zu Recht die von ihnen geschaffenen Arbeitsplätze. Doch Arbeitsplatz ist nicht gleich Arbeitsplatz. Insofern der Appell an alle Familienunternehmer: Macht etwas daraus! Schafft Arbeitsplätze, an denen man gerne arbeitet. Schafft Arbeitsplätze, die auch die besten und talentiertesten „Young Talents“ anziehen. Schafft Arbeitsumgebungen, die es uns erlauben, nachhaltig und innovativ tätig zu sein!



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