Fit für die nächste Krise?
Was wir aus der Coronakrise lernen sollten
Den Status Quo gibt es nicht mehr. Durch Corona ist die VUCA-World unübersehbar geworden: Die Welt verändert sich exponentiell und unplanbar; die Zusammenhänge sind komplex und unvorhersehbar. Und so gestaltet sich Führung sehr herausfordernd. Auch wenn Impfstoffe Hoffnung machen, am Horizont zeichnen sich in der Post-COVID-19-Ära neue Krisen und eine weiterhin hohe soziale Dynamik ab: durch ökonomische Folgekrisen, die Klimakrise, die fortschreitende Digitalisierung, globale Migration und politische Instabilitäten in vielen Ländern.
Umso wichtiger ist es, so schnell wie möglich aus der Krise zu lernen. Welche Eigenschaften brauchen Organisationen, um in dieser hoch dynamischen Ära erfolgreich zurechtzukommen und auch zukünftige Krisen zu überleben? Oder: Was zeichnet die Zukunftsfähigkeit von Organisationen aus? Darüber haben wir in 23 Interviews mit Führungspersonen aus sozialen Jugendbewegungen, Start-Ups, Kirchen, Industrie, Forschung, Verwaltung und Wirtschaft gesprochen.
Das Ergebnis: 8 Erfolgsfaktoren der Zukunftsfähigkeit
Zukunftsfähige Organisationen kreieren Sinn, Vertrauen und Agilität!
Abbildung: 8 Erfolgsfaktoren der Zukunftsfähigkeit von Organisationen in der Post-COVID-19-Ära
Zukunftsfähige Organisationen kreieren Sinn
Um in der dynamischen Zeit ihren internen Mitgliedern und wichtigen Stakeholdern im Umfeld Orientierung und Sicherheit zu geben, kreieren zukunftsfähige Organisationen Sinn, indem sie:
1. Beherzte Führung zeigen:
Um trotz der enormen Unplanbarkeit handlungsfähig zu bleiben, brauchen Organisationsmitglieder langfristige Orientierung und gleichzeitig kurzfristige Klarheit: Wo wollen wir hin? Welche Zukunft haben wir? Und was tue ich als nächstes? Statt 1- oder 3-Jahresplänen braucht es vor allem eine starke Vision und Mission und dazu einen konkreten Plan für die kommenden Wochen. Ohne in kopflose Hektik zu verfallen, brauchen Organisationen eine klare Entscheidungsfähigkeit, die sich schnell an neue Veränderungen anpasst, und Führungskräfte, die achtsam bleiben, Reflexionsräume erhalten und bei all der Unwägbarkeit authentisch persönliche Sicherheit ausstrahlen.
2. Kunden:innen in den Mittelpunkt stellen:
Gerade in Krisenzeiten prüfen Menschen sehr genau, welche Ausgaben sie wirklich brauchen, aber auch, welche Organisationen Ihnen wirklich am Herzen liegen: Viele Menschen haben im Corona-Lockdown gezielt den Laden vor Ort unterstützt, Vereinsbeiträge weiterbezahlt oder Kulanz gezeigt, um Organisationen Ihrer Wahl am Leben zu halten. Dann spüren Organisationen sehr direkt, wo Kundenbeziehungen reine Kosten-Nutzen-Beziehungen waren, die ersetzbar sind, oder wo die Beziehungen tragen, weil die Kunden:innen darin nachhaltigen Sinn und langfristigen persönlichen Nutzen spüren. Gerade in dynamischen Zeiten ist es daher essenziell, sehr engen Kontakt zu den Kunden:innen zu halten, um sich verändernde Bedürfnisse direkt mitzubekommen und die eigenen Krisenreaktionen eng daran auszurichten.
3. Gesellschaftlichen Zukunftsmehrwert erzeugen:
In der Coronakrise wurde gesellschaftlich bereits hart diskutiert, welche Branchen, Firmen oder Geschäftsmodelle staatlich gefördert und welche vom Shutdown wie verschont werden sollen: vom Verbrennungsmotor, über Luftfahrt und Cum-Ex-Skandal-Banken bis zur Fleischindustrie. Der Staat ist als essenzieller Akteur zurück und die Gesellschaft fordert, dass wieder stärker gesteuert wird, was systemrelevant ist und welche Wirtschaft wir haben, fördern und erhalten wollen. Die drohende Klimakrise wird diese Tendenz weiter verstärken. Es wird für Organisationen dadurch wieder bedeutsamer, ihren gesellschaftlichen Zukunftsmehrwert und konsequente Integrität unter Beweis zu stellen: in Bezug auf ökologische Nachhaltigkeit, faire Gewinnerzeugung und -verteilung sowie die Stärkung der demokratisch-freiheitlichen Gesellschaft.
Zukunftsfähige Organisationen schaffen Vertrauen
Um in herausfordernden Zeiten verlässliche Beziehungen zu erhalten und gegenseitige Unterstützung zu fördern, schaffen zukunftsfähige Organisationen ein hohes Maß an Vertrauen, indem sie:
4. Eine gelebte Vertrauenskultur fördern:
Gerade in herausfordernden Krisenzeiten sind Menschen und Organisationen darauf angewiesen, sich auf Andere zu verlassen. Krisen können solidarischen Zusammenhalt stärken oder zerstören, sie trennen Spreu vom Weizen. Im Homeoffice kann man kaum kontrollieren, was die Mitarbeiter:innen tun oder nicht tun. Umgekehrt brauchen Mitarbeiter:innen Vertrauen in ihre Führung, damit sie nicht das sinkende Schiff verlassen oder sich nicht vornehmlich darauf konzentrieren, ihre eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Vertrauen entsteht durch eine offene, transparente und empathische Kommunikation. Vertrauen wiederum ermöglicht hohe Eigenverantwortung auf allen Ebenen. Diese hohe Verantwortung vor Ort ermöglicht schnellere lokale Anpassungen auf die sich ändernden Rahmenbedingungen der Krise.
5. Ökosysteme aus kooperierenden Unternehmen etablieren:
Je stärker das Netzwerk, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es Krisenzeiten übersteht. Knapper werdende Ressourcen bedrohen auch Lieferantenbeziehungen und essenzielle Partnerschaften. Je besser und stabiler diese Beziehungen und je weniger es rein kurzfristige Kosten-Nutzen-Beziehungen sind, desto eher kann man sich auf diese auch in Krisenzeiten verlassen und erwarten, dass der Partner so agiert, dass auch das eigene Überleben gesichert bleibt. Forschung hat dementsprechend gezeigt, dass eng verbundene Unternehmenscluster resilienter in Krisenzeiten sind. Entwicklungspartnerschaften und Co-Kreation stärken die gegenseitige Bindung und langfristige Partnerschaften in diesen Clustern ebenso wie mit wichtigen Kundengruppen.
Zukunftsfähige Organisationen erzeugen Agilität
Um in Krisenzeiten handlungsfähig zu bleiben und schnell auf Unvorhersehbares reagieren zu können, erzeugen zukunftsfähige Organisationen eine hohe Agilität, indem sie:
6. Kulturelle Agilität fördern:
In dynamischen Krisenzeiten ist eine schnelle Anpassungsfähigkeit auf sich immer wieder verändernde Rahmenbedingungen überlebenswichtig. Bei aller Herausforderung müssen dafür Zuversicht und positiver Drive aufrecht erhalten werden. Dazu braucht es eine positive Stärkenorientierung, Mut, Flexibilität und die Lust am Experimentieren bei allen Beteiligten. Schnelle Test-Feedback-Lernzyklen müssen ohne Angst vor Fehlern gefördert werden, um Kreativität, Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit zu stärken.
7. Digitale Prozesse vorantreiben:
Der Corona-Lockdown hat den Trend zur Digitalisierung enorm verstärkt. Im Lockdown mussten viele Mitarbeiter:innen plötzlich von zu Hause arbeitsfähig werden und virtuelle Teamarbeit wurde enorm ausgeweitet. Auch um mit Kunden:innen im Kontakt zu bleiben, ihre Dienstleistungen weiterhin anbieten zu können oder neue Kundenbeziehungen anzubahnen, mussten viele Organisationen neue Kommunikationskanäle und digitale Angebote entwickeln. Gleichzeitig können die Reichweite und Flexibilität durch diese digitalen Prozesse deutlich erhöht werden. Wenn die Schnittstellen intelligent und intuitiv gestaltet sind, werden Prozesse so deutlich verschlankt und Automatisierungsvorteile gewonnen.
8. Wirtschaftliche Agilität sicherstellen:
Last but not least brauchen Organisationen in Krisenzeiten wirtschaftlichen Spielraum, um notwendige Anpassungs- und Zukunftsinvestitionen finanzieren zu können. Organisationen, deren Rücklagen und Gewinne keine Puffer zulassen, werden schon durch kleine Schwankungen aus der Bahn geworfen. Ähnliches gilt für zu schlanke Just-in-Time-Produktion oder entsprechende Logistikketten. Auch bei Kunden:innen und Lieferketten wurden fehlende Risikostreuung und komplexe globale Netzwerke in der Coronakrise bestraft. Hier zeigten sich regionale Netzwerke als robuster und weniger anfällig. Umgekehrt zeigte sich, dass zentralistische Organisationen weniger schnell und flexibel auf lokale Unterschiede und Veränderungen reagieren konnten. Es braucht daher kleine, handlungsfähige Organisationseinheiten, die schnell und unbürokratisch auf neue Risiken reagieren oder sich bietende Chancen nutzen können, um neue Geschäftsoptionen zu erschließen und die eigene Zukunftsfähigkeit zu erhalten.
Nun bleibt die spannende Frage: Wie kann ich diese einzelnen Aspekte und damit die generelle Zukunftsfähigkeit meiner Organisation, meines Teams oder von mir selbst stärken? Wir empfehlen dazu drei Schritte: Zunächst breites Feedback zu den eigenen Stärken und Verbesserungspotenzialen einholen, dann gemeinsam entscheiden, welcher Hebel am leichtesten verändert werden und eine positive Wirkung erzeugen kann und zuletzt ganz im Sinne des agilen Ansatzes — Schritt für Schritt besser werden. Dazu entsteht zusammen mit der Universität Freiburg gerade ein Kurzfragebogen, mit dem sich Teams oder Organisationen ein breites Feedback zu den eigenen Stärken und Verbesserungspotenzialen einholen können. Und: Zusammen mit einem breiten Netzwerk aus Unternehmen sammeln wir aktuell praxisnahe Best Practices zur Frage „Wie können diese acht Erfolgsfaktoren im Organisationsalltag verschiedener Branchen am wirksamsten gesteigert werden?“
Interesse? Dann wenden Sie sich gerne an den Autor.
Kommentare
Sehr geehrter Herr Dr. Behrendt,
ein ansprechender Blogbeitrag. Neben ihren genannten neuen Krisen kommen sicher noch einige dazu. Deshalb bin ich mit Ihnen der Meinung, dass enorme Herausforderungen auf uns zukommen werden. Ob wir aus der Covid-19 Krise wirklich lernen, wird sich zeigen. Ich bin sehr skeptisch, was ich erlebe, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Ihren 8 Erfolgsfaktoren der Zukunftsfähigkeit stimme ich ausdrücklich zu. Dennoch sind auch hier noch Ergänzungen wesentlicher Punkte erforderlich. Zukunftsfähige Organisationen brauchen Führung! Hier geht es nicht nur um gute Aussagen, sondern um konsequente Umsetzung (da Machen).
An der Umsetzung scheitern die meisten kreative Ideen.
Beste Grüße
Dr. Joachim Bußmann
Sehr geehrter Herr Dr. Bußmann,
Vielen Dank für Ihren wertschätzenden Kommentar und Ihre Ergänzungen! In meinem Umfeld erlebe ich eine große Mischung. Ich erlebe durchaus einige Unternehmen, die sehr stark versuchen, die Chancen zu nutzen und aus den überraschenden Veränderungen auch für die Zukunft zu lernen und auch stetig versuchen, Ihre Kultur weiterzuentwickeln und fit zu halten. Mein Eindruck aus der Ferne ist auch, dass gerade durch Branchen wie die Automobilindustrie und deren Zulieferer ein große Ruck gegangen ist, der einige zukunftsgerichtete Impulse initiiert hat – ausgelöst durch den Umsatzschock im ersten Halbjahr. Aber sicher gibt es auch die Organisationen, die sich sehr schwer tun oder sogar den Kopf in den Sand stecken, abwarten und v.a. darauf setzen, dass wir möglichst schnell zurück in die alte Normalität kommen.
Zu Ihrem Punkt bzgl. Führung: Dem kann ich voll und ganz zustimmen. Was Sie beschreiben ist für mich eine gute Mischung bzw. Ergänzung von beherzter Führung (Orientierung, Richtung und schnelle Entscheidung) und daran anknüpfender Agilität (schneller flexibler und mutiger Umsetzung, erster Experimente und schnellem Lernen in Feedbackschleifen und entsprechender Anpassung). Das Wort Umsetzung tauch in dem Absatz oben nicht explizit auf, sollte aber, wie Sie vorschlagen, in jedem Fall mitgedacht werden.
Herzliche Grüße
Dr. Peter Behrendt