Kognitive Verzerrungen

Kognitive Verzerrungen: der wahre Grund für viele Beharrungstendenzen

Beharrungstendenzen entstehen meist, weil verfestigte Mindsets und geistige Filterblasen uns hemmen, Neues zu wagen. Mindsets sind Denk- und Handlungsweisen, die auf scheinbar unverrückbaren Glaubenssätzen basieren. Glaubenssätze sind subjektive Bewertungssysteme, die uns sagen, was richtig und falsch ist. Sie bestimmen sowohl die persönlichen als auch die innerbetrieblichen Vorgehensweisen.

Ferner spielen uns kognitive Verzerrungen gern einen Streich. Dies passiert ohne böse Absicht und ohne das wir uns dessen bewusst sind. Einmal habe ich diese Erkenntnis in einem Workshop genutzt, um den wahren Ursachen für leidigen Stillstand auf die Spur zu kommen. Folglich ging es nicht um die eigene Starrheit, man konnte vielmehr einen erklärlichen „Cognitive Bias“ zum Sündenbock machen.

Nach dieser „Erleuchtung“ waren die Teilnehmenden wie befreit. Insofern sollte jeder, der mit Menschen (im Unternehmen) zu tun hat, die den kognitiven Verzerrungen zugrunde liegenden Erklärungsansätze kennen, weil sie im firmeninternen Miteinander eine folgenschwere Rolle spielen können. Im zweiten Schritt geht es dann darum, nach diesen bei sich selbst zu fahnden und dann zu überwinden.

 

Kognitive Verzerrungen, vor denen man sich besser hütet

Den meisten Menschen gefällt es ungemein, Bestätigung für ihre Denkmuster, Handlungsroutinen und Glaubenssätze zu bekommen. Ferner tendieren wir dazu, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie den eigenen Erwartungen entsprechen und/oder diese bekräftigen. Manche beharren selbst dann auf ihrer Meinung, wenn neue Informationen diese längst widerlegen.

Die kognitiven Verzerrungen, die uns in diesem Kontext befallen können, sind zahlreich. An die 50 sind dokumentiert. Im Englischen spricht man dabei von einem „Cognitive Bias“. Dies ist ein kognitionspsychologischer Sammelbegriff für fehlerhafte Neigungen beim Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Urteilen. Sie sind uns meist nicht bewusst – doch leider fallen wir vielfach auf sie herein. Hier eine kleine Sammlung:

Der Selfherding-Effekt:

Menschen wiederholen gern Aktivitäten, in denen sie früher mal siegreich waren. Dieses Verhalten wird „Selfherding“ genannt. Ähnlich dem Herdentrieb folgen wir unreflektiert der „Herde“ unserer Entscheidungen aus der Vergangenheit. Dies bewirkt, dass wir uns in unsere eigenen Ideen verlieben. Werden diese oft von Erfolg gekrönt, verfallen manche einem gefährlichen Glauben an die eigene Großartigkeit. „Dem ist sein Erfolg zu Kopf gestiegen“, sagt treffend der Volksmund. Von Selbstzweifeln wie befreit kann dies zu Allmachtsphantasien, zu Realitätsverlusten und zur Illusion der Unbesiegbarkeit führen.

Der Social-Proof-Effekt:

Dies ist ein psychologisches Phänomen, bei dem Menschen sich in ihrem Verhalten an dem ihrer Mitmenschen orientieren. Sie übernehmen oder imitieren deren Handlungen in der Annahme, dass diese in einer jeweiligen Situation angemessen sind: Weil es alle so machen, muss es wohl richtig sein. Dabei kann die Meinung der Masse ebenso als Referenz dienen wie die einer einzelnen Autorität. Zum Beispiel? Ist der Chef für oder gegen eine Sache, sind plötzlich alle dafür oder dagegen – bisweilen bewusst, oft aber unbewusst. Obere bekommen nur noch zu hören, was sie hören wollen. Alle reden ihm nach dem Mund. „Please the Boss“ nennt man das auch. In hierarchischen Organisationen ist dieses Phänomen sehr verbreitet. Und es ist gefährlich, weil es oft zu falschen Entscheidungen führt.

Der Besitztumseffekt:

Dieser Effekt besagt, dass Menschen dazu tendieren, eine Sache als wertvoller zu betrachten, sobald sie sie besitzen. So kann es zunächst nach einer Entscheidung zu einer Art Kaufreue kommen (Wäre das Andere nicht vielleicht doch besser gewesen?). Diese unangenehme Spannung, kognitive Dissonanz genannt, lösen wir auf, indem wir die getroffene Entscheidung aufwerten und schönreden. Das gilt auch bei Regeln. Wir neigen tendenziell dazu, im betrieblichen Alltag Regeln, die wir befolgen, als nützlicher zu betrachten, als sie sind. Denn das Eingeständnis, einer unsinnigen Regel zu folgen, würde kognitive Dissonanz auslösen. Ähnliches gilt für Prozesse, Strukturen und Methoden. Wer sie entwickelt bzw. eingeführt hat, schätzt sie in ihrer Nützlichkeit oft höher ein und hält stärker an ihnen fest. Die Folge: Die Lieblingsprojekte des Chefs sind tabu. Genau das steht notwendigen Neuerungen dann im Weg.

Die Verlustaversion:

Dies ist die Tendenz, mögliche Verluste höher zu gewichten als mögliche Gewinne. Nachgewiesen wurde diese Verhaltensbesonderheit vor allem mithilfe verschiedener Gewinnspielexperimente und auch an der Börse. Sie bezieht sich aber nicht nur auf monetäre Situationen, sondern ist universeller. In Organisationen macht sie sich etwa bei der Frage bemerkbar, ob eine alte Methode oder ein etabliertes Produkt durch etwas Neues ersetzt werden soll. Die möglichen Nachteile, die eine Abschaffung mit sich bringen kann, werden im Vergleich zu den möglichen Vorteilen des Neuen tendenziell überbewertet. Dies führt dazu, dass wir vieles am liebsten beim Alten belassen, selbst dann, wenn uns das zurückwirft.

Der Unterlassungseffekt:

Als Unterlassungseffekt wird die menschliche Vorliebe bezeichnet, die Risiken eines Handelns zu überbewerten und die Risiken des Nichthandelns zu unterschätzen. Also: Den anscheinend überflüssigen Prozess gibt man lieber doch nicht auf, denn wer weiß, vielleicht ist er noch für etwas gut. Dieser Effekt ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass in Gemeinschaften unerwünschte Handlungen in aller Regel stärker sanktioniert werden als Unterlassungen, auch dann, wenn die Folgen beider Optionen dieselben sind.

Die Status-quo-Verzerrung:

Ein Konzept, einen Prozess oder ein Ritual zu entsorgen, bedeutet immer auch eine Veränderung. Am liebsten haben es die meisten Menschen jedoch, wenn alles so bleibt, wie sie es kennen. Ein Grund: Jede Veränderung erfordert eine Anpassungsleistung des Gehirns, und das ist auf Energiesparen programmiert. So wird die übermäßige Bevorzugung des Status quo als Status-quo-Verzerrung bezeichnet. Die Macht der Gewohnheit hat uns in vielerlei Lebenslagen im Griff. Im Unternehmensalltag ist sie allgegenwärtig.

Der Selbstüberschätzungseffekt:

Hierbei neigen wir dazu, eine eigene Fähigkeit oder Leistung zu überschätzen – und die der anderen zu unterschätzen. So glaubt fast jeder, selbst ein guter Autofahrer zu sein. Den meisten anderen hingegen traut er weniger zu. Eng damit verwandt ist der Dunning-Kruger-Effekt. Der Name geht auf Untersuchungen von David Dunning und Justin Kruger zurück. Im Kern geht es dabei um das Selbstverständnis inkompetenter Menschen, die das eigene Wissen und Können überbewerten. Diese Neigung beruht auf der Unfähigkeit, sich selbst objektiv beurteilen zu können und die überlegenen Fähigkeiten anderer falsch einzuschätzen. Vor allem aber wird das Ausmaß der eigenen Inkompetenz nicht erkannt.

Der Halo-Effekt:

Hierunter versteht man die Tendenz, faktisch nicht miteinander korrelierende Eigenschaften als zusammenhängend wahrzunehmen. Ein positiver oder negativer Eindruck „überstrahlt“ den Gesamteindruck und kann so zu Beurteilungsfehlern führen. Zum Beispiel: Wer groß ist, forsch auftritt, gut aussieht und gepflegte Manieren zeigt, dem traut man vielerlei Überragendes zu. Oder: Macht die junge neue Mitarbeiterin einen Verbesserungsvorschlag, verpufft er. Greift ein Höhergestellter ihn später auf, wird er plötzlich bejubelt. Das perfide am Halo-Effekt: Er ist ein zerebraler Mechanismus, der sich kaum abstellen lässt. Natürlich sollten wir die Menschen nicht in Schubladen packen, unser Gehirn tut es aber doch. Ohne unser Zutun und in rasender Geschwindigkeit will es nämlich wissen: Freund oder Feind? Blitzschnell muss es erkennen: Bringt der andere mir Gutes oder droht mir Gefahr? In Momenten größter Bedrohung würde jedes Nachdenken viel zu lange dauern, um den Körper auf Alarm zu schalten. Insofern ist es äußerst schwierig, sich dem Automatismus des Halo-Effekts stets neu zu entziehen.

 

So bekommt man kognitive Verzerrungen aus der Welt

Haben sich derartige kognitive Verzerrungen erst einmal verfestigt, wird unsere gesamte Wahrnehmung davon gesteuert. Was unsere Überzeugungen widerspiegelt, nutzen wir als Verstärker, was nicht dazu passt, blenden wir aus. Und bei alldem glauben wir überdies, unbeeinflusst und zweifelsohne im Recht zu sein. Um nicht in diese Falle zu tappen, ist es gut, sich selbst und andere immer wieder zu fragen, inwiefern man womöglich danebenliegen könnte, etwa so:

  • Stellen Sie Ihre Meinung auf den Prüfstand. Betrachten Sie sie als Arbeitshypothese und versuchen Sie, diese wie ein guter Wissenschaftler zu hinterfragen.
  • Fordern Sie Widerspruch aktiv ein. Halten Sie nach gegenläufigen Statements Ausschau. Bei Netflix nennt man das „die Suche nach der abweichenden Meinung.“
  • Verlassen Sie digitale Filterblasen. Suchen Sie sich neue Netzwerke, folgen Sie anderen Meinungsführern, debattieren Sie mit denen, die konträre Ansichten haben.
  • Machen Sie eine Fremdbildanalyse. Dazu werden Dritte aus dem unmittelbaren Umfeld befragt. Für valide Ergebnisse müssen die Befragten absolut ehrlich sein.

Um kognitive Verzerrungen, die das ganze Unternehmen blockieren, gezielt anzugehen, empfehle ich einen Workshop mit dem Titel: „Elephant in the Room“. Warum Elefant? Weil es um etwas wirklich Großes geht: offensichtliche Probleme, die dick und breit im Raum stehen und den Zugang zu einer besseren Zukunft versperren, doch alle tun so, als wären sie gar nicht da. Wer solche „Elefanten“ wegbugsiert, schafft den Durchbruch.



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