Menschen unter Maschinen - Roboter mit künstlicher Intelligenz

Menschen unter Maschinen

Dieses Editorial wurde von einem Menschen geschrieben – nämlich von mir. Das muss man mittlerweile wohl erwähnen. Denn Künstliche Intelligenz (KI) erfasst immer mehr Bereiche, schreibt u. a. Artikel und wertet weltweit Gerichtsurteile aus. Und das ist nur der Anfang! Schon ein irritierender Gedanke, wenn in Zukunft Roboter an Leadership Camps teilnehmen, um sich über KI gegenseitig zu beraten und zu optimieren? Kein Sorge: Das Camp Q macht genau das nicht, denn es will Menschen mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen, Wünschen und Begabungen zusammenbringen. Dass wir uns aber mit den Chancen und Risiken von KI auseinandersetzen sollten, darauf weist unsere Gastautorin Birgit Wintermann im Folgenden hin.

Martin Spilker

Director, Kompetenzzentrum Führung und Unternehmenskultur

 

Künstliche Intelligenz, die Menschen im Schach schlägt, Autos, die selbstständig fahren, Algorithmen, die Personal aussuchen, Roboter, die pflegen, Software, die therapiert – wir haben inzwischen akzeptiert, dass all dies ein Teil unseres Lebens ist oder sein wird.

Vieles, was noch vor kurzem undenkbar erschien, kann nun leicht mit Technik und künstlicher Intelligenz (KI) bewerkstelligt werden. Wenn dann der kleine Neffe die Tante noch nicht mal braucht, um seine Lieblings-CD vom Feuerwehrmann Sam anzustellen (das macht dann nämlich Alexa auf Anweisung, die bei mir in DIESEM Ton nie gezogen hätte), fragt man sich schon: Sind wir denn nun völlig überflüssig geworden? Die Angst, die Technik vertreibe den Menschen und mache sie sich untertan, überwiegt derzeit den Optimismus, Verbesserungen erreichen zu können. Haben wir Menschen also ausgedient?

Vorerst sind wir noch lange nicht soweit, dass wir den Angriff des Terminators fürchten müssen. Es sind derzeit andere Szenarien, die Angst und Schrecken verbreiten: Die Osborne/Frey Studie von 2013 hat mit ihrer Kernaussage, 47 % der Jobs in den USA fielen weg,  für großen Aufruhr gesorgt. Die Menschen befürchten seitdem, die Roboter wollten an ihren Jobkragen. Zwar hagelte es Kritik an der Studie verbunden mit der Frage, inwieweit das überhaupt auf Deutschland zu übertragen sei. Und man ist sich mittlerweile fast einig, dass zwar Berufe verschwinden werden und Tätigkeiten wegfallen, dafür aber auch wieder neue entstehen werden. Klar ist aber auch: Es finden Umwälzungen statt, die unser bisheriges Tun verändern und vielleicht sogar überflüssig machen.

Verbunden mit der Frage der betrieblichen Transformation, die uns als Arbeitnehmer (oder dann eben nicht mehr Arbeitnehmer) betrifft, ist noch die Sorge, alles werde „unmenschlicher“: Es wird befürchtet, gerade alte Menschen würden aller sozialen Kontakte verlustig gehen. Und das gelte dann auch für die Pflege, wenn diese dann von Robotern durchgeführt würde oder auch für Sprachlernroboter in Kitas – wo bleibt die menschliche Nähe und Wärme, die uns ausmacht und die wir so dringend brauchen.

Jetzt oute ich mich als Zukunftsoptimistin: Ich gehe davon aus, dass der Mensch mit seinen besonderen Fähigkeiten, aber auch seinen Bedürfnissen, deutlich mehr in den Mittelpunkt rückt, als es je zuvor der Fall war.

Es ist richtig, dass im Bereich der Produktion immer mehr Tätigkeiten allein von Mensch und Technik übernommen werden. Das an sich ist für uns nichts Neues: Im Grunde handelt es sich um eine neue Evolutionsstufe der Industrialisierung. Prozesse werden effizienter, höhere Stückzahlen werden in weniger Zeit erstellt.

Dort, wo Menschen im Einsatz sind, findet beispielsweise durch Exoskelette  (z.B. zum Heben schwerer Lasten) und Augmented Reality (z.B. in der Lagerhaltung zum Auffinden von Produkten) eine neue Verknüpfung von Mensch und Maschine statt. In diesem Bereich wird auch davon auszugehen sein, dass es immer weniger Menschen geben wird. Aber diejenigen, die dort arbeiten, werden eine deutliche Erleichterung ihrer Tätigkeit erleben.

Anders dagegen sieht dagegen in den Bereichen aus, in denen es nicht um Effizienzsteigerung der Prozesse im Sinne der Industrialisierung geht. Hier kommt dann das dazu, was man Disruption nennt: Darunter versteht man, dass ein Geschäftsmodell oder ein ganzer Markt durch (technische) Innovationen aufgebrochen oder auch ganz zerschlagen wird.

Auch dies ist per se nicht neu: Die Erfindung der Glühbirne löste Kerzen ab und auch der Einsatz von Autos machte Pferdekutschen eher zum Touristenspaß. Und es lässt sich klar feststellen: Kaum einer kann noch melken – was keiner ernsthaft zu vermissen scheint.

Kern der Disruption ist, dass durch die neuen Techniken andere Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung entstanden sind. Wie nie zuvor spielt heute bei der Entwicklung von Produkten die Frage eine Rolle, was eigentlich genau der Kunde will:

Will er wirklich einen Bohrer oder geht es nicht vielmehr darum, ein Loch in die Wand zu bekommen? Will man nicht eher frisch gewaschene, trockene und vielleicht sogar gebügelte Wäsche im Schrank als eine Waschmaschine oder Trockner im Keller?

Diese Denkweise hat schon Tätigkeiten gravierend verändert: Steuerberater brauchen beispielsweise keine Zahlen mehr in Formulare für die Steuererklärungen einzugeben. Dies passiert bereits automatisch. Sie prüfen auf Plausibilität. Und die eigentliche Aufgabe, ist nicht mehr die Steuererklärung, sondern die Interpretation der Ergebnisse und im Grunde eine Businessberatung.

Immer häufiger ist es die „Losgröße1“, die über den Ladentisch geht statt gleichförmiger Produkte. Dies gilt für individuell gefertigte Schuhe oder Kleider wie auch für individuell erstellte (oder gedruckte) Möbel. Dabei geht es bei der Herstellung immer automatischer zu – aber die Voraussetzungen dafür werden noch allein von Menschen geschaffen.

Man muss sich auch die Frage stellen, wie „unmenschlich“ es ist, dass schwere Pflegetätigkeiten, die mit Heben und Tragen verbunden sind, von entsprechender Technik unterstützt oder durchgeführt werden. Dass man unabhängig von der Überlastung regelmäßig die richtige Dosis an Medikamenten erhält und die Vitalwerte verlässlich überwacht werden können – so dass das menschliche Pflegepersonal eine wirkliche soziale Betreuung leisten kann.

Und dass man in seinem Hause wohnen kann, weil die Versorgung über Lieferservice und Videotelefonie mit der Außenwelt möglich ist und selbstfahrende Autos einen zum Arzt bringen können. Ich für meinen Teil wünsche mir, so alt werden zu dürfen, mit dem Respekt vor meiner Menschlichkeit.

Diese Beispiele zeigen: Die Anforderungen steigen tendenziell. Dabei liegt deutlich mehr Verantwortung bei demjenigen, der diese Entscheidungen und Tätigkeiten ausführt. Die Wichtigkeit dieser Tätigkeiten nimmt also zu und fordert die Ausführenden mehr heraus. Damit wird es also noch wichtiger als jemals zuvor, motivierte, konzentrierte und leistungsbereite Mitarbeiter zu haben. Denn gerade in den genannten Beispielen ist gerade keine Maschine da, die diese Arbeit mal eben übernehmen kann – und Ersatz steht auch nicht schnell bereit.

Angesichts des herrschenden Fachkräftemangels dürfte dies inzwischen jedem klar geworden sein. Im Zuge dessen wird es also immer wichtiger, welche Arbeitsbedingungen ein Arbeitgeber umsetzt. Die jährliche Gallup-Umfrage zur Motivation von Mitarbeitern zeichnet kein günstiges Bild:

Seit der ersten Befragung in Deutschland 2001 haben sich kaum Änderungen ergeben. Nur 15 % der Arbeitnehmer haben eine enge emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber. 70 % haben kaum eine Bindung, während die restlichen 15 % bereits innerlich gekündigt haben. Die größte Unzufriedenheit herrscht mit den Bedingungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.

Es zeigt sich: Ohne die Bereitschaft und den Einsatz der Menschen wird sich trotz aller Technik nichts bewegen lassen. Vielmehr kommt es darauf an, die Potentiale zu erkennen und zu heben. Und dies ist nur möglich, wenn die Menschen mit ihrem Beitrag gewürdigt und motiviert werden, ihr Bestes zu geben – und es durch uns Menschen gestaltet wird.

Der Respekt und die Würdigung des Menschen sind es, die allein eine digitale Welt ermöglichen. Eine große Aufgabe, die bisher noch nicht wirklich gelungen ist. Eine Aufgabe, die nur wir allein bewältigen können, von Mensch zu Mensch.



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