Gesellschaftliche Verantwortung

Gesellschaftliche Verantwortung des Managers und soziale Innovation – Geschichtliche Einblicke und aktuelle Herausforderungen (Teil 3)

Nicht erst seit viele Initiativen Nachhaltigkeit und Verantwortungsbewusstsein für unsere Welt anmahnen, sind sich viele Unternehmen ihres gesellschaftlichen Leistungsbeitrages bewusst. In Deutschland gibt es eine lange Tradition, dass Unternehmen und Unternehmerfamilien sich über ihren ökonomischen Auftrag hinaus für das Gemeinwohl engagieren. Zeit, sich nicht nur die Historie zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen ins Bewusstsein zu rufen, sondern damit auch einen Führungsauftrag zu definieren, der Wirtschaftlichkeit und Humanität für soziale Innovationen verbindet. Das Kompetenzzentrum möchte mit dieser Reihe bestehend aus drei Beiträgen Geschichte und Motive des gesellschaftlichen Engagements nachzeichnen und gleichzeitig den Diskurs über eine moderne Führung bereichern.

Lesen Sie im dritten Teil, wie sich Management als gesellschaftliche Aufgabe unserer Zeit darstellt …

 

Management als gesellschaftliche Aufgabe unserer Zeit – eine Bestandsaufnahme

„Es gibt nichts in seinem Leben, was der Mensch nicht machen müsste, wofür er nicht zu sorgen, was er nicht zu gestalten hätte. In diesem eigentümlichen Nichtfestsitzen des Menschen gründet seine eigentümliche Geistigkeit, Menschlichkeit, Freiheit.“ (Plessner 1983 S.64)
„In the next society the biggest challenge for the large company, especially for the multinational, may be its social legitimacy.” (Drucker 2003, S. 230)
“Der Mensch ist durch sein Können eine Bedrohung seiner Zukunft geworden, weil er sein Können nur durch Mehrkönnen überwinden wird, aber keine Gewähr dafür besteht, dass nicht die Menschlichkeit unterdessen auf der Strecke bleibt.“ (Plessner a.a.O., S. 51)

Hatten sich Mitte der 1980er Jahre die kritischen Fragen der Gesellschaft an den Wirtschaftsmanager von den politischen auf Fragen des Umgangs mit unserer natürlichen Umwelt verlagert, sind für die Gegenwart beide Themen ineinander verschränkt zu betrachten und in dieser Konstellation von höchster Aktualität. Grund dafür sind in erster Linie die Folgeerscheinungen von Globalisierung und Digitalisierung. Zu den wesentlichsten dieser Effekte gehören:

  1. Eine sich verschärfende Inkongruenz von ökonomischer und politischer Realität. Wir erleben auf der einen Seite die grenzenlose globale Wirtschaft des Geldes und der Information. Hinzu kommt eine Wirtschaft der Produkte und Dienstleistungen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten, aufgrund des sukzessiven Abbaus von wesentlichen politischen Schranken und Hindernissen global entfalten konnte. Als Gegenbewegung zu dieser globalen vorranging wirtschaftlichen Entwicklung wächst eine politische Bedeutung des Nationalen und des Lokalen.
    Bei dieser Inkongruenz erhält in turbulenten Zeiten, wie wir sie jetzt erleben, in der Regel das Politische den Vorzug vor der ökonomischen Rationalität. Unterschiedliche Formen von Protektionismus sind die Folgen davon: „The first reaction to a period of turbulence is to try to build a wall that shields one’s own garden from the cold winds outside.” (Drucker 1999, S. 62)
  2. Durch die Internettechnik wird der Mensch zwar nicht durchsichtig, er ist jedoch sichtbarer geworden und dieses nicht unbedingt zu seinen Gunsten. Denn diese Sichtbarkeit erfasst ihn „in seiner ganzen Wahrheit, in seinen Tugenden und Lastern, in seiner Güte und Schrecklichkeit in seinen Trieben und Lüsten, in seinem Leiden und seiner Größe. Die digitale Kommunikation macht das Gesicht der Menschen und ihrer Institutionen sichtbar: Habgier, Geiz, Eitelkeit, Dummheit, Hass, Perversion, Grausamkeit, Wahnsinn, aber auch Genie, Liebe, Opfermut, Generosität, Weisheit, Ehre werden dort in tausend Schattierungen lesbar.“ (Schneider 2013, S. 300f.) Unsere Taten und Worte (!) sind sichtbarer geworden. Das Internet ist wie ein Vergrößerungsglas, auch für Probleme und Konflikte.
  3. Die moderne Gesellschaft bietet dem Einzelnen Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs wie nie zuvor. Gleiches gilt jedoch auch für den gesellschaftlichen Abstieg. Neu daran ist, dass davon beinahe sämtliche gesellschaftliche Milieus betroffen sind und die Abstiegs- bzw. Zukunftsängste zu einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen werden können.
  4. Kriegerische Auseinandersetzung im Mittleren Osten vom Irak bis zu den südlichen Philippinen, Terrorismus und große Wanderungsbewegungen als Folge der seit Anfang der 1990er Jahre offen ausgebrochenen und sich ausweitenden Konfrontation mit dem Islam.

Hinzu kommt, dass kulturelle Errungenschaften wie Demokratie und Marktwirtschaft, die die Voraussetzungen geschaffen haben, dass die Menschen in weiten Teilen der Welt seit mehr als 70 Jahren in materiellem Wohlstand sowie in Freiheit, Selbstbestimmung und Frieden leben können, zur Selbstverständlichkeit geworden sind. Diese Fortschritte erfahren mit zunehmender Dauer ihrer Existenz eher Geringschätzung als Anerkennung, da „wer – fortschrittsbedingt – unter immer weniger zu leiden hat, leidet unter diesem Weniger immer mehr. Je besser es den Menschen geht, desto schlechter finden sie das, wodurch es ihnen besser geht.“ (Marquard 2000, S. 37f.)

Die o. g. Entwicklungen sind vor allem Indiz für die Zerbrechlichkeit von sozialer, ethischer und ökonomischer Basis der Demokratie.
Somit steht der Wirtschaftsmanager zukünftig einer Reihe von Herausforderungen gegenüber, die jenseits der ökonomischen Leistung liegen, seiner ersten gesellschaftlichen Aufgabe.
Ausgehend von Druckers These liegt es in der Verantwortung und in der Macht des Managers als führende gesellschaftliche Elite, die für die Stärkung und Weiterentwicklung des demokratischen Rechtsstaats notwendige, politische Kultur richtungsweisend zu gestalten. Dieses mit dem Ziel, einen Prozess zu fördern, dessen Ergebnis dem Ideal einer „erträglichen Gesellschaft“ im Sinne Druckers immer näher kommt. Politik, verstanden als Führungsaufgabe im Dienste der Humanität, als Vermittlung zwischen Ideal und Wirklichkeit. (Plessner 2001, S. 51ff.)

Wie können die Manager der Wirtschaft konkret diesen Herausforderungen gerecht werden? Was bedeutet in diesem Zusammenhang soziale Innovation?
Angesichts der Ergebnisse der erwähnten repräsentativen Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung bleibt zunächst festzuhalten, dass die überwiegende Zahl der deutschen Top-Manager diese Herausforderungen noch gar nicht wahrgenommen haben. Deren Aussagen zur Politik erinnern eher im Zitat von Max Scheler, der so etwas dem Sinne nach als „ein über sich selbst und die Wirklichkeit hinweg illusionierendes Hersagen von Phrasen“ bezeichnete. (Scheler 2008, S. 204)
Ferner sollte man sich davor hüten, auch den kleinsten sozialen Fortschritt als soziale Innovation zu bezeichnen. Diese gehört zwar wie Nachhaltigkeit und „corporate social responsibility“ zu den „Megatrends“ unserer Zeit, wie es uns die aufgeblasene Gestik der Sprache des Coaching und Leadership weismachen will. Damit einher aber geht immer auch die inflationäre Verwendung dieser Begriffe, die diese aushöhlt und zur Worthülse degeneriert.
Es geht eben nicht um die großen Würfe, schon gar nicht in der Politik. Die Zeiten der bahnbrechenden politischen Ideen waren das 18. und 19. Jahrhundert. Heute gilt es das Beste davon so zu verarbeiten, dass es mit der aktuellen Wirklichkeit versöhnt werden kann: „to focus the wisdom of the past on the needs and ugliness of the present.“ (Drucker 1989, S. 237)

Der deutsche Philosoph und Ökonom Karl Homann weist dem Wirtschaftsmanager einen ersten Schritt auf dem Weg zur richtungsweisenden Gestaltung der politischen Kultur der Demokratie. Für ihn gehört die Übernahme von Diskursverantwortung zur gesellschaftlichen Verantwortung des Managers. (vgl. Homann 2006 und 2014) Dies bedeutet für Homann eine vom Ethos verantwortlicher Meinungsbildung getragene Aufklärung, ein Verständlich machen des Zusammenwirkens von Marktwirtschaft, freiem Unternehmertum und Demokratie als unerlässliche Voraussetzung für die Entwicklung einer „erträglichen Gesellschaft“.
Diskursverantwortung beginnt im Unternehmen bei der informellen Kommunikation der Manager mit Kollegen, Mitarbeitern und Vorgesetzten. Denn gerade hier wird die Vorbildrolle am ehesten wirksam.
Natürlich muss dieser Prozess von der Unternehmensspitze ausgehen und selbstverständlich sind die Standesorganisationen der Verbände und Vereinigungen einzubeziehen und gefordert.
Wirksame Diskursverantwortung steht und fällt jedoch letztlich mit dem einzelnen Manager und seiner Fähigkeit, das Wesen des politischen Prozesses zu verstehen. Hierzu gehört vor allem der Respekt vor der Gestaltung des unspektakulären politischen Alltags. Heute ist das nicht der Fall. Das Politikverständnis der Manager ist – dieses lässt sich aus der erwähnten Göttinger Studie schließen – von Arroganz und vor allem von sehr viel Ignoranz gegenüber den politischen Prozessen bestimmt, nicht nur im Hinblick auf die dortigen Entscheidungsvorgänge und -abläufe. Eine von derartigem Geist getragene Rhetorik schadet dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und ist schlichtweg unverantwortlich.

Hinzu kommt, dass die Manager auf die Übernahme von Diskursverantwortung in aller Regel weder in ihrer Ausbildung noch in ihrer Weiterbildung vorbereitet sind. Das sollte aber kein Argument dafür sein, „diese Aufgabe zurückzuweisen; es ist vielmehr ein starkes Argument dafür, die Ausbildung entsprechend zu reformieren.“ (Homann 2006, S. 8) – Diese Worte von Karl Homann mögen Inspiration sein für die Konzepte der Management-Ausbildung und der Managemententwicklung. Eine Vorbildhaftigkeit des Managers, die sich nicht nur auf die Berufssphäre beschränkt, erfordert eine über das berufliche Kerngeschäft hinausreichende Bildung.

Es geht also um Arbeit, systematische Arbeit – wie zu Beginn jeder Innovation. Dazu gehört es auch, die vielen positiven Ansätze, die bereits in der Managementbildung vorhanden sind, konsequent fortzuführen. Vor allem aber müssen die Manager verstehen, dass die Demokratie als Rahmenbedingung für den dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg unerlässlich ist. Erst dann werden sie sich für die Demokratie einsetzen.

Die Hoffnung, dass sich dieses Verständnis bei den Managern angesichts der gegenwärtigen, politischen Turbulenzen durchsetzt, ist nicht unbegründet, denn „mag sich die Wirtschaft auch unter Umständen zu für sie selbst gefährlichem Opportunismus verleiten lassen (wie 1933), ihr Bedürfnis nach Bewegungsfreiheit ist dennoch geeignet – Hegel würde sagen: dank einer List der Vernunft – der Freiheit in der Gesellschaft Wege offen zu halten.“ (v. Martin 1965, S. 40)


Hier finden Sie den ausführlichen Literaturnachweis



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