Führung

Früher war alles besser? – Führungsthemen im Zeitverlauf

Digitalisierung. Digitale Transformation. Innovation. Change Management. Konsolidierungen. StartUps. FinTechs. Agilität. New Work. In den Medien oft genannte Begriffe. Die Welt und die Wirtschaft sind im Wandel. Doch was kommt bei den Führungskräften in deutschen Unternehmen an? Wie beeinflusst der gesellschaftliche Wandel die Führung, Führungsprinzipien und Unternehmenskultur? Und trifft es alle gleich oder gibt es branchenspezifische Unterschiede? Sehen Männer und Frauen verschiedene Themen als wichtig an? Dies und mehr hat nun eine Studie des RMI (Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung) der Universität Witten-Herdecke untersucht.

Die Studie

Die Studie wertete anonyme Führungskräfteaussagen über die Jahre 2006 – 2017 aus. Themenschwerpunkte waren gelungene sowie verbesserungswürdige Aspekte „ihrer“ Unternehmenskultur und wie sich diese auf ihre Führung und die ihrer Vorgesetzten auswirkt (hier ist besonders zu beachten, dass alle genannten Prozentzahlen auf ungestützten Aussagen beruhen, d.h. es wurde nach keinem Aspekt explizit gefragt). Somit lässt sich im Zeitverlauf darstellen, wie zufrieden die Führungskräfte mit Ihrer Unternehmenskultur waren und ein Portfolio an Ausprägungen der Unternehmenskultur entwickeln, welches von den Führungskräften als wünschenswert angesehen wird – sowie wie sich dieses über die Zeit entwickelt hat.

„Früher war alles besser…“

… es sei denn man schaut zurück auf eine Finanzkrise. Nicht nur politisch und gesamtwirtschaftlich waren die Auswirkungen zu spüren, auch der Einzelne wurde – bewusst oder unbewusst – beeinflusst. Denn den größten Verbesserungsbedarf an ihrer Unternehmenskultur sahen die Führungskräfte laut der Studie im Jahr 2009. Dies zeigt sich auch in der Detailanalyse einzelner kultureller Ausprägungen. So war beispielsweise eine menschenorientierte Unternehmenskultur in den Jahren 2007 und 2008 noch bei ca. 65% der Führungskräfte ein Grund für Zufriedenheit und nur ca. 15% respektive 30% sahen Verbesserungsbedarf. Aussagen wie „das Verständnis von Familie [ist] viel wichtiger als die Tatsache, dass dieses [familienfreundliche] Verhalten für das Unternehmen finanziell nicht unbedingt vorteilhaft ist“ und „unternehmerischer Erfolg beginnt beim Menschen“ unterstreichen dies. Die Jahre 2009 bis 2011 besaßen dann einen negativeren Grundtenor. Es waren sowohl 40% mit dem Grad der Menschenorientiertheit zufrieden als auch 40% nicht. Aussagen wie der Wunsch den Mitarbeiter „mehr in den Mittelpunkt [zu] stellen“ und  „Heute heiligt der Zweck oft die Mittel, sprich bei finanziellem Erfolg einer Führungskraft wird der Frage wie die Führungskraft sich dabei verhalten hat nicht die gleiche Bedeutung beigemessen.  Dadurch beraubt sich die Organisation der Möglichkeit, die Unternehmenskultur zu schützen“ werden häufiger.

„Man muss Menschen überzeugen“

Dies sagte schon Reinhard Mohn, der Partnerschaft und Verantwortung fest in der Unternehmenskultur von Bertelsmann verankerte und Vorbild sein wollte. Er war überzeugt, dass Partnerschaft Voraussetzung für Erfolg ist und übergab viel Verantwortung und unternehmerische Freiheit. Die Studie des RMI, ohne nach diesen Begriffen gefragt zu haben, bestätigt seine Überzeugung. Die Führungskräfte sehen sich und ihre jeweiligen Führungskräfte als wichtige Vorbilder für Kollegen und Kolleginnen an. 66% nennen die Vorbildfunktion durchschnittlich als wichtig für die Unternehmenskulturbildung – wobei der Trend stark rückläufig ist. Waren es in den Jahren 2008 und 2009 noch 86% bzw. 88% so sind es in 2016 noch 40% und 2017 50%. Auch wenn der Grund für diesen Rückgang nicht ersichtlich ist, so sind es mögliche substituierende Faktoren: Selbstverwirklichung, Kommunikation und Wertschätzung. Unter ersterem fasst die Studie Begriffe wie Eigenverantwortlichkeit, Selbstmanagement und Gestaltungsmöglichkeiten zusammen, welche über den betrachteten Zeitraum mehr und mehr in den Fokus rücken.

Quelle: eigene Darstellung

 

Folgende Zitate sind hier bemerkenswert:

„Ich liebe es, dass ich meine Arbeit so gestalten kann, wie ich es für richtig halte. Natürlich muss ich meinen Chef über einige Entscheidungen informieren und mir auch mal seine Zustimmung einholen. Im Vergleich zu anderen Unternehmen, beschränkt sich dieses aber bei uns auf ein absolutes Minimum. Das heißt nicht, dass wir uns nur wenig austauschen, ganz im Gegenteil. Ich genieße es jedoch, dass ich meinen Chef eher als Sparringspartner und Ratgeber nutzen kann als in ihm eine Genehmigungsmaschine zu sehen.“

„Was ich besonders schätze ist, dass Vorgesetzte – auch der obersten Management-Ebene – gesprächsbereit und offen sind. Konstruktive Kritik wird gerne angenommen und Mitarbeiter werden ermutigt, ihre Anliegen und Wünsche vorzutragen.“

„Außerdem bin ich überzeugt, dass wirklich gute Entscheidungen und Ideen nur im Dialog entstehen bzw. ihr volles Potential entfalten können.“

„Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation.“

Sie zeigen, dass sich die Führungskräfte einen regelmäßigen, partnerschaftlichen und offenen Austausch mit ihren Vorgesetzten wünschen, der sie aber auch nicht in ihrer Entscheidungsfreiheit einschränkt. Doch nicht nur die Wichtigkeit dieser Faktoren steigt laut der Wittener Studie an – auch der Anteil derer, die nicht zufrieden mit deren Ausgestaltung in ihrem Unternehmen sind. Sind in den Jahren 2007 und 2008 noch ca. 30% der Personen nicht mit den Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung in ihrem Unternehmen zufrieden, so sind es 2013 schon 50% und 2017 83% die hier Verbesserungsbedarf sehen. Ein ähnliches Ergebnis ergibt sich bei genauerem Blick auf den Faktor Kommunikation. Halten sich positive und negative Einschätzungen von 2007 bis 2014 ungefähr in Waage (maximaler Unterschied 2008: 14%), so übertreffen die negativen die positiven 2016 um 20 und 2017 um 50 Prozentpunkte. Die Differenz aus proklamierter und gelebter Kommunikationskultur sowie die fehlenden flachen Hierarchien, lässt die Realität nicht die Wünsche der Führungskräfte treffen.

„Ich weiß aber auch, dass es nicht jedem so geht, und erlebe immer wieder aufs Neue, wie sich Kolleginnen und Kollegen von der scheinbaren Willkür in der Führung und starken Persönlichkeiten so sehr abschrecken lassen, dass sie schließlich schweigen und nur noch ‚Dienst nach Vorschrift‘ machen.“

„Ein weiteres Merkmal ist die nicht stark ausgeprägte Kritikkultur. Es wird zwar betont, dass eine offene Kommunikationskultur herrscht, jedoch habe ich in meiner gesamten Zeit noch keine wirkliche Kritik erhalten.“

„Leider werden diese Werte im Alltag nicht konsequent gelebt. Ein leidenschaftliches Plädoyer für ein Thema kann z. B. „zu undiplomatisch“ oder „zu wenig teamorientiert“ wirken. In aller Konsens-Orientierung bleibt zu wenig Raum für ehrliche Leidenschaft oder Geradlinigkeit. Belohnt wird Integrität bis hin zu Homogenität. Unbequeme oder offene Fragen gibt es in Führungskräfte-Meetings nur selten, obwohl offiziell die „Speak Up“ Kultur propagiert wird.“

„Die Organisation ist aufgrund der gelebten Hierarchie stark eingebremst und nicht transparent. Es kommt von oben nach unten nur die ‚stille Post‘ .“

„… beurteile ich die Situation für Frauen differenziert“

Auch Bemerkenswert ist die Wahrnehmung der Führungskräfte zum Thema geschlechtliche Diversity. Ist es bei männlichen Führungskräften fast gar nicht präsent – 3% sprechen eher am Rande darüber -, umso mehr ist es das bei weiblichen Führungskräften. Fast 40% der Frauen sehen es als bemerkenswert an. Diese Schere vergrößert sich noch betrachtet man Diversity im gesamten inklusive nationaler und kultureller Diversity (16% im Vergleich zu 70%).

Zwar beschreiben viele Frauen die positive Entwicklung der Diversity im Unternehmen, doch sie ist weiterhin ein Thema, welches Frust und den Wunsch nach Veränderung mit sich bringt. Das folgende Zitat verdeutlicht die Schwierigkeiten:

„So Frau sich durch Ausbildung (Studium, akademische Titel), praktische Erfahrungen und aktuelle Position auf Augenhöhe bewegt, ist das Geschlecht heute selten Thema. Erst mit dem Konflikt, der mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auftritt, stehen Frauen noch häufig vor einer Herausforderung. Selten ist hier ein Konflikt mit Kollegen maßgeblich, sofern die Rahmenbedingungen gleich bleiben. Häufig ist es ein sehr persönlicher und übergeordnet gesellschaftlicher Konflikt.“

Die Änderungen in Politik und Gesellschaft der letzten Jahre zeigen somit zwar Wirkung, doch ein finaler Zustand ist noch nicht erreicht – die weiblichen Führungskräfte sehen hier weiter Verbesserungsbedarf.

Den Mitarbeiter in den Mittelpunkt stellen…

… ist vermutlich einer der häufigsten Zielbilder der verschriftlichten Unternehmenskulturen – und auch die Studie des RMI kann nur feststellen: Selbstverwirklichung und Wertschätzung werden den Mitarbeitern immer wichtiger. Hierzu gehören nicht nur Kommunikation und ein genereller wertschätzender Umgang, sondern auch eine gesunde Fehlerkultur, die den Mitarbeiter nicht wegen eines Fehlers persönlich angreift, sondern lösungs- und zielorientiert ist.

„Eine offene Fehlerkultur und ein wertschätzender Umgang ist die Basis für zukunftsfähige Führung.“

„Unterstützende kulturelle Faktoren im Unternehmen sind Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern und ein respektvoller Umgang, auch im Rahmen von Kritik und Krisen.“

Was können Führungskräfte also mitnehmen aus dieser Studie? Sie ist eine Bestätigung für all die, die Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor sehen. Sie ist eine Mahnung an alle, die denken Menschen seien nur Kostenstellen mit Ohren. Und sie erinnert – mit ein wenig Pathos zum Schluss –an folgendes:

„Es kommt auf den Menschen an – eine verblüffende Wendung nach all den „Hypes“ mit „balanced score cards“, „force field analyses“, integrierten Managementsystemen etc. Und damit auf die Universalien des menschlichen Zusammenlebens und, wenn man so will, des menschlichen „Zusammenfunktionierens“: Freiheit, Wahrhaftigkeit, Respekt, Konstanz, natürlich auch Empathie und Solidarität.“

 

Die Veröffentlichung der Studie ist für Anfang Juli vorgesehen. Bei Fragen sprechen Sie uns gerne an.



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