Digitalisierung

„Dann kann ich´ s doch gleich selber machen …!“ – Droht durch die Schnelllebigkeit in der Digitalisierung das Ende der Delegation?

„Geschwindigkeit ist der 4. Produktionsfaktor!“ – diese Überschrift im Chart löst bei einem großen Teil des Auditoriums erwartungsgemäß immer Zustimmung aus. Spürt doch jeder an seinem Arbeitsplatz bzw. in seinem persönlichen Umfeld, dass das Leben irgendwie immer schneller zu werden scheint. Aber auch bei vielen Kunden zählt oft nur eines: SOFORT! Und Unternehmer und Führungskräfte denken bei Schnelligkeit natürlich auch an die globale Konkurrenz: Ein Trend bei neuen Produkten verpasst, schon kann es heute das Aus für ein ganzes Unternehmen bedeuten.

Es geht aber auch oft um die Frage: Bin ich als Unternehmen zur richtigen Zeit mit dem richtigen Produkt beim richtigen Kunden am richtigen Ort? Bin ich zu früh, kann der Schuss wegen mangelnder Kunden und fehlender Märkte nach hinten losgehen; bin ich zu langsam, sind Kunden schon versorgt oder Märkte bereits besetzt. Und das in einer Phase, in der durch die Digitalisierung traditionelle Arbeits- und Lebensmodelle grundsätzlich in Frage gestellt werden und unter dem Siegel der Partizipation eine „Führungsmode nach der anderen durch´ s Unternehmensdorf getrieben“ wird.

Für die zukunftsfähige Führung ergibt sich daraus ein unheilvoller Spagat im Umgang mit den Mitarbeitenden: Wie viel Druck darf ich ausüben bzw. wie viel Partizipation kann ich noch zulassen? Eine Professorin sagte einmal, die transformationale Führung – also die Führung über Werte und Sinnstiftung, Purpose und Zielvereinbarung etc. – sei nachweislich die beste und erfolgreichste Form der Führung. Wirklich? Kann man das in Zeiten steigender Ansprüche von Kunden und der Schnelllebigkeit von Trends noch so stehen lassen? Oder ist sie nicht mittlerweile sogar Teil des Problems?

Hinter der Digitalisierung verbergen sich viele Tabu-Themen

Immer öfter hört man mittlerweile aus dem „Maschinenraum“ vieler Organisationen ein leises Grummeln, ein verhaltenes Stöhnen. Und dass nicht nur aus einer falsch verstandenen Corporate Cultural Correctness. Dahinter verbergen sich regelrechte Tabu-Themen für die Organisationen und deren Führung: Wie gehe ich mit der Beschleunigung um? Wer hält mit den rasanten Entwicklungen noch mit, wer nicht? Kann ich überhaupt noch Anweisungen geben, ohne gleich als ewig Gestriger dazustehen, wenn doch alle Welt agil und partizipativ führt? An wen kann ich was delegieren?

Auslöser sind kleine wie große Aufreger: Ein Brief, der liegen bleibt, weil man nicht weiß, wo die Anschrift an den Verband recherchiert werden kann? Was, wenn jemandem erst immer ausführlich erklärt werden muss, wie was beim Formular, Vertrag oder Präsentation zu erledigen ist? – Einfach mal in alte Unterlagen schauen und anfangen! Braucht es eine ausführliche wochenlange Einarbeitung, weil man sonst nicht weiß, wie man was wann und wo machen soll? – Einfach mal im Kollegenkreis fragen! Kann man noch zeitnahe, umfassende Informationen an alle gewährleisten?

„Die Digitalisierung ist nicht nur wie das Jüngste Gericht“

Führungskräfte stellt das mitunter auf eine harte Probe. Und das in Zeiten, in denen sich durch den technologischen Wandel viele Arbeits-, Produktions- und Kommunikationsprozesse beschleunigen. Die Digitalisierung ist nicht nur wie das Jüngste Gericht, wie es einmal der Trainer Heiko Roehl beim Executive Training „Zukunftsfähige Führung“ formulierte. Sie scheint auch in den Unternehmen nicht zuletzt durch die Erwartungshaltung der Partner und Kunden grundsätzliche Fragen auszulösen: An wen kann ich Aufgaben delegieren? Wer ist bereit, von sich aus Verantwortung zu übernehmen?

Fatal wären nur zwei Reaktionen als Antwort auf diese Fragen: der Rückzug auf die Position „Dann mache ich es doch gleich lieber selber!“ und/oder die Leistungsträger noch mit zusätzlichen Aufgaben zu belasten nach dem Motto „Bevor ich A alles erklärt habe, gebe ich es lieber B, dann weiß ich, dass es wenigstens zeitnah fertig und ohne weiteres Zutun erledigt wird!“ Burn-out vorprogrammiert – in beiden Fällen! Wäre angesichts der vielfältigen Herausforderungen und rasanten Veränderungen in den Unternehmen nicht eher die Haltung angebracht: „Delegation – jetzt erst recht!“?

Delegation in Zeiten der Digitalisierung erfordert ein Umdenken

Zumindest bietet die heutige Arbeitswelt mit ihren Möglichkeiten durch Flexibilität, Agilität und Mobilität für beide Seiten durch Selbstorganisation und Eigenverantwortung unglaubliche Chancen an Freiraum und Gestaltungsmöglichkeiten gepaart mit Sinnstiftung. Aber nicht alle werden gleich beim Wort „Delegation“ Hurra schreien. Jeder sollte in sich gehen und für sich Klarheit schaffen: Will ich das? Denn die Delegation in Zeiten der Digitalisierung erfordert nochmals ein Umdenken bei Führung und Mitarbeitenden in gleicher Weise sowie bei der Gestaltung der Arbeitskultur:

  1. Nicht mit alten Instrumenten der Unternehmenskultur auf die Herausforderungen der Zukunft reagieren: Mitarbeiterbefragung, Stellenbeschreibung, Jahresgespräch – Tools aus dem 20. Jahrhundert. Sie gehören in der bisherigen Form auf den Prüfstand.
  1. Komplementaritätskompetenz bei allen Beteiligten im Umgang mit dem „sowohl-als-auch“ als Voraussetzung modernen Arbeitens: transformationale und transaktionale Führung werden sich abwechseln mit dem Anspruch einer kontextabhängigen, wirksamen Führung.
  1. Das Festhalten an Old School-Privilegien bei gleichzeitiger Inanspruchnahme von New Work-Methoden wird auf Dauer nicht möglich sein: An- und Abwesenheiten, Arbeitszeiten, Urlaube … es verlangt eine ständige Abwägung und Einhaltung von Rechten und Pflichten.
  1. Die Sicherstellung von Kooperation, Koordination und Kommunikation ist in einer agilen Arbeitswelt nicht mehr alleinige Aufgabe der Führungskraft: Kontinuierliche Abstimmungen verlangen Kooperations- und auch Konfliktfähigkeit zwischen den Mitarbeitenden.
  1. Es braucht sicherlich neue Lebens- und Karrieremodelle, die aber auch im Einklang mit den betrieblichen Anforderungen stehen müssen: Die Abgrenzung „Arbeit/Privatleben“ wird sich verschärfen und verlangt Prioritäten – dann aber auch mit allen Konsequenzen.
  1. Forderungen nach selbstbestimmtem Arbeiten mit der Delegation von Aufgaben verlangen konsequenterweise die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung: Re-Delegation bei Schwierigkeiten, Schuldzuweisungen bei Misserfolgen etc. passen dann nicht ins Bild.
  1. In der modernen Arbeitswelt verlieren mitnichten alte Tugenden an Wert – im Gegenteil: Die Bedeutung von Zuverlässigkeit, Disziplin, Integrität etc. steigt sogar noch, weil man aufeinander angewiesen ist und man sich aufeinander verlassen muss.
  1. Und am Ende steht über allem die Frage nach dem Vertrauen als neue Währung in der Arbeitswelt der Zukunft. Bedeutet dann aber auch für eine Führungskraft, nicht alle 30 Minuten nachzufragen, wie weit der Mitarbeitende denn schon mit der Aufgabe ist!

Nun ist das alles kein Buch mit sieben Siegeln – aber eben doch mit acht Anforderungen, die in vielen Organisationen so nur bedingt angesprochen werden können. Denn allzu oft überstrahlt der Glamour der modernen Arbeitswelt noch die damit verbundenen Pflichten. Noch verklären manch´ schöne Bilder aus dem Silicon Valley, dass auch dort tough Ergebnis und Performance eingefordert werden. Noch verheißen Scrum, Design Thinking etc. für viele die Machbarkeit aller Dinge, ohne sich der auch dort dahinterliegenden strikten Strukturen und Prozesse bewusst zu sein.

Die Digitalisierung wird ein Mehr an Delegation erfordern

Egal, welche Methoden man anwendet: Delegation erfolgt unter weitgehender Unsicherheit. Trotzdem das eindringliche Plädoyer: Wir leben und arbeiten in einer spannenden Zeit mit großartigen Möglichkeiten, um eben genau dieses Leben und diese Arbeit zu gestalten. Das sollten wir nutzen! Und das sollten wir zu würdigen wissen. Es ist für viele Arbeitsplätze und Berufe (noch) längst keine Selbstverständlichkeit. Nur sollte bedacht werden, dass auch in der neuen Arbeitswelt nicht nur Honey Moon vorherrscht und dass nicht alles in der „alten Unternehmenswelt“ schlecht war.

Gerade die Herausforderungen durch die Digitalisierung erfordern ein Mehr an Delegation, weil viele Entscheidungen vor Ort schneller und besser getroffen werden können. Nur sollte es nicht halbherzig geschehen – heute mal ein bisschen Delegation, so 64 % aber mit Rückversicherung. Man wird auch alleine sein bei manchen Entscheidungen, kann nicht immer alle partizipativ einbeziehen und auch nicht immer alle gleichzeitig informiert halten können. Aber auch das ist nicht neu, damit mussten auch schon viele Nachkriegs-Unternehmer leben und entscheiden.

Ja, Geschwindigkeit ist im digitalen Zeitalter Trumpf. Ja, alle werden sich neuen Regeln mit Rechten und Pflichten auferlegen müssen. Ja, man wird seine eigene Arbeitseinstellung, seine Prioritäten und Erwartungen ständig hinterfragen müssen. Ja, man wird wohl auch Konflikte aus seinem Verhalten und die Konsequenzen aus seinen Entscheidungen aushalten müssen. Alles nicht bequem. Aber deshalb gleich zurück zum alten Führungsmodell mit Anweisung und Gehorsam? Deshalb in der Komfortzone bleiben? Mitnichten, denn die große Zeit der Delegation kommt jetzt erst gerade …



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