Berufsleben gestalten – grenzüberschreitend!
„Dies ist ein Beitrag zur Blogparade #FutureBusiness von Stephan Grabmeier, dessen Initiative wir gerne unterstützen! Querzudenken und Köpfe zu öffnen halten wir für DIE Maßnahmen in herausfordernden Zeiten.“
Die skizzierten Dialoge zwischen den Kollegen Jakob Kunzlmann und Max Willinghöfer sind fiktiv aber realitätsnah. Sie hätten durchaus in dieser Form stattgefunden haben können.
Eine Provinz irgendwo in Deutschland. Zwei Kollegen arbeiten an der Vorbereitung für die Jury-Sitzung eines Unternehmenswettbewerbs. Es sollen Unternehmen ausgezeichnet werden, die sich in besonderem Maße gesellschaftlich engagieren, sei es für die eigenen Mitarbeiter:innen, die Umwelt, in der Lieferkette oder für das Gemeinwohl. Die beiden Kollegen gehen die Bewerbungen durch, fassen sie zusammen und recherchieren weitere Informationen. „Interessant!“ „Spannend!“ „Ja, finde ich gut!“ „Oh, das ist toll!“ sind die gängigsten O-Töne in diesen Tagen.
Bis zu einem Moment: „Hör mal! Hier ermöglicht ein Unternehmen seinen Auszubildenden während der Lehre eine gewisse Zeit in Afrika zu verbringen. Ist das nicht cool?“ Daraufhin der Praktikant: „Ja, und? Jede:r geht heute ins Ausland. Was ist daran so besonders? Machen die noch mehr?“ „Ich find’s schon irgendwie klasse, dass die ihre Lehrlinge im Rahmen der Ausbildung nach Afrika schicken. Wer hat heute schon so ein Ausbildungsprogramm? Das ist doch eher ungewöhnlich?!“
Viele junge Menschen verbringen mittlerweile eine gewisse Zeit im Ausland. Die Bundesregierung bietet mit den Angeboten der Ministerien und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) gute Möglichkeiten für einen organisierten Auslandsaufenthalt. Auch die Europäische Union hat mit dem Erasmus-Programm umfangreiche Möglichkeiten geschaffen, um die Auslandsmobilität von jungen Menschen zu erhöhen. Ein Auslandssemester während des Studiums ist heutzutage nahezu selbstverständlich. Auch wenn bei weitem nicht jede:r Studierende diese Chance nutzt oder nutzen kann, wird es von den Universitäten und dem Lehrpersonal dennoch unterstützt, sodass ca. jede:r dritte Studierende¹ einen studienbezogenen Auslandsaufenthalt absolviert.
Was bei allen Angeboten zur Förderung jedoch auffällt: Die Menschen, die sie nutzen, sind sich relativ ähnlich. Es werden vor allem junge Menschen zwischen 18 und 27 Jahren adressiert. Sie studieren häufig oder haben es noch vor und können sich einen Auslandsaufenthalt finanziell erlauben. Dass der Praktikant aus der oben skizzierten Konversation mit seinen 24 Jahren und einem Studienabschluss in Philosophie und Volkswirtschaft spontan sagt, dass jeder junge Mensch heutzutage ins Ausland gehe, ist deshalb nicht verwunderlich, bewegt er sich doch genau in dieser privilegierten Gruppe. Bei der Betrachtung anderer Gruppen, z. B. Nicht-Akademiker:innen oder Menschen über 30 Jahren, sieht die Sache hingegen anders aus. Nur ca. 5% der Auszubildenden² verbringen einen Teil ihrer Lehre im Ausland und auch unter Arbeitnehmer:innen über 30 Jahren ist das nicht verbreitet.
„Jakob, du bist doch über 30 oder nicht? Warum lebst und arbeitest du eigentlich nicht für ein paar Monate im Ausland? Reizen würde es dich doch bestimmt auch, oder?
„Ja, auf jeden Fall! Aber ich weiß nicht, was meine Freundin und unser Sohn davon halten. Ich denke, die freuen sich nicht gerade, wenn ich mich für mehrere Wochen oder Monate einfach mal verabschiede.“
„Naja, jetzt sei mal nicht so steif. Du kannst die beiden ja wohl einfach mitnehmen. Dann macht ihr eben mal ein kleines Abenteuer. Hast du schon mal überlegt, was dir das persönlich bringen kann?“
Die Zeit im Ausland prägt viele Menschen nachhaltig. Das Abtauchen in eine andere Lebenswelt, Kultur oder ein anderes soziales Milieu verändert häufig Sichtweisen und Einstellungen. Es ermöglicht eine Selbstreflexion der eigenen Kultur und Lebensweise, wie sie auf kaum eine andere Art erzielt werden kann. Menschen fangen an, sich und ihren Lebensstil zu hinterfragen. Der lange und intensive Kontakt zwischen Personen aus unterschiedlichen Kulturen, die der Auslandsaufenthalt ermöglicht, lehrt beide Seiten ein gegenseitiges Verständnis und einen respektvollen Umgang miteinander. Der interkulturelle Austausch fördert ein friedliches Zusammenleben, indem in kulturell-fremde Umwelten eingetaucht, gelebt und interagiert wird. Dies fördert auf beiden Seiten die Toleranz.
Gerade Auslandserfahrungen in Ländern des globalen Südens tragen erheblich zum eigenen Verständnis von globalen Wirkungszusammenhängen und Abhängigkeitsverhältnissen bei. Der Aufenthalt in anderen Ländern sensibilisiert Menschen für die Arbeits- und Lebensbedingungen dort. Sie erleben die Prozesse entlang von Lieferketten vieler alltäglicher Produkte, wie z. B. Smartphones und Schokolade. Viele beginnen bewusster zu leben und auch bewusster zu konsumieren.
„Ja, stimmt schon, nochmal mehrere Monate oder so im Ausland zu arbeiten würde mich bestimmt bereichern.“
„Ja, dann mach doch! Ich versteh nicht, was dich aufhält.“
„Ich glaube, du vergisst, dass ich hier angestellt bin. Außerdem weiß ich nicht, was meine Vorgesetzte dazu sagen würde. Stell dir mal vor, ich gehe jetzt einfach für ein paar Monate woanders hin, wer macht dann meinen Job hier? Und ich fange dort ja auch wieder bei null an, muss mich erstmal einarbeiten, kenne die Prozesse nicht …“
Ein Auslandsaufenthalt bringt nicht nur für die Mitarbeitenden persönlich einen Zugewinn, sondern hat auch für Unternehmen Vorteile. Sie profitieren davon, dass ihre Mitarbeiter:innen im Ausland neue Prozesse und Unternehmensorganisationen kennenlernen. Bei der Rückkehr ins eigene Unternehmen bringen sie dann einen neuen Blick auf die gewohnten Strukturen mit, der helfen kann, die eigenen Unternehmensabläufe zu hinterfragen und zu optimieren.
Auch der Punkt der Employer Branding (Arbeitgeber:innenattraktivität) spielt eine entscheidende Rolle. Für jüngere Arbeitnehmer:innen, insbesondere Auszubildende ist die Möglichkeit eines Auslandsaufenthalts sicherlich attraktiv. Gerade in Zeiten des demographischen Wandels, wo Fachkräfte rar sind, müssen Unternehmen ihrem Nachwuchs etwas bieten. Die Inform GmbH, die der Auslöser für das Gespräch der beiden Kollegen ist, und der Verein „Handwerk hilft“ „haben (…) gesehen, es gibt viele Projekte für Studenten, für Abiturienten, für ein freiwilliges soziales Jahr. Aber im Handwerk lebt das sehr wenig. Und da haben wir einen Bedarf gesehen. Auch um unserem Nachwuchs Werte anzubieten, die über fachliche hinausgehen. Diese Begeisterung, die ist auf rein fachlicher Basis bei jungen Handwerkern heute nicht zu wecken.“ (Peter Böhm Inform GmbH) Unternehmen können durch das Angebot, eine Zeit der Ausbildung im Ausland zu verbringen, an Arbeitgeber:innenattraktivität gewinnen und somit wieder mehr Menschen für die duale Berufsausbildung begeistern.
Denn vor allem dort führt solch ein Austausch zu einem starken Zuwachs an fachlicher Qualifikation. In verschiedenen Ländern gibt es auch verschiedene Arbeitsweisen und Methoden mit unterschiedlichen Materialien umzugehen. In Südamerika werden Techniken zur Holzverarbeitung angewendet, die hier nicht bekannt sind. Auch im Zuge neuer Herausforderungen durch den Klimawandel können landwirtschaftliche Anbaumethoden aus anderen Ländern hier immer mehr von Interesse werden.
„Du guckst ja immer noch skeptisch. Mach doch einfach!“
„Ich gucke skeptisch, weil wir so langsam mal weiterarbeiten und die Jury-Sitzung vorbereiten sollten. Für mich ist das gute Beispiel der Inform GmbH mit ihrem Ausbildungsprogramm Handwerk hilft e.V. übrigens einer der Favoriten in unserem Wettbewerb. Hast du mal geguckt, ob es Vergleichbares gibt?“
„Ich habe auf die Schnelle kein anderes Unternehmen gefunden, aber gesehen, dass es verschiedene Beratungsangebote in die Richtung gibt, z. B. von der IBS oder auch der IHK Berlin.“
„Warum machen das dann so wenige?“
Viel mehr Unternehmen sollten ihre Angestellten dabei unterstützen einen mehrmonatigen berufsbezogenen Auslandsaufenthalt zu wagen, sei es in der Ausbildung oder sei es bei bereits längerer Betriebszugehörigkeit. Organisierte Programme oder internationale Unternehmenspartnerschaften sollten auch einen beidseitigen Austausch erleichtern. Vorstellbar ist zum Beispiel, dass ein:e Angestellte:r aus Deutschland für mehrere Monate den Job mit einer Person aus einem anderen Land tauscht. Das sollte kein Einzelfall bleiben, sondern in die Unternehmenskultur als Chance zur Weiterentwicklung der eigenen Mitarbeiter:innen verstanden werden und allgemeine Selbstverständlichkeit sein, unabhängig von Position, Ausbildung, Tätigkeit und finanzieller Situation.
P.S. Die Inform GmbH ist Preisträger in der Kategorie „Handwerk“ des Wettbewerbs „Mein Gutes Beispiel 2019“.
_______________
¹Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), 2017. http://www.sozialerhebung.de/download/21/Soz21_hauptbericht.pdf
²Nationale Agentur Bildung für Europa beim Bundesinstitut für Berufsbildung (NA beim BIBB), 2018. https://www.na-bibb.de/fileadmin/user_upload/na-bibb.de/Dokumente/06_Metanavigation/02_Service/Publikationen_Warenkorb/Studien_impuls/NA_Mobilitaetsstudie_WebV3_180706-2.pdf
Kommentar verfassen