Gesellschaftliche Verantwortung

Gesellschaftliche Verantwortung des Managers und soziale Innovation – Geschichtliche Einblicke und aktuelle Herausforderungen (Teil 1)

Nicht erst seit viele Initiativen Nachhaltigkeit und Verantwortungsbewusstsein für unsere Welt anmahnen, sind sich viele Unternehmen ihres gesellschaftlichen Leistungsbeitrages bewusst. In Deutschland gibt es eine lange Tradition, dass Unternehmen und Unternehmerfamilien sich über ihren ökonomischen Auftrag hinaus für das Gemeinwohl engagieren. Zeit, sich nicht nur die Historie zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen ins Bewusstsein zu rufen, sondern damit auch einen Führungsauftrag zu definieren, der Wirtschaftlichkeit und Humanität für soziale Innovationen verbindet. Das Kompetenzzentrum möchte mit dieser Reihe bestehend aus drei Beiträgen Geschichte und Motive des gesellschaftlichen Engagements nachzeichnen und gleichzeitig den Diskurs über eine moderne Führung bereichern.

Lesen Sie im ersten Teil neben einer Einführung des Autors, was sich hinter dem Begriff der sozialen Verantwortung verbirgt …

 

Vorbemerkung des Autors

„Healthy business requires a healthy or at least a functioning society.
Social problems are dysfunction of society and degenerative diseases of the body politic. But for Management and above all business management they represent challenges…
And it is a poor business man, who thinks innovation refers to technology alone. Social change and social innovation have throughout business history at least as important as technology.” (Drucker 1993, S. 337)

Als Peter Drucker vor knapp einem halben Jahrhundert diese Aussagen machte, fanden sie wenig Gehör – weder in den Wissenschaften noch in der Managementlehre, die sich damals schon auf dem Irrweg befand, sich als Wissenschaft zu gerieren, anstatt davon auszugehen, dass es sich bei ihrem Gegenstand – ähnlich wie bei der Medizin – um einen von Wissenschaften unterbauten Beruf handelt.

In der Realität heute gehören Begriffe wie gesellschaftliche Verantwortung des Managers bzw. corporate social responsibility und soziale Innovation zum alltäglichen Sprachgebrauch von Politik, Wissenschaft, Managementlehre und zunehmend auch in der Zivilgesellschaft. Mehrere Millionen Links im Internet zu den o. g. Termini verdeutlichen diese Entwicklung nachdrücklich und bringen das zum Ausdruck, was eine Gesellschaft in ihren z. T. kontrovers geführten Diskursen beschäftigt. Sie zeigen, dass die Phänomene hinter diesen Begriffen der Gesellschaft problematisch geworden sind.

Ausgang meiner Überlegungen bildet das elitetheoretische Konzept Peter Druckers, vom Manager „as member of Society’s major Leadership Group“ und seine daraus resultierende Verantwortung für soziale Innovationen.

Im ersten Teil des Beitrags werde ich unter Anwendung dieses Konzepts von Drucker die Begriffe soziale Innovation und soziale Verantwortung bestimmen.

Der zweite Teil ist ein geschichtlicher Abriss über die Bedeutung sozialer Innovationen deutscher Unternehmensführungen seit 1945.

Im abschließenden Teil werde ich versuchen, die gesellschaftliche Aufgabe des Management für unsere Zeit aufzuzeigen.


 

Zur Begriffsbestimmung von sozialer Innovation und sozialer Verantwortung des Managers

„Der Unternehmer der Zukunft ist nicht mehr Kapitalist, sondern Manager … Er muss sehen, dass sein früher nur fachlicher, sachlicher Auftrag mittlerweile sich gewandelt hat in eine politische Aufgabe.“ (Reinhard Mohn 1974, S. 89f.)

„In a pluralist society, all institutions are of necessity political institutions… The Manager can no longer depend on the political process to be the integrating force, he himself has to become the integrator.” (Drucker 1980, S. 205)

Drucker definiert Innovation – ganz gleich ob technische, ökonomische oder soziale Innovation – zuallererst als „Arbeit“, als systematische Arbeit: “Innovation is work. It requires knowledge. When all is said and done, innovation becomes hard, focused, purposeful work making very great demands on diligence, on persistence, and on commitment. If these are lacking, no amount of talent, ingenuity, or knowledge will avail.” (Drucker 1985, S. 138)

Desweiteren bestimmt er Innovation als eine „konservative Tätigkeit“: „successful innovators are conservative. They have to be. The are not risk-focused: They are opportunity-focused.” (Drucker 1985, S.140) Diese Auffassung entspricht Druckers Verständnis von Reform als einer Variante sozialer Innovation und dessen Ursprung auf die Ideen des von ihm hochgeschätzten, britischen, politischen Philosophen und Politikers Edmund Burke zurückgehen. „Wann immer wir verbessern, sollten wir Raum für weitere Verbesserungen lassen, wir sollten uns umblicken und prüfen, was wir bewirkt haben. Dann können wir mit Zuversicht fortfahren, weil wir es mit Klugheit tun. Bei überhasteten Reformen dagegen, bei dem, was man mit mehr Eifer als Überlegtheit ‚ganze Arbeit‘ nennt, ist alles meist so unausgereift, schroff und unverdaut.“ (Burke 1839, S.163f.)

In diesem Zusammenhang betont Drucker zwar immer wieder die überragende Wirksamkeit sozialer Innovationen (Drucker 1985, S. 31ff.), doch lag der Schwerpunkt seines Interesses weder auf der Klassifizierung von Innovationen noch auf der Frage, ob eine Innovation Produkt eines laufenden Veränderungsprozesses ist oder selbst Verursacher von technisch-ökonomischem und gesamtgesellschaftlichem Wandel. Das Ergebnis der Innovation steht für Drucker im Mittelpunkt: „The test of an innovation is whether it creates value.“ (Drucker 1999, S. 86)
Im Schaffen von Werten liegt der Sinn einer Innovation, sowohl für die „Quantities of life“, das sind die materiellen Voraussetzungen für das Leben des Einzelnen in der Gesellschaft, als auch für die „Qualities of life“ und das heißt, „to make social values and beliefs, create freedom for the individual and produce the good society“ (Drucker 1993, S. 319), also auf ein asymptotisches Annähern an eine für alle Bürger lebenswerten, erträglichen Gesellschaft – wie Drucker es nannte – hinzuarbeiten. (Drucker und Paschek 2004, S. 225f.)

Hieraus resultiert für ihn – wann immer wirtschaftlicher oder technischer Fortschritt sich abzeichnet – die Pflicht des Managers, die Frage zu stellen, inwieweit man auch von einem gesamtgesellschaftlichen Fortschritt sprechen kann. „Was bei alldem aus dem Menschen wurde, aus seiner Selbstbestimmung und Gewissensfreiheit.“ (von Martin 1956, S. 15) Nur dann ist es möglich, rechtzeitig die sozialen Probleme zu identifizieren, die aus diesem technisch-ökonomischen Fortschritt resultieren könnten, sowie die zur Lösung erforderlichen sozialen Innovation zu erarbeiten und zu realisieren.
Die Verantwortung für die Gestaltung des sozialen Fortschritts und damit auch für soziale Innovationen, auch im gesellschaftlich-politischen Bereich wurde – so Drucker – in der modernen Gesellschaft der Organisationen als Folge der Herausbildung des Managements zu „Society’s major Leadership Group“ von einer Staatsaufgabe zu einer Aufgabe des Management dieser Organisationen. (Drucker 1986, S. 341ff.)

Der Begriff „Society’s major Leadership Group” – die führende Gruppe in der Gesellschaft – entspricht dem soziologischen Elitebegriff. Nach Auffassung Druckers, haben die Manager als diese Gruppierung, speziell die Wirtschaftsmanager, im Zuge der Entwicklung der modernen Industriegesellschaft das „Kommando“ über den Einsatz der gesellschaftlichen Ressourcen übernommen. Sie tragen damit die Verantwortung für die „kompetente“ Verwendung dieser Ressourcen. Und so Drucker weiter: „It is, therefore, only logical that they are expected to take the leadership role and take responsibility for major social problems and major issues.“ (Drucker 1993, S. 319)

Im Zuge der Herausbildung der Wirtschaftsmanager als die führende Elite der Gesellschaft sah er zwei weitere, folgenreiche, gesellschaftliche Veränderungen. Zum einen die wachsende Skepsis gegenüber den politischen Eliten und zweitens die zunehmende Bedeutung der immateriellen Qualitäten des Lebens, nachdem der weitaus überwiegende Teil der Gesellschaften in den entwickelten Ländern zu materiellem Wohlstand gekommen war.
Hieraus ergaben sich – so Drucker – für den Manager, speziell für den Wirtschaftsmanager neue Anforderungen: Der Bestand der modernen Gesellschaft ist zukünftig nicht nur allein abhängig von den ökonomischen Leistungen ihrer Manager, sondern auch von deren Werthaltungen.
Er forderte die Wirtschaftsmanager auf, die sozialen Werte und Überzeugungen wirksam zu machen für eine Gesellschaft, die den Anspruch eines jeden Einzelnen auf ein lebenswertes Leben ernst nimmt, und in der man – im Rahmen des Möglichen – nicht nachlässt, die Voraussetzungen für diese erträgliche Gesellschaft zu schaffen.
Er schließt daran eine Forderung, die heute mehr denn je Relevanz hat: „The demand requires new thinking and new action on the part of the managers. It cannot be handled in the traditional manner. It cannot be handled by public relations.” (Drucker, ebd.)

Unter dem Titel “Can the Democracies Win the Peace?” veröffentlichte Peter Drucker 1995 einen Beitrag im Atlantic Monthly, den er mit folgenden Worten einleitete: „Communism has lost the Cold War. Now the Democracies have to win the Peace. They may be harder, as all history teaches. For forty years now it was enough that the Democracies were infinitely – and visibly – better. Now they are expected to be good. They are being measured now against their own performance. Now the Democracies have to re-think and to re-form.” (Drucker 1995, S. 307)

In dem eben zitierten Artikel formuliert Drucker auch sein politisches Credo. Es setzt seinem Werk das Leitbild und ist gekennzeichnet durch zwei Wesensmerkmale:
Zum einen sieht er im demokratischen Rechtsstaat – wird er denn als zukunftsträchtiges Projekt gestaltet und weiterentwickelt – die einzige Lebensform, in der alle Menschen einer Gesellschaft die Möglichkeit haben, ein Leben in Würde und Freiheit zu führen.
Zum anderen ist für Drucker die Schaffung einer materiellen Kultur, d. h. materieller Wohlstand, die unerlässliche Voraussetzung, damit die kulturelle Errungenschaft „Demokratischer Rechtsstaat“ dauerhaft Bestand haben kann. Wie die materielle Kultur die Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie darstellt, so ist diese wiederum, laut Drucker, Bedingung für eine dauerhaft nachhaltige Wirtschaftsentwicklung. (Drucker a.a.O., S. 334ff.)
Zur Vermeidung einer Fehlinterpretation des gesellschaftsphilosophischen Konzepts von Drucker sei an dieser Stelle noch einmal auf sein Verständnis von Wirtschaft, Management und Gesellschaft hingewiesen. Immer wieder hat er betont, dass „die erste gesellschaftliche Verantwortung des Wirtschaftsmanagers darin besteht, den entsprechenden Profit zu erwirtschaften, der die zukünftigen Kosten und Risiken deckt. Ist diese Aufgabe nicht erfüllt, kann keine andere erfüllt werden.
Erfolglose Unternehmen in einer Krisen geschüttelten Wirtschaft sind weder gut noch sind sie in irgendeiner Form zum Nutzen der Gesellschaft.” (Drucker 1986, S. 339)

Zusammenfassend lässt sich zu Peter Druckers Verständnis von Management als gesellschaftlicher Aufgabe folgendes festhalten:
Da der demokratische Rechtsstaat als Rahmenbedingung für den dauerhaften ökonomischen Erfolg eine unerlässliche Rahmenbedingung darstellt, gehört es zur gesellschaftlichen Verantwortung des Managers, richtungsweisend an der Gestaltung der politischen Kultur unserer Gesellschaft mitzuwirken: „Kultur gestalten heißt für Drucker, „to re-think, to re-form und gegebenenfalls to re-invent“ – aber keineswegs im Sinne von neu erfinden, sondern in der Bedeutung von „to bring into use again“. Ein zentrales Instrument zur Gestaltung von Kultur ist die soziale Innovation und die ist laut Drucker zu einer Managementaufgabe geworden.

Wie haben die Manager in der Realität der jüngsten Geschichte gesellschaftliche Verantwortung wahrgenommen? Haben sich im Geschichtsverlauf Schwerpunkte und Spektrum dieser Verantwortung gewandelt? Wenn ja, wie? Zeigt der gesellschaftliche Prozess, dass soziale Innovation von einer Aufgabe des Staates zu einer Managementaufgabe geworden ist, wie es Drucker konstatierte?

Der zweite Abschnitt versucht, auf diese Fragen erste Antworten zu geben.


Hier finden Sie den ausführlichen Literaturnachweis



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