Gesellschaftliche Verantwortung des Managers und soziale Innovation – Geschichtliche Einblicke und aktuelle Herausforderungen (Teil 2)
Nicht erst seit viele Initiativen Nachhaltigkeit und Verantwortungsbewusstsein für unsere Welt anmahnen, sind sich viele Unternehmen ihres gesellschaftlichen Leistungsbeitrages bewusst. In Deutschland gibt es eine lange Tradition, dass Unternehmen und Unternehmerfamilien sich über ihren ökonomischen Auftrag hinaus für das Gemeinwohl engagieren. Zeit, sich nicht nur die Historie zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen ins Bewusstsein zu rufen, sondern damit auch einen Führungsauftrag zu definieren, der Wirtschaftlichkeit und Humanität für soziale Innovationen verbindet. Das Kompetenzzentrum möchte mit dieser Reihe bestehend aus drei Beiträgen Geschichte und Motive des gesellschaftlichen Engagements nachzeichnen und gleichzeitig den Diskurs über eine moderne Führung bereichern.
Lesen Sie im zweiten Teil, welche Entwicklung Unternehmensführung und soziale Innovation seit 1945 genommen haben ….
Unternehmensführung und soziale Innovationen in Deutschland seit 1945
„In the half-century after second world war, the business corporation has brilliantly proved itself as an economic organization, that is the creator of wealth and jobs.” (Drucker 2003, S. 230)
“Materielle Kultur ist eine notwendige Vorbedingung der seelischen und geistigen; und insoweit sie das ist, hat sie also eine unentbehrliche Funktion. ‚Erst kommt das Fressen…., das sagt nur mit der Freude an drastischer Form dasselbe wie das ‚primum vivere‘ …“ (v. Martin 1974, S. 72f.)
Wesentlicher Faktor für die Stabilisierung des politischen Systems der Bundesrepublik sowie für die Entspannung sozialer Verteilungskämpfe war die Schaffung materiellen Wohlstands für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung.
Diese Prosperität konnte sich auf der mehr als soliden Basis eines Sozialprodukts und damit auch eines Volkseinkommens entwickeln, das sich – nachdem Anfang der 1950er Jahre der Vorkriegsstand wieder erreicht war – bis zu Beginn der 1980er Jahre pro Kopf der Bevölkerung fast vervierfacht hatte.
Fleiß und harte Arbeit aller Bürger und ihr „Glück der Tüchtigen“ bildeten hierfür sicherlich eine notwendige Voraussetzung. Unerlässlich aber war die erfolgreiche Lenkung und Führung der Prozesse und Strukturen, die dieses Ergebnis ermöglichten, durch die Unternehmer und Wirtschaftsmanager jener Zeit. Indem sie ihre erste gesellschaftliche Verantwortung – das wirtschaftliche Ergebnis – in besonderem Maße erfüllten, schufen sie die materielle Grundlage für die Gestaltung stabiler Formen eines demokratischen Rechtsstaates und machten die Wirtschaft noch dazu zu einem Vehikel für die nationale Identifikation der Westdeutschen: „Die Geschichte der Bundesrepublik ist vor allem ihre Wirtschaftsgeschichte. Nichts hat den westdeutschen Staat stärker geprägt als seine wirtschaftliche Entwicklung. Auf keinem anderen Gebiet sind seine Leistungen greifbarer als dort: Ihnen verdankt die zweite, die westdeutsche Republik jene Stabilität und Handlungsfreiheit, die der Republik von Weimar gefehlt haben. Um des westeuropäischen Wiederaufbaus willen gegründet, ist die Bundesrepublik mit ihrer Wirtschaft groß geworden. Heute messen sich ihr Ansehen und ihre Stellung in der Welt nicht am Status eines geteilten und in seinen Lebensfragen von Großmächten abhängigen Landes, sondern an seiner wirtschaftlichen Macht.“ (Abelshauser 1983, S. 8)
Bei all diesen ökonomischen Leistungen sollte nicht in Vergessenheit geraten, welche erheblichen politischen Anpassungen und Neu-Orientierungen seitens der Unternehmer nicht nur in der unmittelbaren Nachkriegszeit vollzogen werden mussten. So standen am Anfang beachtenswerte Verluste vertrauter, unternehmerischer Entscheidungsgewalt durch Verhaftungen, Arbeitsverbote, Zerschlagungen, Demontagen und Kartellverbote. Vor allem aber forderte die neue Ordnung von der Unternehmerschaft Akzeptanz signifikanter gewerkschaftlicher Einflussnahme verbunden mit der Forderung nach betrieblicher Mitbestimmung und Mitbestimmung auf Unternehmerebene. Hinzu kam der Kalte Krieg und die Gewöhnung an das neue Verhältnis zu den USA als auch an die parlamentarische Demokratie.
Dennoch erhoben sich sehr früh in der deutschen Unternehmerschaft bzw. im deutschen Management gewichtige Stimmen, die es als eine gesellschaftliche Aufgabe der Führungskräfte der Wirtschaft ansahen, Politik und Wirtschaft richtungsweisend mitzugestalten.
So lieferten schon zu Beginn der 1950er Jahre intellektuelle Vordenker aus dem Management wesentliche Beiträge zur Neuorientierung der Führungskräfte hinsichtlich ihrer Stellung in der Gesellschaft und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung über die ökonomische Leistung hinaus. Zu diesen vorausschauenden Persönlichkeiten gehörte z. B. Ernst Wolf Mommsen, zu jener Zeit Vorstandsmitglied von Phönix Rheinrohr, mit seinem Konzept der Verantwortungselite: „Der Typ des unternehmerischen Menschen in der Wirtschaft und sein Verhältnis zur Arbeitswelt insgesamt haben sich grundlegend geändert. Während noch eine gar nicht lange zurückliegende Zeit den erfolgreichen Einzelunternehmer als Prototyp des unternehmerischen Menschen ansah, steht heute in zunehmendem Maße der mit der Führungsaufgabe auf wirtschaftlichem Interesse Betraute im Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Er ist zum Gesellschaftsfaktor allererster Art geworden.“ (Mommsen 1955, S. 344)
Ähnlich argumentierten 1954 Gustav Stein und Herbert Gross vom Bundesverband der deutschen Industrie in ihrem Buch „Unternehmer und Politik“, das der Erstgenannte in der ZEIT vom 18.11.1954 mit folgenden Worten ankündigte: „Wir alle sind hierbei der Überzeugung, dass ein entscheidender Anteil an einer guten Entwicklung auch dem deutschen Unternehmertum zufällt, ja, dass von seiner Bereitwilligkeit, führend in die gesellschaftliche und politische Gestaltung des Staatswesens einzugreifen, viel abhängt. Oder glaubt heute wirklich jemand, es sei noch mit einer guten Bilanz und einer rationellen Produktion getan, oder es sei gleichgültig, ob die Fabriken für Tyrannen arbeiten oder der persönlichen Freiheit dienen? Somit geht es entscheidend um das Vorbild, um das Vorangehen in die Politik. Eine schwierige Aufgabe, gewiss, aber eine unvermeidliche, wenn überhaupt das Zusammenleben freier Menschen erstrebt wird.“ (Stein 1954)
Diese Standpunkte erreichten jedoch nie die Diskurse einer breiten Öffentlichkeit und auf die Weltsicht der Wirtschaftsmanager war ihr Einfluss eher gering. Noch bis heute stehen große Teile des Managements in Deutschland – wie eine repräsentative Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung belegt (Walter und Marg 2015) – der parlamentarischen Demokratie verhalten skeptisch gegenüber. Vor allem sehen sie Politik und Wirtschaft als zwei voneinander getrennte Bereiche an, mit unterschiedlichen Strukturen, Regeln, Aufgabenstellungen und Akteuren.
Der in der Tendenz skeptischen Haltung vieler Unternehmer und Manager hinsichtlich der liberalen Demokratie standen von Beginn der Bundesrepublik an zumindest bis zum Ende des Kalten Krieges gewichtige und mehr als kritische Strömungen innerhalb der Gewerkschaften, der Sozialdemokratie und aus großen Teilen der in den späten 1970er Jahren parteipolitisch institutionalisierten, außerparlamentarischen Opposition gegenüber. Diese vertraten die Auffassung, dass eine „Neuordnung der ökonomischen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg ausgeblieben war“, da es vor allem „der unternehmerischen Interessensvertretung und der Publizistik gelungen sei, die zunächst in weiten Kreisen der deutschen Öffentlichkeit dominierende, antikapitalistische Stimmung zugunsten der Befürwortung des marktwirtschaftlichen Systems bundesrepublikanischer Ausprägung zu verdrängen.“ (Schneider 1973, S. 244f.) Dadurch würde die „parlamentarische Ordnung auf die Funktion als Garant der unternehmerischen Freiheit und Freiheit der Marktwirtschaft reduziert.“ Dagegen hilft – so das damalige Verständnis – keine soziale Marktwirtschaft, sondern eine soziale Demokratie, mit einer „demokratisierten“ Wirtschaft, was nichts anderes bedeutet, als eine Rätedemokratie im begrifflichen Schafspelz und einer damit verbundenen Infragestellung des Privateigentums. Die Sorge der Manager um den Zusammenhalt der Gesellschaft war also nicht gänzlich unbegründet.
Vor dem Hintergrund der eben skizzierten politischen Konstellationen wird das Verhalten der Unternehmer und Manager in Bezug auf die sozialen Innovationen verständlicher, die nicht nur das Verhältnis in der Zusammenarbeit zwischen Mitarbeiter und Managern neu bestimmten, sondern auch maßgeblich zum Wandel der politischen Kultur der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft beigetragen haben und später als Gesetzgebung institutionalisiert wurden. Hierzu gehören zuallererst die Konzepte zur betrieblichen Mitbestimmung und zur Mitbestimmung auf Unternehmensebene, aber auch die Vielzahl der Projekte zur Humanisierung der Arbeitswelt. (vgl. Kaste 1981)
Insbesondere bei und nach den Verhandlungen und Diskursen um die Mitbestimmung, ließen sie unternehmerische Initiativkraft vermissen und leisteten der Drucker‘schen Forderung „to provide social cohesion, before one reacts to somebody else’s proposal“ (Drucker 1980, S. 213) wenig Folge. Als sich z. B. nach Verabschiedung des Montanmitbestimmungsgesetzes 1951 die von diesem betroffenen Führungskräfte kooperationsbereit zeigten, quittierten dies nicht wenige Top-Manager aus den „verschonten“ Branchen – speziell aus der mittelständischen Industrie – mit massiver Kritik. „An der Ruhr erkrankt“, lautete das geflügelte Wort, mit dem diejenigen abgewertet wurden, die sich der Herausforderung der neuen Rahmenbedingungen offensiv – mit einem Wort: unternehmerisch – stellten.
Ähnlich war das Verhalten gegenüber dem Betriebsverfassungsgesetz von 1952. Als Folge hieraus entstanden unter anderem beachtliche Kosten, z. B. durch verlorene Arbeitsgerichtsprozesse, die – das war die Regel – von Arbeitgeberseite schlecht vorbereitet waren.
Diese ignorante Haltung von Teilen der Wirtschaftselite gegenüber neuen Realitäten wiederholte sich unter anderem vor und nach Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes von 1972 und des Mitbestimmungsgesetzes von 1976.
Erst gegen Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre gingen die deutschen Wirtschaftsmanager dazu über, offensiver und initiativer mit Themen umzugehen, die ihre gesellschaftliche Verantwortung jenseits der ökonomischen Leistung betrafen. Zu jener Zeit war der Kalte Krieg noch im vollen Gange. Die sich zunehmend verschlechternde wirtschaftliche Lage, insbesondere in der Montanindustrie, und die internationale Währungskrise 1971/1972 führten zu weiteren Verunsicherungen. Hinzu kam, dass die Studenten der 68er Bewegung die marxistische Ideologie wieder „salonfähiger“ gemacht hatten und es seit 1969 die erste sozialdemokratische Bundesregierung unter Willy Brandt gab, der in seiner Regierungserklärung ankündigte: „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ All dies erschütterte die alten Orientierungen und gesellschaftlichen Gleichgewichte und indizierte einen Wandel in Politik und Gesellschaft, dem sich die Wirtschaftselite stellen musste und stellte.
Besonders hervorzuheben in diesem Kontext sind die anfangs viel beachteten Sozialbilanzen, mit denen zu Beginn der 1970er Jahre zahlreiche namhafte Unternehmen von Bertelsmann bis Xerox ihre Leistungen für die Gesellschaft dokumentierten.
Der Sozialbilanz lag das Verständnis zugrunde, dass der Wandel des Unternehmens von einer wirtschaftlichen zu einer gesellschaftlichen Institution eine größere Rechnungslegung im Hinblick auf die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens erforderlich macht, also eine Art Gesellschaftsbezogenes Rechnungswesen, ein „corporate social accounting“.
Das Ziel dieser Innovation in der Kommunikation zwischen Unternehmen und Gesellschaft lag vor allem daran, durch Versachlichung der emotionalisierten Diskussionen über Marktwirtschaft und Kapitalismus zu einer verantwortlichen Meinungsbildung und damit zur Stabilisierung der Gesellschaft beizutragen. Dementsprechend heißt es in der ersten dieser Sozialbilanzen, erstellt von der Firma Steag AG Essen: „Wir wollten nichts weiter, als in dem Feld der diffusen Angriffe auf das freie Unternehmen eine Form der Selbstdarstellung finden für jene erstaunlich hohen Leistungen der Unternehmen, die über die Erwirtschaftung eines Kapitalertrags hinausgehen.“ (Hemmer 1996, S. 796)
Die Sozialbilanzen erreichten allerdings nie eine breite Öffentlichkeit und das Interesse des Managements an ihnen verebbte Mitte der 1980er Jahre. Sie fanden jedoch in abgewandelter Form eine Weiterentwicklung in der Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen, nachdem sich die kritischen Fragen der Gesellschaft an die Unternehmen von der politischen auf die ökologischen verlagert hatten. (Hemmer a.a.O., S. 797) Das Ende des Kalten Kriegs und die Entzauberung der kommunistischen Utopie beschleunigten diese Verlagerung.
Die Nachhaltigkeitsidee basiert zwar auf dem sogenannten „Drei-Säulen-Modell“, d. h. der Gleichwertigkeit von ökonomischen, ökologischen und sozialen Zielen eines Wirtschaftsunternehmens. Doch die sozialen Innovationen, die in diesem Zusammenhang bisher realisiert wurden, zielten in erster Linie auf den Umgang des Menschen mit seiner natürlichen Umwelt.
Mit Sicherheit entstanden im Zuge dieser Entwicklung zum Teil skurrile und alberne Überformungen. Man denke nur an das Nachhaltigkeitshumanwissenschaften-Studium mit MBA-Abschluss zum Nachhaltigkeitsmanager.
Insgesamt betrachtet aber, überwiegen bei weitem die äußerst positiven Wirkungen der Nachhaltigkeitsbewegung auf den Einzelnen und die Gesellschaft. Fragen des Umwelt- und Naturschutzes wurden zum Mittelpunkt des öffentlichen Alltagsdiskurses und die Leistungen der Unternehmen auf dem Gebiet der ökologischen Nachhaltigkeit – indem sie das Nachhaltigkeitskonzept in ihre Unternehmensführung integrierten – verdienen hohe Anerkennung. Hier bewahrheitete sich de Tocquevilles Wort, dass „nicht nur das Nützliche ehrenwert sein kann, sondern auch das Ehrenwerte nützlich.“ (de Toqueville 1985, S. 257)
Der letzte Teil befasst sich mit der Verantwortung des Managers
Hier finden Sie den ausführlichen Literaturnachweis
Kommentare
Danke, lieber Herr Paschek, für Ihren Blog, der doch an manchen Stellen zum intensiveren Nachdenken anregen sollte. Er wirft nochmals ein interessantes Licht auf die Vergangenheit und die historische Entwicklung einer nachhaltigen Unternehmensführung. es sind m. E. zwei Aspekte, die wir uns immer mal wieder in Erinnerung rufen sollten: (1) Allein schon dadurch, dass Unternehmen Beschäftigung und damit Wohlstand ermöglicht oder gesichert haben, wird durch Unternehmer ein wichtiger gesellschaftlicher Beitrag geleistet. Wenn dies dann auch noch durch eine mitarbeiterorientierten Form – wie z. B. durch Unternehmer wie Reinhard Mohn – erfolgt – umso besser und vorbildlicher! Und (2) gilt es sich bewusst zu machen, wie dies immer auch mit Verteilungsfragen teilweise auch -kämpfen einherging und es eines intensiven Diskurses zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite bedurfte. Vielleicht kann man aus der Vergangenheit einiges lernen, wie es auf jeden Fall nicht geht … oder wie es dann doch gehen kann? Mich hat das Buch “ The Enlightened Capitalists“ von Professor James o´Toole mit vielen Unternehmerbiographien bewegt. Fazit: Es hat immer mit den Werten eines Unternehmers zu tun und seiner Fähigkeit, diese an zukünftige Generationen weiterzugeben …