Wenn Krisen ehrlich machen: Das war das Camp Q DiQital 2020

Premierenstimmung lag in der Luft. Alles anders – das galt in diesem Jahr auch für das Camp Q. Statt wie geplant in der Berliner Kalkscheune trafen sich 120 querdenkende Führungskräfte aus ganz Deutschland im digitalen Raum. Hoch über den Dächern Berlins, mit Blick auf Fernsehturm, Domkuppel und kreisende Möwen, bildeten ‚echte Menschen’ den analogen Kern der Veranstaltung. Die Moderatoren Miriam Janke und Stephan Grabmeier navigierten das Publikum gekonnt durch ein komplexes Online-Event.

Bereits vor dem offiziellen Start der Veranstaltung nahmen sie die Teilnehmenden in die Pflicht, die Konferenz mitzugestalten. „Wenn Krisen ehrlich machen …“ über 70 Teilnehmer vervollständigten diesen Satz über das Konferenz-Tool auf dem Bildschirm und machten so ihre ganz persönliche Reflexion für alle sichtbar; wenig später kamen sie bereits in Murmelgruppen zusammen, um sich im geschützten Raum über ihr jeweiliges „Business Unusual“ auszutauschen.

Vorteil des digitalen Formats: Schwarmintelligenz wird unmittelbar spürbar, die Teilnehmenden kommen in die Lage, aus der sozialen Distanz sehen zu können, was die anderen bewegt: Von Konzentration auf das Wesentliche war da zu lesen, vom Entstehen neuer Entscheidungsräume, von der Jonglage zwischen Homeoffice und Homeschooling, von Wahrhaftigkeit und Solidarität – „hilft digitale Berührung gegen Einsamkeit?“ so verdichtete die Lyrikerin und Slam Poetin Dominique Macri, zugeschaltet über Bildschirm. Die Rückmeldungen zum Camp Q zeigen: Das ist offenbar gelungen.

„All you need is less“

Am digitalen Lagerfeuer sprach Miriam Janke in dschungeliger Atmosphäre mit Nachhaltigkeitsforscher und Wachstumskritiker Niko Paech. Paech ist sich sicher: „Unser Handeln ist ökologisch ruinös.“ Die einzige Lösung sieht er darin, Ressourcen global gerecht zu verteilen. Und im radikalen Verzicht auf alles, was nicht wirklich nötig ist. Jedem Menschen auf der Erde stehe eine Tonne CO2 pro Jahr zu. Menschen müssten zu Selbstversorgern werden, um das zu erreichen – was nicht bedeuten muss, dass wir alle Tomaten anbauen. „Das kann auch heißen, ein zehn Jahre altes ThinkPad zu reparieren oder sein Auto mit zehn anderen zu teilen“.

Paech ist selbst regelmäßiger Gast im Repair-Café, er verzichtet auf Flugreisen und ernährt sich vegetarisch. Seine Botschaft: Wissen reicht nicht, man muss es tun. Er betont die Rolle der Avantgarde, und richtet sich damit an die Querdenkenden, die mit ihm im virtuellen Raum sitzen: „Jeder kann sich fragen: In welcher Position bin ich, und was kann ich von hier aus bewegen? Wem kann ich mich anschließen?“ Die Politik brauche Menschen, die zeigen, dass Dinge gewollt und möglich sind. „Die Zivilgesellschaft ist dran. Wir können durch unser eigenes praktisches Handeln der Politik zeigen: Wir sind bereit.“ Die Frage aus dem Publikum, wie man andere ohne Schuldzuweisungen davon überzeugen könne, ökologisch sinnvoller zu handeln, beantwortet er kompromisslos: „Das geht nicht konfliktfrei. Wir brauchen einen Aufstand der Handelnden“.

„Viele kluge Köpfe ans denken bringen“

Nach einer Pause für Geist und Körper, musikalisch und sportlich inspiriert durch den Improschauspieler Stephan Ziron, wurde Liz Mohn zugeschaltet. Die Stellvertretende Vorsitzende des Vorstandes der Bertelsmann Stiftung umarmte die Gäste „mit den Augen“ und sprach ein Grußwort voller Herzenswärme und deutlich fühlbarer Sorge. „Wir leben in einer sehr zerrissenen Welt“, sagte Mohn, „unser gemeinsames Anliegen muss sein, dass wir Wirtschaft und Politik zukunftsfähig gestalten. Wir sollten viele kluge Köpfe ans Denken bringen, umso erfolgreicher werden wir sein.“ Sie wandte sich direkt an die Konferenzgäste des Camp Q: „Denken Sie positiv! Machen Sie Menschen Mut auf dem Weg der Veränderung.“

Als eine weitere Vertreterin der klugen Köpfe trat Maja Göpel, Transformationsforscherin und Scientist for Future, mit einem faktendichten und dringlichen TED-Talk ans Podium.

„Raumschiff Erde“

Die Corona Krise sieht Göpel als Chance: „Wir haben gesehen: Dinge können ganz schnell gehen, wenn nur genug Druck da ist.“ Die Gesellschaft habe eingeübt, auf Wissenschaftler*innen zu hören. „Flatten the Curve, dieses Prinzip haben jetzt alle verstanden.“ Das gelte es nun auf die CO2-Emissionen anzuwenden. „Ab diesem Jahr sollte die Emissionsrate nicht mehr steigen.“ Das Umweltthema sei „nicht mehr weich und grün und nett.“ Die ‚Normalität’, die Zeit vor der Krise, nach der alle sich zurücksehnten, sei nichts anderes als eine „Weltrisikogesellschaft“, die auf „Schadschöpfung“ basiere. Das gelte es anzuerkennen. Die Menschheit sei bereits dabei, die Erde massiv zu verändern. Nicht zu reagieren bedeute, sehenden Auges unumkehrbare Veränderungen einzuläuten. Göpel wirbt für das „Team Mensch-Erde“, und verweist auf die Gründerväter der Europäischen Union. „Die haben auch nicht lamentiert, was alles nicht geht, die hatten eine Vision. Ich wünsche mir ein Wollen!“

Dass man sich mit Enthusiasmus und Veränderungswillen nicht immer Freunde macht, davon wusste per Videoschalte Alumna Franziska Weißbach zu erzählen. Die Intrapreneurin / Strategy & Business Development der ING Deutschland fühlt sich „manchmal wie ein Alien“ in ihrer eigenen Organisation. „Ich stelle häufig fest, dass ich weiter denke, größer, freier, dass ich Standards nicht hinnehme, sondern in Frage stelle. Das schafft ein Gefühl von Fremdheit, weil man andere stört.“ Querdenker fahren Achterbahn, zwischen Energieschüben der Verständigung und Tiefen des Ausgebremstwerdens geht es ständig auf und ab. Was da hilft? Ein Tipp von ‚Rebels at work’: „Sei gnädig mit anderen, und schaff einfach Fakten.“ Und Veranstaltungen wie diese, ergänzte Weißbach: „Das Camp Q ist ein Raumschiff Zukunft voller cooler mutiger Menschen.“

Schwärmt aus, denkt quer, seid ehrlich

Den Abschluss bildete eine Aufforderung an die versammelte Schwarmintelligenz. Wie soll es nach der Krise weitergehen? Wie kann sich das Netzwerk in konkrete Aktionen umsetzen? Wieder ermöglicht das digitale Format einen faszinierenden Blick in die Köpfe der Teilnehmer; durch Kommentar- und Priorisierungsfunktionen bildet sich in Echtzeit die Relevanz ab, die die Teilnehmerinnen den Ideen der anderen geben.

Ideen wie ein jährlicher Camp Q-Zukunfts-Impuls sowie Initiativen zu Mutausbrüchen, digitaler Zusammenarbeit bis hin zu einem konsequenten Vermeiden von Flügen bei Dienstreisen wurde heiß diskutiert.

Der Tenor bei nahezu allen Projektideen: Gemeinsinn statt Einzelkämpfertum, Kooperation statt Egoshow.

Schöner als Dominique Macri kann man es nicht ausdrücken, als sie zum Abschluss des Camp Q poetisiert: „Strömt aus, denkt quer, seid ehrlich – macht euch für Team ‚Erde und Mensch’ unentbehrlich.“



Kommentare

  1. / von Hans Füller

    Ich war als passiver Teilnehmer an der sehr interessanten Konferenz dabei. Habe jetzt noch die Frage, wie die Firma hieß, die mit der Protokollierung in zeichnerischen Skizzen so schön mitwirkte.
    Vielen Dank für Ihre Antwort.

    1. / von aschlenk
      zu

      Lieber Herr Füller! Vielen Dank für Ihre wertschätzenden Zeilen! Zeichnerisch haben uns Sonja Skopp und Katja Rejl von Sketchidea unterstützt. Die zwei findet man auf jeden Fall auf Linkedin und Instagram. Und ansonsten schreiben Sie mir per Mail, dann kann ich Sie miteinander vernetzen :-).

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