Sind Gewohnheiten in der Krise in der Krise?
Haben Sie auch ein sEES? Ein sektorales Einkaufswagen-Einlege-System? Mit diesem imaginären System gehen Sie nämlich einkaufen und unterteilen dabei Ihren Einkaufswagen in Sektoren: Tiefgekühltes zu Tiefgekühltem, Obst und Gemüse zusammen und Zerbrechliches in die dafür vorgesehenen Einkaufswagenabteilung. Die Herausforderung: Das Einsortieren muss invers sein, denn sie haben es nach dem Auflegen auf das Einkaufsband wieder in dieser Ordnung in ihren Einkaufswagen einzusortieren. Ein Prozess, an den sich viele schon gewöhnt haben…gewöhnt? Gewohnheiten!
Gewohnheiten: Was ist das?
Mit Gewohnheiten ist so vieles leichter und ohne Gewohnheiten würden wir nicht überleben…schon morgens nicht beim Aufstehen und schlaftrunken im Bad. Gewohnheiten gelten als Verhaltensweisen, die immer wieder durchgeführt werden und lediglich ein Minimum bis gar keine Aufmerksamkeit benötigen. Und so geht es weiter in unserem Alltag mit dem gleichen Frühstück, dem gleichen Weg zur Arbeit, dem gleichen Start in die Arbeit, den gleichen Arbeitsweisen und hört auch nicht bei der Nr. 17 beim Inder zum Mittagessen auf…denn da weiß man ja, was man hat. Studien zufolge werden bis zu 50 % unserer täglichen Handlungen über Gewohnheiten organisiert und entsprechend können dem facettenreichen Konstrukt Gewohnheiten zwei Attribute zugeschrieben werden.
Gewohnheiten: Ambivalenz und Omnipräsenz
Ambivalenz: Auf der einen Seite sind Gewohnheiten die größten Verhinderer in der menschlichen Entwicklung. Wie oft bewegen wir uns in einem unbewussten Hamsterrad? Auch im Unternehmen sorgen sie für Stagnation und teilweise für Rückschritt. Der Klassiker: „Weil wir das schon immer so und nicht anders gemacht haben“. Ein Killer für jede Veränderung oder Innovation. Doch neben Stagnation und Rückschritt können Gewohnheiten auch schädigen und sogar töten. Stichwort Personenschützer: Sie versuchen, den zu beschützenden Personen ihre Gewohnheiten abzugewöhnen, denn darauf werden Attentate ausgerichtet – die Morgenzigarette auf dem Balkon, der gleiche Spaziergang und der Lieblingsitaliener um die Ecke.
Gleichzeitig bilden Gewohnheiten auf der anderen Seite die Grundlage für Fortschritt, Performance bis hin zu absoluter Excellenz. Denken Sie an die Automatismen im Sport: Das gleiche Spielsystem und die gleichen Bewegungsabläufe sind als Rituale die Voraussetzung, um das Beste zu erreichen.
Omnipräsenz: Gewohnheiten betreffen nicht nur jeden Einzelnen, sondern eben auch – branchenübergreifend – alle Institutionen, ganze Gesellschaften und Länder. Hier reicht das Stichwort: „Kampf um das Toilettenpapier!“, um die Rolle von Gewohnheiten in Kulturen plakativ zu machen.
Gewohnheiten geben uns Halt, Orientierung und Sicherheit. Umso wichtiger zu hinterfragen: Was passiert eigentlich mit Gewohnheiten in Krisenzeiten wie Covid-19?
Kommen Gewohnheiten in der Krise, in die Krise?
Neben dem allgemeinen Verständnis und der Bedeutung von Gewohnheiten, war es Gegenstand von zwei Online-Befragungen herauszufinden, welche Rolle Gewohnheiten in Krisenzeiten spielen (die Kurzergebnisse hierzu auf www.schumann-acc.de/gewohnheiten). Eine der Fragen, auf die sich vorliegend konzentriert wird, war:
Was wird nach der Krise aus Ihrer Sicht die „neue Normalität“ sein
Die stärkste Kategorie stellt hierbei der „Sensiblere Umgang mit sich, anderen und der Umwelt“ dar: „Besinnung auf das Wesentliche“, „Mehr Großzügigkeit anderen gegenüber“ sowie „weniger (und) bewusster reisen“, sind beispielhafte Aussagen.
„Sport & Gesundheit: Hygiene, Schutz, Gesundheitswesen“ war die zweithäufigste erfasste Kategorie: Hier geht es nicht nur um klassische Hygienemaßnahmen, die neuer Standard werden, wie Hände waschen und desinfizieren, sondern um „neue(n) Aufmerksamkeit für (das) Gesundheitssystem“ und zu einer „Verbesserung des Public Health Sektors“. Damit einhergehend scheint Gesundheit neu im Bewusstsein platziert zu werden: Mehr Bewegung, Sport treiben, „mit Erkältung zur Arbeit = inakzeptabel“ sind Aussagen, die das Bewusstsein für Gesundheit nicht nur steigern, sondern das Thema Gesundheit ernst nehmen lassen.
„Mehr Distanz und weniger Nähe“ ist die drittstärkste Kategorie, wozu u. a. „Abstand im räumlichen Sinne“ gehört…auch bedingt durch die Codierung „Digitalisierung als neuer Standard“. So sorgt die Corona-Krise nach Ansicht der Befragten dafür, dass die „Digitalisierung einen Schub bekomme“ – insbesondere im geschäftlichen Kontext: „Mehr online-Meetings“, „mehr Video-Konferenzen“ und damit eine „Verringerung in den face-to-face Meetings“. Die neue Homeoffice-Welt kommt nicht nur an, sondern ist schon da – akzeptierter denn je.
Es gibt allerdings auch die Stimmen, die sagen „Keine Änderung bis Rückkehr zur normalen Normalität“.
Strukturierte Gewohnheitsarbeit bei „teachable moments“
Die Krise mit den einhergehenden einschränkenden Maßnahmen hat zu der anfänglichen Situation geführt, bei der viele mit verändertem Verhalten reagiert haben: Viel Aufgeschobenes wurde erledigt (die deutschen Keller sind aufgeräumt) und Neues ausprobiert (was man schon immer einmal machen wollte). Doch verändertes Verhalten sind noch keine Gewohnheiten, wenn sie nicht verinnerlicht und immer wieder angewendet werden. Die Literatur gibt an, dass Gewohnheitsentwicklungsprozesse bis zur Stabilität mehr als zwei Monate benötigen. Auch die qualitative Auswertung zeigt, das Zurückgehen in der Kategorie „Neues ausprobieren“ sowie eine Intensivierung von Bekannten und Routinen, kleinen Änderungen im Tagesablauf und einer Tendenz zur Problematisierung mit Ängsten und Sorgen um die Zukunft.
Es ist JETZT ein fruchtbarer Zeitraum, um gezielt über die Gewohnheiten zu diskutieren, die veraltet und nicht mehr zielführend sind sowie darüber, welche es stattdessen braucht: Für eine gesunde Gegenwart und eine tragfähige Zukunft. „teachable moments“ sind Momente, in denen Veränderungen stattfinden und die genutzt werden können, um auch alte Gewohnheiten zu verändern (z. B. „Ich habe gerade einen Jobwechsel und fange mit einer neuen Sportart an“). In solchen Veränderungsprozessen ist es effizient und effektiv, von alten Gewohnheiten zu lassen und neue Gewohnheiten zu bilden.
JETZT ist der beste Zeitraum für die Gewohnheitsarbeit, denn JETZT ist eine maximal tiefe Sensibilisierung geschaffen und Sensitivität vorhanden –
- nicht nur bei Einzelnen, sondern bei Allen
- nicht nur bei einigen Unternehmen, sondern bei Allen
- nicht nur in ausgewählten Branchen, sondern in Allen
- nicht nur in Deutschland und Europa, sondern weltweit.
Kommentare
Danke, interessanter Einblick in das Thema Gewohnheiten.
Ich denke, das Konzept, in dem Sie schreiben, ist wichtig: „JETZT ist eine fruchtbare Zeit, um über veraltete und nicht mehr wirksame Gewohnheiten zu diskutieren und welche notwendig sind: für eine gesunde Gegenwart und eine nachhaltige Zukunft“.
Sehr geehrter Herr Baroni,
danke für den positiven Beitrag und die Bestätigung der Wichtig- und Notwendigkeit des „teachable moments-Konzeptes“! Ja und auch „nachhaltige Zukunft“. Was es JETZT braucht, dass ist zu diskutieren – ich hoffe, ein Raum für den notwendigen interdisziplinären Austausch wird dafür geschaffen.
Vielen Dank für den informativen und kurzen Artikel. sehr schöne Aspekte interessant dargestellt und es bietet die Basis für weitere Denkanstöße .
Sehr gerne! Ich bin wiederum gespannt und neugierig, wie wir die Basis erweitern können und „welche ersten Denkanstöße Sie erleben?“
Ein Artikel der Denkanstöße liefert – besten Dank. „Teachable Moments“ in die Praxis zu bringen und unternehmerisch zu gestalten, könnte eine der Chancen sein, gerade aufgrund aktuell stattfindender Paradigmenwechsel…
Beste Grüße ein ehemaliger Student!
Hallo lieber Manfred Feldmann, danke für Ihre nette und konstruktive Rückmeldung: Freut mich. Und ja: Bitte nutzen! Gutes Gelingen und hoffentlich auf bald einmal. Gesunde Grüße