Erfolg ist eine Gemeinschaftsleistung
10 Fragen an Professor Ernst Fehr, Department of Economics der Universität Zürich
Das Camp Q 2021 fordert „Business Unusual – neu denken, anders führen, nachhaltig wirtschaften“. Wo und wie zeigt sich „Business Unusual“ bei Ihnen?
Die Corona-Krise hat vieles beschleunigt – allen voran die Digitalisierung und die Flexibilität des Arbeitsorts. Seit mehr als einem Jahr arbeiten wir im Homeoffice; in der Schweiz gilt seit 18. Januar sogar die Homeoffice-Pflicht. Als Wissenschaftler bin ich es gewöhnt, mit anderen Wissenschaftlern weltweit räumlich getrennt und ohne physischen sozialen Kontakt zusammenzuarbeiten. Trotzdem hat sich der Austausch mit den Forschern an der Universität Zürich und die Lehre unserer Studierenden in Zeiten der Pandemie sehr verändert. Auch wir mussten uns innerhalb von wenigen Wochen in vielen Bereichen neu erfinden. Das ist an einer Institution wie der Universität Zürich nicht anders als in einem Unternehmen.
Was ist Ihrer Meinung nach in diesem Zusammenhang die größte Herausforderung?
Genauso wie der Erfolg eines Unternehmens, so ist auch der Erfolg unserer Forschung und Lehre eine Gemeinschaftsleistung. Eine gemeinsame Kultur, die auf Kooperation, Vertrauen und einem gemeinsamen Ziel aufbaut, trägt maßgeblich zum Erfolg bei. Das wissen wir aus zahlreichen Studien und Verhaltensexperimenten.
Die Herausforderung ist nun: Wie pflegt man die gemeinsame Kultur auf Distanz und digital, sodass weiterhin alle an dem einen gemeinsamen Strang ziehen? Welche Regeln und welche Eskalationsmöglichkeiten braucht es, um auch im Homeoffice Kooperation zu fördern und egoistisch motiviertes Handeln zu minimieren? Wie sieht Leadership aus, wenn uns ganz natürliche Interaktionsmöglichkeiten im Moment nicht zur Verfügung stehen?
Wo sollten Führungskräfte Ihrer Meinung nach ganz schnell „Business as usual“ beenden und warum?
Die Geschwindigkeit, mit der sich Unternehmen unter den momentanen Umständen neu erfinden und transformieren müssen, ist enorm. Gleichzeitig agieren wir in Zeiten großer Unsicherheit, was uns Menschen tendenziell dazu neigen lässt, Risiken minimieren zu wollen. Innovation und Risikovermeidung beißt sich jedoch. Um dieses Dilemma zu überwinden, muss man sich nun die Frage stellen: Wie kann man mit überschaubarem Risiko Innovation möglichst schnell vorantreiben?
Beim Camp Q 2021 geht es auch um nachhaltiges Wirtschaften; inwieweit lassen sich die UN-Sustainable Development Goals, bei Führung integrieren?
Um Nachhaltigkeit zu einem der obersten Unternehmens- und Transformationsziele zu machen, ist das Top Management in seiner Vorbildfunktion massiv gefordert. Führungspersönlichkeiten haben eine hohe Sichtbarkeit und setzen mit ihren Worten und Taten ein Beispiel, das die Erwartungen an die Mitarbeitenden deutlich macht.
Es ist Aufgabe der Führungskräfte, eine kooperative Kultur zu gestalten, die die freiwillige Mitarbeit der Angestellten bei der Verfolgung der Nachhaltigkeitsziele mobilisiert. Wenn Führungspersönlichkeiten den normativen Anforderungen einer kooperativen Kultur nicht gerecht werden – etwa indem sie Zweifel an ihrer Bereitschaft aufkommen lassen, sich besonders anzustrengen, oder indem sie offensichtliches Fehlverhalten ignorieren -, können sie von ihren Mitarbeitenden nicht erwarten, das diese es besser machen.
Oft wird gefordert, dass der Mensch mehr in den Mittelpunkt gestellt werden muss. Wenn ja, wie würden Sie das beschreiben?
Ich glaube, wir müssen das enorme öffentliche Gut in den Mittelpunkt stellen. Also alle Dinge, die für uns frei verfügbar und zugänglich sind. Alles, was uns die Natur bietet und auch, was wir Menschen im Sinne des Gemeinwohls erschaffen haben, beispielsweise in Form von Gesellschaften, Institutionen und Technologien. Wenn wir soziale Normen etablieren können, die uns helfen, unsere öffentlichen Güter zu pflegen und nachhaltig zu bewahren, dann stellen wir tatsächlich uns Menschen als „aktive Veränderer“ in den Mittelpunkt.
Stichwort „anders führen“: Wie würden Sie einen derartigen Führungsstil heute beschreiben – und was hat sich im Laufe der Zeit verändert?
Leadership fängt heute nicht erst auf einer Position im Top Management an, wie es vielleicht früher in extrem hierarchischen Unternehmensstrukturen der Fall war. Leadership wird heute von jedem einzelnen Mitarbeitenden gefordert. Es geht darum, sich selbst und seinen Verantwortungsbereich zu führen und weiterzuentwickeln und Kollegen dabei zu helfen, dasselbe zu tun.
Mit einer Team- oder Abteilungsleitung kommt dann die Führung und Weiterentwicklung von Mitarbeitenden dazu. Das bedeutet, dass die Aufgabe der Führung heute meist nicht mehr nur einer oder ein paar wenigen Personen an der Spitze obliegt, sondern dezentralisiert wurde. Die Führung und Weiterentwicklung eines Unternehmens ist damit untrennbar verbunden mit der Weiterentwicklung und dem Lernpfad der Mitarbeitenden.
„Es ist verrückt, die Dinge immer gleich zu machen und dabei auf andere Ergebnisse zu hoffen“ – sagte Albert Einstein. Wie stellt man sicher, „neu zu denken“?
Das Department of Economics an der Universität Zürich hat sich zum Ziel gesetzt, die Welt neu zu denken. Die moderne Ökonomie ist prädestiniert dafür, Perspektiven aufzuzeigen und Wege zu weisen, um globale Probleme besser zu lösen. Darunter verstehen wir u. a. globale Herausforderungen wie (1) die Armut und Ungleichheit reduzieren, (2) ein nachhaltiges Wirtschaftssystem gestalten, (3) die digitale Revolution managen, (4) Bedingungen für wirksames politisches Handeln schaffen und (5) die Globalisierung gesellschaftsverträglich gestalten.
Wie implementieren und mobilisieren wir das Prinzip „neu denken“ zum Auffinden von Lösungen für diese globalen Probleme? Erstens, wir legen großen Wert auf die Anwerbung von besonders kreativen Wissenschaftlern, die laufend „out-of-the-box“ denken und gleichwohl erfolgreich sind, die also „neu denken“ vorleben und attraktive „role models“ schaffen. Zweitens, wir schaffen Veranstaltungsformate innerhalb des Departments, in denen ständig neue Ideen vorgetragen, kritisch diskutiert und deshalb des Öfteren auch wieder verworfen werden. Da dies öffentlich stattfindet, lernen wir alle vom Erfolg und vom Scheitern von Ideen anderer und befinden uns ständig im Suchmodus nach Neuem.
Was denken Sie, findet in der Arbeitswelt aktuell zu wenig Beachtung?
Die Pandemie zwingt uns regelrecht dazu, uns in vielen Bereichen neu zu erfinden. Und das Positive daran ist, dass wir gesehen haben, hier und da war vieles, was man nie für möglich gehalten hätte, plötzlich doch möglich.
Allerdings ist Innovation, die über Homeoffice, Home Delivery und virtuelle Meetings hinausgeht, oft mit hohen Kosten verbunden. Innovation kostet Zeit und Geld. In unsicheren Zeiten wie diesen, sind beides knappe Güter. Und das Risiko, dass es sich nicht auszahlen könnte, möchte kaum einer tragen.
Ich kann hier nur den Weg des systematischen Experimentierens empfehlen. Unternehmen müssen experimentierfähiger werden und nach dem Motto „Fail fast but small“ Dinge mit einer kleinen repräsentativen Mitarbeiter- oder Kundenanzahl testen, analysieren und wenn es funktioniert hat, umsetzen. Diese Methode ist kostengünstig, spart Zeit und minimiert das Risiko von Fehlinvestitionen.
Wir laden zum Camp Q auch Next Leaders ein. Hätten Sie mit Blick auf deren Karriere einen Ratschlag für sie?
Unsere Forschung zeigt, dass diejenigen Firmen, in denen die Mitarbeitenden das Arbeitsverhalten ihrer Topmanager als vertrauenswürdig und ethisch einwandfrei wahrnehmen, eine höhere Produktivität und Gewinne aufweisen. Für die Kooperation Ihrer Mitarbeitenden ist also Ihr Verhalten, Ihre Worte und Taten, entscheidend (Leadership by Example).
Eine Entscheidung, die Sie nie bereuen werden…
Sich die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie anzueignen und im eigenen Umfeld anzuwenden.
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