Anja Schlenk, Bertelsmann Stiftung

Digitale Dingsbums-Events – viel Rauch um nicht ganz neue Erkenntnisse?  

Neulich auf einer Konferenz zum Thema Digitale Führung. Eine stylische Location in Berlin. Ein schicker Name. Wissenschaftler, die zu „innovative pioneers“ forschen und das Silicon Valley besuchten. Ein Angebot, gemeinsam mit anderen Interessierten in Workshops zu den Veränderungen durch die Digitalisierung zu diskutieren. Das führt mich hierher. Mit welchen Methoden wird hier gearbeitet? Welche neuen Erkenntnisse gibt es? Worauf sollten Unternehmen achten?

Der Fahrstuhl in einem alten Bürotrakt fährt mich hinauf in die obere Etage. Ich gelange in einen Raum mit offenen Deckenträgern sowie diversen Rohren und Leitungen, die nicht unter Putz gelegt sind. Niedrige Couchkissen in den Ecken erinnern mich an unseren Jugendraum in den 80-er Jahren. Auch die leeren Getränkekästen mit einem Holzbrett zum Stehtisch umfunktioniert haben etwas von unseren damaligen provisorischen Partyräumen. Nur die aneinandergeklebten, leeren Zigarettenschachteln von Camel und Marlboro, die wir entlang der Zimmerdecken angebracht hatten, finde ich hier nicht. Jedoch die Begrüßung ähnelt dieser Jugendphase schon wieder mehr. Ich werde geduzt und eingeladen, mir etwas zu trinken aus einem hippen Kühlschrank zu nehmen. Duzen ist angesagt, das ist angenehm und okay. Manchmal jedoch wirkt es so, als wolle man dadurch Nähe erzeugen, die noch nicht so richtig existiert. Ich bin falsch angezogen in meinem Hosenanzug; Blazer und Sneakers wären besser gewesen.

Netzwerken bevor es losgeht. Ich treffe viele Personaler. Wir tauschen uns aus. Analog. Wir reden über das, was Führungskräfte bei uns erleben. Wir, die Executive Trainings für unterschiedliche Unternehmen anbieten und meine Gesprächspartner, größtenteils Personalverantwortliche aus Unternehmen unterschiedlicher Branchen. Meine Gesprächspartnerin berichtet über ihre Erfahrungen, Führungskräfte in ihrer Organisation durch Online-Kurse zu entwickeln. Sie erzählt ganz begeistert, wie wirtschaftlich diese neue Maßnahme ist, denn die Führungskräfte können sich nach Feierabend oder am Wochenende Zeit nehmen, sich die Video-Clips anzusehen, oder sich in der Lerngruppe online zum Austausch verabreden. Ich denke an unsere altmodischen Präsenz-Trainings, bei denen Führungskräfte 5 Tage die Gelegenheit bekommen, sich mit ihrem Führungsverständnis und ihren Werten auseinanderzusetzen. Auch wir setzen auf den Erfahrungsaustausch in Kleingruppen. In den Executive Trainings jedoch geschieht dies face-to-face, in einem vertrauensvollen Rahmen, fernab des innerbetrieblichen Wettbewerbs unter „Kollegen“.

Die Veranstaltung beginnt. Wir erleben eine Powerpoint-Präsentation. Schlagworte wie „massive Veränderungsprozesse“, „disruptive Geschäftsmodelle“, „neue Arbeitsorganisation“, „Digitalisierung als Chancenthema“ überraschen mich nicht. Gut gefällt mir der Satz „Man kann aus Silicon Valley viel mitnehmen, aber Europa muss seinen eigenen Weg finden…“.
Wir Teilnehmer werden aufgefordert, an einer Live-Befragung teilzunehmen. Dazu wird ein QR-Code generiert, über den wir zur Befragung gelangen und direkt mit unseren Smartphones abstimmen können. Ich stelle fest, dass meine Software zur Erkennung nicht mehr up-to-date ist, wann habe ich zuletzt einen QR-Code eingelesen? Ich wusste gar nicht, dass es die Dinger noch gibt. Ich bin eben nicht allzu digital unterwegs, ist meine Schlussfolgerung. Nahezu alle anderen sind mit ihren „mobile devices“ beschäftigt. Also bin ich für diesen Teil der Veranstaltung abgehängt. Abgehängt? Fühlt es sich so an, mit neuen Technologien nicht mehr Schritt halten zu können? Komisch. Es ist tatsächlich eine neue Erfahrung. Aber zumindest bin ich so gezwungen, mich auf die Folien und die Vortragenden zu fokussieren. Nanu, gibt es etwa auch hier Parallelen?

Anja Schlenk, Bertelsmann Stiftung

Die Kernfaktoren für „successful digital work” sind unter anderem „collaboration“ – „responsibility“ – „leadership culture“ . Okay… so ganz neu erscheint mir das nicht. Auch in unseren Trainings, mit denen wir in diesem Jahr unser 10-jähriges Bestehen feiern werden, setzen wir auf diese Werte.

Der sich an den Vortrag anschließende Workshop zum Thema „Leadership“ wird gut moderiert. Ein viel zu kleiner Raum wird genutzt, um an den Wänden zu arbeiten. Sie können beschrieben und beklebt werden, das hat was. Aber ist das digital? Muss ich unterscheiden zwischen innovativ, also durchaus auch analog und digital? Ich rüge mich für meine Gedanken, alles durch diese skeptische Brille vor dem Hintergrund der Digitalisierung zu betrachten. Aber kann ich nicht erwarten, dass alles anders, neu, spacig und digital ist, wenn ich der Einladung zu einem digitalen Dingsbums-Event folge? Ich versuche, eine wertneutralere Haltung zu erlangen und mich in die Diskussion einzubringen. Es gelingt mir mäßig. Ich bin auch inhaltlich nicht mehr wirklich dabei. Mein Smartphone vibriert. Bei einem Blick darauf bin ich versucht, mal kurz einen Tweet abzusetzen. Ist ja schließlich eine digitale Veranstaltung. Dabei frage ich mich, zu welchem Hashtag ich schreiben könnte? Wurde dieser kommuniziert? Sicherlich, fällt mir aber gerade nicht ein…Kann ich ihn irgendwo um mich herum finden? Leider nein. Und dann: Ich betrachte meinen Twitter-Account und mich durchfährt ein eiskalter Schauer. Die letzten vier Tweets stammen alle nicht von mir?! Definitiv nicht! Ich verlasse den Workshop-Raum und telefoniere mit meinem Kollegen. Er schaut sich die Sache an und ist ebenfalls irritiert. Mit seiner Hilfe werden die Tweets gelöscht und mein Passwort zurückgesetzt. Na super. Ich war so stolz, bei Twitter zu sein, und dann so was!

Meine Suche nach den verantwortlichen Protagonisten der Veranstaltung auf Twitter hat Erfolg. Aber was ist das? Exakt ein Tweet aus September 2015 wurde abgesetzt? Mir fällt der sich durchziehende Begriff der “innovative pioneers“ ein…

Jetzt bin ich inhaltlich total raus. Ich verlasse die Veranstaltung wenig später und mache mich auf die Rückreise. Verschiedene Fragen gehen mir durch den Kopf: Was ist wirklich neu an den Events, die mit trendigen Begriffen daherkommen und auf gewollt lässiges Ambiente setzen? Bringen sie bahnbrechende Erkenntnisse, demonstrieren sie neue Methoden oder schaffen eine digitale Vernetzung? Oder erkennen wir so manches Mal eben auch, dass man versucht, uns alten Wein in neuen Schläuchen zu verkaufen?

Es ist nicht leicht, sich in dem Dschungel an neuen Technologien, neuen Veranstaltungsformaten und sich verändernden Rahmenbedingungen zu orientieren. Die Reise nach Berlin war eine Erfahrung. Der Weg ins digitale Zeitalter geht weiter. Und sicherlich muss ich davon weg kommen, derart zu bewerten. Neugierig und offen sein, aufmerksam beobachten, und mich mit Nerds austauschen, aber eben auch nicht unkritisch sein. Das ist das, was ich mir vornehmen möchte.



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