Querdenker

Querdenker in Organisationen – oder: Wie würde es Pippi Langstrumpf heute gehen?

Normalerweise spekuliert man nicht über das Alter bei Frauen. Die gut geschriebene Biografie von Jens Andersen über Astrid Lindgrens Leben verleitet dann aber doch zu einem interessanten Gedankenspiel: Pippi Langstrumpf müsste heute um die 80 Jahre sein. Was ist wohl aus der frechen, anarchischen Göre geworden? Wie würde die, die alles auf den Kopf stellte und laufend mit ihrer unorthodoxen Art bei ihrer Umwelt aneckte, heute leben?

Wäre sie die weise Frau, die betulich im Vorstadthäuschen lebt und Kindern aus der Nachbarschaft Geschichten erzählt (These des Hirnforschers)? Oder hätte sie sich einen anständigen Beruf gesucht, geheiratet und ihren Mann in seinen letzten Jahren vor seinem Tod gepflegt (These der Buchhändlerin)? Oder wäre sie die einsame alte Frau, die nach dem Wegzug von Anika und Tommy zum Studium von allen verlassen wurde und von ihrer Umwelt nun zu spüren bekommt, dass sie mit ihrer Andersartigkeit nicht mehr erwünscht ist (These des Trainers)? Vielleicht hätte sie irgendwann die Villa Kunterbunt verlassen und sich verbittert irgendwohin zurückgezogen (These des Autors)?

Zugegeben, nur ein Gedankenspiel! Aber die Frage, die sich dahinter verbirgt, lautet: Wie gehen eine Gesellschaft und Wirtschaft am Ende mit Querdenkern und mit Andersartigkeit um? Fast alle Befragten einschließlich des Autors waren sich am Ende fast sicher: Gemeinschaften und Organisationen halten Querdenker nur bis zu einem gewissen Grad aus.

Bei vielen Unternehmen gehört es mittlerweile zum guten Ton, sich mit Querdenkern zu schmücken – zwar nicht in Ringelstrümpfen und mit roten Zöpfen sondern in abgewetzten Jeans, mit Hoodies und Pferdeschwanz. Für den Augenblick ist das amüsant, aber dann? Im Unternehmensalltag beginnen sie zu nerven und stören den gewohnten Ablauf. Sie werden unbequem, weil sie oft den Finger in die Wunde legen. Irgendwann werden sie lästig und von der Organisation abgestoßen oder innerhalb der Organisation isoliert.

Führung ist gut beraten, um Querdenker Biotope zu bauen und sie zu schützen. Ansonsten beginnen Teile der Organisation sich zu rächen: Ausgrenzung, vor die Wand laufen lassen, am ausgestreckten (Bürokratie-)Arm verhungern lassen. Die Konsequenz: verbitterte Querdenker oder Abgänge! Manche Unternehmen gehen deshalb so weit, zur Umsetzung neuer Konzepte  gleich ein anderes Areal auszuwählen – weitab vom Stammhaus mit seinen traditionellen Strukturen und Hierarchien, eingefahrenen Prozessen und starren Führungssystemen.

Von Bertelsmann-Nachkriegsgründer Reinhard Mohn (siehe auch „Von der Welt Lernen“; Reinhard Mohn, erschienen bei Random House) stammt der Spruch „Viele Köpfe ans Denken bringen“. Er wurde nicht müde, die Delegation von Verantwortung, die Mitsprache am Arbeitsplatz und den Freiraum für kreative Lösungen sowie den sachbezogenen Dialog als Voraussetzung für Motivation und Kreativität zu propagieren. Und seine Führungsphilosophie ist aktueller denn je!

Delegation erfordert von Führungskräften aber Souveränität und Vertrauen. Nichts ist schlimmer bei der Delegation, wenn Mitarbeiter oder das Team schon nach ein paar Stunden gefragt werden: Und wie weit sind sie, kommen sie gut voran? Aber auch Querdenker dürfen nicht in Selbstgefälligkeit verfallen und weit außerhalb des Systems in der vergeistigten Kreativ-Cloud ohne Realitätsbezug kreisen. Das wird spätestens dann für eine Organisationskultur zum Problem, wenn der Querdenker nur noch Ideen produziert und keinen Beitrag mehr zur Umsetzung leistet.

Dabei ist es gar nicht so schwer, Querdenkertum zuzulassen oder Kreativität zu fördern. Schon eine Umfrage des Kompetenzzentrums mit der United Leaders´ Association zum Thema Innovation aus 2014 belegt das: weniger Bürokratie und mehr Freiraum, weniger kurzfristiges Denken und mehr Budgets zum Experimentieren, mehr Nähe zum Kunden und weniger Konzentration auf angestammte Märkte, weniger Misstrauen gegenüber unkonventionellen Ideen und mehr Offenheit für kreative Querdenker.

Also braucht es nicht nur eine Lern- und Fehlerkultur – es braucht eine moderne Führung mit Mut, Andersartigkeit zuzulassen. Denn steckt nicht in uns allen ab und zu der Wunsch, ein bisschen Pippi Langstrumpf zu sein? Deshalb sollten Führung und Mitarbeiter einfach öfter einmal fordern dürfen: Wir machen uns zumindest heute mal die Arbeitswelt, so wie sie uns gefällt. Lang lebe Pippi Langstrumpf!



Kommentare

  1. / von Blog | Creating Corporate Cultures | Rettet die Freaks! Oder: Das beste Sushi der Welt! - Blog | Creating Corporate Cultures

    […] Wie werden denn die Arbeiten und Ideen von Freaks überhaupt wahrgenommen oder wertgeschätzt? Werden sie nicht eher belächelt und nicht so richtig für voll genommen? Bereits in dem Buch „Die Akte Personal“ wurde die grundlegende Forderung an eine zukunftsfähige Führungskräfte- und Personalentwicklung gestellt: Gebt dem Unternehmen was es braucht und nicht was es will! Und Unternehmen brauchen eben nicht nur Führungskräfte – sie brauchen gerade in disruptiven Arbeitswelten öfter die Freaks, die Tüftler, die Querdenker (siehe Blog vom 22 April 2016). […]

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