European Parliament, Brussels, Belgium

Investition in Demokratien

Größere Stabilität, mehr Rechtssicherheit, eine effizientere Politik – bessere Rahmenbedingungen für Unternehmen finden sich zumeist in demokratisch regierten Ländern. Und so fühlt es sich nicht nur richtig an, es ist häufig auch die vernünftigste Geschäftsentscheidung, in Demokratien zu investieren. Ausnahmen wie Singapur oder Problemfälle wie Sambia widerlegen nicht die erdrückende empirische Evidenz: nachhaltige Investitionen sind in Demokratien besser aufgehoben. Der Blick auf kurzfristigen Gewinn und die Missachtung von Arbeitsrecht- und Umweltstandards kann sich schnell als schlechtes Geschäft erweisen. Siehe China.

Die chinesische Regierung hat sich verzockt – big time. Im letzten Jahrzehnt, als die Rohstoffpreise immer neue Höchststände erreichten, investierte Peking massiv in schlecht regierte, autoritäre und häufig auch instabile Länder wie Afghanistan, Angola, Burundi, Guinea Bissau, Kambodscha, die Demokratische Republik Kongo, Laos, Myanmar, Simbabwe, Südsudan und Tadschikistan. Das Ziel: eine aggressive Rohstoffpolitik zu betreiben, mittels langfristiger Verträge, die gegen logistische und infrastrukturelle Investitionen sowie Abnahmegarantien den alleinigen Zugang Chinas zu seltenen oder begehrte Rohstoffen sichern sollten. Arbeiterrechte, Umweltschutz, gute Regierungsführung? Egal.

Diese Rohstoffpolitik fällt der chinesischen Regierung jetzt auf die Füße. Letztlich zahlt die chinesische Regierung aufgrund der aktuellen Niedrigpreise durch eine solche Investitionspolitik deutlich mehr, als wenn sie die Rohstoffe am Weltmarkt erwirbt – und zudem halten einige Regierungen, wie aktuell der Südsudan, aufgrund mangelnder Stabilität ihre Lieferzusagen noch nicht einmal ein. Peking, so Rolf J. Langhammer vom Mercator Institute for China Studies, müsse dringend seine Investitionspolitik überdenken, müsse sich multilateraler ausrichten und im eigenen Interesse auf die Einhaltung von sozialen und ökologischen Standards achten.

Was für Lehren können deutsche Unternehmer daraus ziehen? Es lohnt sich, langfristiger zu denken, und dabei die Qualität der Regierungen im Gastland der Investitionen genauer unter die Lupe zu nehmen. Das gilt sowohl in punkto Stabilität (und der Fähigkeit der Regierung, ausgleichend zu wirken), Rechtsstaatlichkeit (und der Bereitschaft der Regierung, Eigentumsrechte zu schützen) sowie Nachhaltigkeit (und der Ressourceneffizienz der Regierung, einschließlich Korruptionsbekämpfung).

Qualitätsmerkmal Konfliktmanagement

Der Reihe nach. Dass Stabilität bei Investitionsentscheidungen eine herausragende Rolle spielt, versteht sich von selbst. Der Transformationsindex BTI der Bertelsmann Stiftung – mit seiner Messung von Staatlichkeit in 129 Entwicklungs- und Transformationsländern, einschließlich der Eckpunkte staatliches Gewaltmonopol und Aufbau einer Basisverwaltung – liefert hier einen guten ersten Überblick. Aber Stabilität alleine reicht nicht. Dass sich auf gewaltsam niedergehaltenen sozialen Protesten keine stabilen Verhältnisse und damit auch keine zuverlässigen Geschäftsbeziehungen bauen lassen, hat der Arabische Frühling eindrücklich gezeigt. Tunesien wurde noch im Januar 2011 vom Global Competitiveness Index des World Economic Forum als wettbewerbsstärkstes afrikanisches Land gelobt, um kurz darauf Massenaufstände und die Abdankung des vermeintlich so fest im Sattel sitzenden Diktators Ben Ali zu erfahren. Ägypten erhielt wiederholt Lob für seine Wirtschaftsreformen unter Präsident Mubarak, beispielsweise im „Doing Business“-Bericht der Weltbank von 2008, aber die stetig wachsende Einkommensschere zwischen Arm und Reich und der Unmut über staatliche Willkür trieb die aufgebrachte Bevölkerung auf den Tahrir-Platz. Zu wirklicher Stabilität gehört, dass Konflikte nicht nur unterdrückt, sondern tatsächlich gelöst werden.

Deshalb ist der Indikator „Konfliktmanagement“ des BTI so bedeutsam. Er geht der Frage nach, inwieweit die Regierungen in 129 Entwicklungsländern willens und fähig sind, bestehende gesellschaftliche Konfliktlagen – politisch, sozial, ethnisch oder religiös – einzuhegen oder gar zu befrieden. Das ernüchternde Ergebnis: über die Hälfte der untersuchten Regierungen ist nicht in der Lage, eine Eskalation der Konflikte zu verhindern – oder fächert die Konfliktherde sogar selber an. Aber das ist nicht das Ende der schlechten Nachrichten: von allen Qualitäten guter Regierungsführung hat das Moderieren und Deeskalieren von Konflikten in den letzten zehn Jahren laut BTI am stärksten abgenommen. Zahlreiche Regierungen werden effizienter, zielstrebiger, koordinierter, aber ausgerechnet beim Konfliktmanagement gibt es gerade einmal 20 Staaten, in denen Verbesserungen zu verzeichnen sind. Herzlich wenig im Vergleich zu 57 Ländern, in denen diese Kernkomponente der Konsensbildung zurückging.

Grafik1

Die obenstehende Grafik verdeutlicht das Dilemma: im BTI 2006 (mit damals noch 118 untersuchten Ländern) war ein gutes Viertel aller Regierungen in der Lage, Konflikte zu deeskalieren, und ein gutes Drittel konnte immerhin eine weitere Eskalation von Konflikten verhindern, zusammen knapp 62 Prozent. Eine Dekade später bleiben gerade einmal 18 von 129 Regierungen mit Konfliktlösungsfähigkeit über, während etwas über 30 Prozent eine Eskalation verhindern konnten. Gemeinsam schrumpft ihr Anteil auf 44 Prozent aller untersuchten Regierungen zusammen.

Konfliktmanagement, und Konsensbildung insgesamt, funktioniert in Demokratien deutlich besser als in autoritär regierten Ländern: von den 40 Ländern, die am besten Konflikte moderieren und teils auch entschärfen konnten, befinden sich mit Katar, Singapur und den Vereinigten Arabischen Emiraten gerade einmal drei Autokratien.

Bezeichnend für diesen Trend sind arabische Länder, vor allem Bahrain (-6 auf einer Zehnerskala) sowie Libyen und Syrien (je -5), aber auch afrikanische Staaten wie Eritrea und Mali. Positives Gegenbeispiel ist der kleine westafrikanische Staat Benin. Er ist ethnisch-regional und religiös stark fragmentiert, alle latenten Konflikte werden aber friedfertig und mit stetem Bezug auf nationale Einheit, Solidarität und einen demokratischen Verfassungspatriotismus ausgetragen. Benin ist neben dem demokratischen Musterland Uruguay der einzige Staat, der 9 von 10 Punkte im Bereich Konfliktmanagement in allen BTI-Erhebungen der letzten zehn Jahre erreichte.

Qualitätsmerkmal Rechtsstaatlichkeit

Ebenfalls ganz oben auf der Prioritätenliste bei Investitionsentscheidungen: die Rechtssicherheit. Wie ist Privateigentum geschützt, und welche Rolle kommt der Privatwirtschaft im gesellschaftlichen Gefüge des Gastlandes zu? Auf diese beiden Fragen bietet der Transformationsindex ebenfalls Antworten, zwei der 52 Indikatoren bewerten diese wirtschaftspolitischen Aspekte, in jedem der 129 Ländergutachten des BTI stehen hierzu Ausführungen. Generell, im globalen Durchschnitt, sind Unternehmen besser vor Enteignungen und staatlicher Willkür geschützt (6,1 von 10 Punkten auf der BTI-Skala) als vor eskalierenden Konflikten (5,3 von 10 Punkten), aber auch hier ist der Trend leicht rückläufig. In den letzten zehn Jahren hat sich der Schutz von Privateigentum in 44 Länder verbessert, aber in 49 Ländern verschlechtert.

Bezeichnend für diesen Trend ist die Regierung Sambias (-3), die einige vormals privatisierte Unternehmen wieder verstaatlicht hat und Kompensationszahlungen verzögert. Ihr Vorgehen ist typisch für eine gestiegene Rechtsunsicherheit im südlichen und östlichen Afrika (von 5,9 im BTI 2006 auf 5,4 im BTI 2016).

Rechtssicherheit allerdings wird nicht im Vakuum erreicht, und so kommt der Rechtsstaatlichkeit insgesamt eine große Bedeutung zu. Die Wechselwirkung zwischen Schutz und Förderung von Privateigentum einerseits und einer funktionierenden Gewaltenteilung mit Ahndung von Amtsmissbrauch und Schutz der Bürgerrechte durch unabhängige Gerichte andererseits ist stark ausgeprägt, wie folgende Abbildung belegt:

Grafik2

Dies aber legt die These nahe, dass Privateigentum in Demokratien mit funktionierender Gewaltenteilung und Justiz deutlich besser geschützt ist als in autoritär regierten Ländern. Und tatsächlich sind es nur wenige Autokratien (die rosa gefärbten Kugeln auf der Abbildung unten), die es in die Kategorie „excellent“ bei Achtung und Schutz von Privateigentum schaffen, am ehesten noch Katar (mit schlechtem Rechtsstaat) und Singapur (mit immerhin ausgezeichneten Werten bei der Ahndung von Amtsmissbrauch). Die größten autoritär regierten Volkswirtschaften zeigen unterschiedliche Ausprägungen: in China ist ein leidlicher Schutz von Privateigentum (6,0) gewährleistet, während der Rechtsstaat (2,3) ansonsten danieder liegt, Russland hingegen schneidet in beiden Kategorien (3,5 und 4,0) unterdurchschnittlich ab. Die Maximalwerte von jeweils 10 in beiden Kategorien erhalten hingegen die Vorzeigedemokratien von Taiwan und Uruguay, dicht gefolgt von Estland. Die Türkei ragt positiv bei Rolle und Schutz des Privateigentums heraus (9,5), der Rechtsstaat hingegen hat unter Erdogan gelitten.

Grafik 3

Qualitätsmerkmal Ressourceneffizienz

Stabiler, rechtssicherer: sind Demokratien tendenziell somit die besseren Zielländer für Investitionen? Eine Nagelprobe steht noch aus, die der Ressourceneffizienz. Denn nur eine Regierung, die umsichtig und effektiv die verfügbaren humanen, finanziellen und administrativen Ressourcen einsetzt, kann auch nachhaltig wirtschaften und in Infrastruktur und Bildung investieren – also gute Rahmenbedingungen für Investoren schaffen. Der BTI betrachtet hier drei Steuerungsleistungen: den effizienten Einsatz verfügbarer Mittel, die Koordination von verschiedenen Politikzielen und die Antikorruptionspolitik. Im Vergleich zu allen anderen Qualitäten guter Regierungsführung schneidet die Ressourceneffizienz dabei im internationalen Durchschnitt stets am schlechtesten ab:

Grafik 4

Der Unterschied zwischen Demokratien und Autokratien fällt hier nicht ganz so gravierend aus wie bei Konfliktmanagement und Rechtssicherheit – immerhin schaffen es drei Autokratien (Singapur, die Emirate und Katar) in die Top 20, und vier weitere (Malaysia, Ruanda, China und Jordanien) in die Top 40. Die Schlagseite allerdings liegt immer noch eindeutig auf der Seite der Demokratien (im Durchschnitt 5,6 Punkte im Vergleich zu 3,7 Punkten). Die zehn effizientesten Regierungen sind – außer dem Spitzenreiter Singapur – allesamt demokratisch legitimiert und von Botswana über Chile und Estland bis Südkorea in allen Erdteilen zu finden. Und sie regieren, wie die folgende Abbildung zeigt, nicht nur am effizientesten, sondern auch am nachhaltigsten:

Grafik 5

Ähnlich eindeutig fällt das Ergebnis hinsichtlich der Korruptionsbekämpfung aus. Nur die durchgängig demokratisch regierte Region Ostmittel- und Südosteuropa weist hier positive Werte auf, die anderen Regionen fallen – mit wenigen Ausnahmen – deutlich ab. Nur 30 Ländern gelingt es überhaupt, einigermaßen funktionierende Integritätsmechanismen zu installieren (6 bis 9 Punkte). In der ganz überwiegenden Zahl der Länder sind die Regierungen nur sehr eingeschränkt bereit und in der Lage, Maßnahmen gegen Korruption einzuführen, oder scheitern komplett in der Korruptionsbekämpfung. Entsprechend ist Antikorruptionspolitik (4,35) der am schlechtesten bewertete Leistungsaspekt von Regierungspolitik überhaupt, besonders in Afrika, dem Nahen Osten und vor allem dem postsowjetischen Eurasien. Singapur ist die einzige Autokratie mit funktionierenden Integritätsmechanismen.

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