„Mindful Manager“: Wenn Yoga zur Burnout-Falle wird

„Einatmen und ausatmen, mach deinen Kopf ganz leer, frei von allen Gedanken und richte deine Aufmerksamkeit auf den Punkt zwischen deinen Augenbrauen, dein drittes Auge“, säuselt die sanfte Stimme der Yogalehrerin. Vor ihr sitzt, im Schneidersitz und mit mehr oder weniger geradem Rücken, die Management-Ebene eines Großkonzerns und versucht den Bürostress einfach weg zu meditieren. Für eine Stunde „Lunch-Break-Yoga“ haben sie Anzug, Krawatte und Smartphone gegen Jogginghose, T-Shirt und Yogamatte eingetauscht.

Szenen wie diese sind mittlerweile in vielen Firmen an der Tagesordnung, denn immer mehr Unternehmen erkennen, dass gesunde Mitarbeiter ein Plus an Effizienz bedeuten. Aus diesem Grund bezahlen sie ihren Managern Yogastunden, statten sie mit Fitnessarmbändern aus und empfehlen täglich sieben Stunden Schlaf. Die verordnete Erholung folgt einem Ziel: Die sogenannten „Mindful Manager“ sollen noch leistungsfähiger werden. Und hier liegt der Fehler. Nicht der Einzelne sollte für das System mehr leisten, sondern das System dem Einzelnen dienen.

Was ist Mindfulness?

„Mindfulness“ (Achtsamkeit) kommt ursprünglich aus der buddhistischen Lehre und bedeutet in weitestem Sinne, mit sich und anderen achtsam und bewusst umzugehen. Dazu gehört sich achtsam zu bewegen, zu essen, zu kommunizieren, zu pausieren und achtsam zu denken – also sich jeweils auf eine Sache zu fokussieren. Derlei Werte in einem Unternehmen zu etablieren, soll helfen die Arbeitsweise in einem stressvollen Umfeld umzustellen und so bessere Ergebnisse zu erzielen, die gesundheitlichen Folgen von Stress zu reduzieren, das Immunsystem zu stärken, Burnout vorzubeugen und den Krankenstand zu reduzieren.

Dies klingt erstmal plausibel, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen aber als paradox. Dinge, die entspannen und einen Ausgleich zur Arbeitswelt schaffen sollen, werden zur puren Effizienzsteigerung instrumentalisiert. Dabei ist ja genau diese permanente Effizienzsteigerung auf den Schultern des Individuums die Ursache für ausgebrannte Arbeitskräfte. Anstatt aus diesem Kreislauf auszubrechen und an maroden Systemen zu rütteln, raten Konzernverantwortliche ihren Angestellten zur individuellen Selbstoptimierung – jetzt eben auf die ganz softe Art. Sie bekämpfen Feuer mit Feuer und verschärfen dadurch einen Teufelskreislauf statt ihn zu durchbrechen: Keineswegs „mindful“. Im Gegenteil, „Mindfulness“ ist wohl die perfideste Art, aus Managern nur noch mehr heraus zu pressen.

Ein krankes System heilen

Kurz gesagt: Nicht das Individuum muss optimiert werden – der Lebensstil des Einzelnen sollte doch Privatsache bleiben – sondern das System! Das Problem liegt darin, dass unser Arbeitsalltag standardisiert und ritualisiert ist. Hypnotisiert vom ständigen Läuten des Telefons, schleppen wir uns von Termin zu Termin und checken zwischen Tür und Angel unsere Emails. Zeitgleich stapeln sich die Aufgaben des Tagesgeschäfts auf dem Schreibtisch immer höher. Da mag eine Runde Lunch-Break-Yoga zwar dazu beitragen, die sich anhäufenden To-Dos gelassener zu sehen. Doch es löst nicht wirklich das eigentliche Problem: Mit dem eingefahrenen Arbeitsrhythmus der Vergangenheit werden wir die Zukunft nicht bewältigen können. Neue Kommunikationsformen und Geschäftsmodelle der Digitalisierung zwingen uns zum Umdenken.

Und so kaschiert der aktuelle Wohlfühltrend mehr schlecht als recht, dass die klassischen Arbeitszeitmodelle längst überholt sind. Wir müssen lernen, weniger, aber dafür fokussierter und effizienter zu arbeiten. Nur so bleiben wir dauerhaft leistungsstark, kreativ und ausgeglichen. Den Weg dafür kann man schon mit kleinen Schritten ebnen. Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass Meetings und E-Mails zu den größten Arbeitszeitfressern überhaupt gehören. Meetings gestalten sich eben sehr oft unproduktiv. Jedes unnötige sollte deshalb radikal gestrichen werden. Auch die ins E-Mail-Checken investierte Zeit ist häufig verschwendet. Angestellte sollten den Blick ins Postfach auf etwa zweimal pro Tag beschränken. Ein Hinweis, dass eingehende Nachrichten unregelmäßig beantwortet werden, beruhigt den Absender.

Doch auch hier gilt: Der Fisch stinkt vom Kopf. Die oberste Führungsebene, die Vorstände und Geschäftsführer, müssen erkennen, dass weitere Investitionen, wie aktuell in den „Mindful Manager“, der falsche Weg sind. Sie füttern ein krankes, veraltetes System. Was wir im agilen, digitalen Zeitalter benötigen, ist ein kompletter Systemwechsel. Wir müssen aufhören, Arbeit in Zeiteinheiten zu messen, sondern allein an dem effektiven Ergebnisbeitrag. Dazu müssen wir an neuen Zeitmodellen arbeiten und ebenso die klassischen Unternehmensstrukturen in Frage stellen, die ein viel zu hohes Frustpotenzial in sich bergen. Der Grund sind die vertikal verlaufenden Hierarchiestufen. Anweisungen werden starr von oben nach unten durchgesetzt. Das macht ein System zu statisch und schwerfällig. Die Chefetage ist viel zu weit weg vom Tagesgeschäft und trifft in Meetings kollektive Entscheidungen, ohne dabei zu wissen was „unten“ passiert. Gute Ideen von Mitarbeitern finden im Gegenzug zu wenig Gehör, weil sie gar nicht bis nach oben gelangen. Beide Seiten – Chefs und Arbeitnehmer – entfremden sich so immer stärker vom eigentlichen Kern der Arbeit. Es entsteht das Gefühl von Machtlosigkeit. Ein solcher Frust wiederum führt zu Stress und unnötiger Belastung des Einzelnen.

Transparente Gehaltsgefüge, Mitbestimmung bei wesentlichen Unternehmensentscheidungen, Mitsprache bei Personalangelegenheiten sowie zeitgemäßere Arbeitszeitmodelle sind notwendiger denn je. Erste Versuche in diese Richtung sind vielversprechend.

Schwedische Unternehmen als Vorreiter

Im schwedischen Göteborg haben vier Unternehmen den Sechs-Stunden-Tag eingeführt: Das Pflegeheim Svartedalens, die Sahlgrenska-Universitätsklinik, das Toyota-Werk und das Tech-Startup Brath. Dort arbeiten die Mitarbeiter nun 30 Stunden statt 40 Stunden pro Woche. Die Resultate sind bemerkenswert. Im Pflegeheim hat sich die Betreuung der Patienten verbessert. Das liegt laut den Mitarbeitern daran, dass sie viel aufmerksamer sind. Waren sie früher ständig erschöpft, so haben sie nun mehr Energie für ihre Arbeit – und auch für ihre Familien. Letzteres steigert die Zufriedenheit wesentlich und wirkt sich so positiv auf das Betriebsklima aus.

Die Hamburger Onlineagentur Elbdudler gehen noch einen Schritt weiter. Sie haben ihre Organisation radikal auf ein unautoritäres System umgestellt. Die Gehälter können die Angestellten selbst festlegen – in einem transparenten Entscheidungsprozess. Sie bestimmen auch ihre Arbeitszeiten und entscheiden, welche Möbel sie nutzen. Entscheidungen werden per Mehrheitsbeschluss getroffen. Deshalb haben die Mitarbeiter konkrete Einblicke in die Geschäftszahlen und müssen strategische Überlegungen anstellen, wie der Jahresgewinn investiert wird. Das Modell funktioniert nämlich nur, wenn alle darüber reflektieren, was sie beitragen können, damit der Pro-Kopf-Umsatz stimmt. Gehalt und Arbeit richten sich hier also nicht nach Zeiteinheiten, sondern am Ergebnis. Das erhöht die Identifikation und senkt den Frustlevel.

Freiwillig Yoga machen

Der Erfolg gibt Unternehmen, die eine derart extreme Umstellung wagen recht. Ein perfektes Beispiel hierfür ist der brasilianische Maschinenbauer Semco. Konzernchef und Vordenker Ricardo Semler stellte das Unternehmen bereits in den achtziger Jahren auf ein solch fortschrittliches Prinzip um. Das Ergebnis: Er steigerte den Umsatz um das 500-Fache. Man sieht: Das Gewicht auf die Arbeitsprozesse und neue Arten der Führung zu legen ist in der heutigen Zeit der Schlüssel zum Erfolg.

Auch der Großkonzern vom Anfang des Artikels hat sich ein Beispiel an den innovativen Unternehmen genommen und umgedacht. Seitdem in der Firma ein neuer Wind weht, hat sich der Konferenzraum, in dem in der Mittagspause Yoga angeboten wird, etwas geleert. Die Mitarbeiter gestalten ihre Mittagspause selbstbestimmt. Der eine geht gerne Joggen im Wald, die andere sitzt mit einem Eis in der Sonne. Zum Yoga gehen beide lieber am Wochenende – und zwar freiwillig. Damit verhalten sie sich dann wirklich „mindful“ und das neue System in der Firma ist es ebenso.



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