Hand hält Abmahnungsbrief, im vordergrund liegen Geldscheine

Das Zauberwort heißt: Konsequenz! – Warum unternehmenskulturelle Haarrisse so gefährlich sind

Lernen von Scrat? Dahinter verbirgt sich nicht etwa ein neues Management-Tool, auch nicht zu verwechseln mit dem aktuellen Hype um die Kreativmethode Scrum. Scrat ist das kleine Wiesel aus den Ice Age-Filmen, immer auf der Suche nach der einen verlockenden Haselnuss. Dabei passiert ihm fast immer dasselbe: Die Haselnuss steckt im Eis fest. Das Ziehen verursacht ein leises Knacken, ein erster leichter Riss bildet sich, der sich gaaaaanz langsam fortsetzt… Und am Ende bricht dann der ganze Eisblock samt Wiesel und Haselnuss ab und verschwindet in der Tiefe. Gott sei Dank gehen solche Sachen im Film immer gut aus.

Für manche Unternehmen in der Realität leider nicht. Denn auch in Unternehmen können sich kleine Ereignisse zu wahren Tsunamis entwickeln. Denken wir nur an einige der Shitstorms der Vergangenheit, unbeherrschte Statements von Führungskräften oder aktuelle Skandale im Banken- oder Automobilbereich. Dabei kommt so ein Ereignis nicht über Nacht und nie aus heiterem Himmel. Viele dieser Ereignisse haben eine Vorgeschichte, kündigen sich schon von langer Hand an, haben ihren Ursprung in kleinen unscheinbaren Dingen … und wären damit vorhersehbar! Wenn, ja wenn, Belegschaft und Führung ihre Augen und Ohren offen hielten und auch auf Bauchgefühle hörten.

Viele Führungskräfte glauben immer noch an den großen Big Bang, der über das Unternehmen kommt und damit als unvermeidbar gilt. Es sind aber diese gefährlichen unternehmens- kulturellen Haarrisse am Anfang, die ein Unternehmen dann am Ende in die Tiefe reißen.

Kaum eine Führungskraft oder ein Mitarbeiter kommt wohl auf die Idee, mal so vor dem Sonntagsbrunch einen Skandal zu planen, oder am Abend plötzlich korrupt zu werden oder Geschäftszahlen zu manipulieren. Oft fängt es im Kleinen an, sind es winzige Schritte, die ausufern und eine Eigendynamik entwickeln und zu immer größeren Schritten verleiten – oft, um vorherige Fehler zu vertuschen.

Viele Unternehmen verweisen und vertrauen in erster Linie bei Prävention und Bekämpfung von Missständen und Fehlverhalten auf ihre Compliance-Regeln und -Abteilungen – ein Trugschluss. Ganze Stäbe sind dann damit beschäftigt, ihre Daseinsberechtigung zu legitimieren. Wohl gemerkt: Kriminelle Energien hält man nicht mit Online-Kursen, Vier-Augen-Prinzipien etc. auf. Da hilft am Ende auch kein Neun- oder 28-Augenprinzip. Im Gegenteil drohen solche Prinzipien eher Unternehmen zu bürokratisieren bzw. Unschuldige mit in den Sog zu ziehen, weil sie gutgläubig mit unterzeichnet haben. Denn oftmals fehlen einfach der Einblick oder die Zeit oder beides, um sich akribisch in vertragliche Sachverhalte einzuarbeiten. Mittlerweile haben manche Unternehmen erkannt, wohin das führen kann: die akribische Überprüfung durch die Überprüfung der Überprüfung! Und damit zu Bürokratie und am Ende Blockade!

Dabei ist es nicht unbedingt so schwer, seine Pappenheimer ausfindig zu machen. Viele Kollegen oder Vorgesetzte kennen sie – und schweigen. Und es sind oft die kleinen Dinge, mit denen es anfängt: da einmal ein paar Minütchen auf die Zeiterfassung draufgerechnet, hier mal beim Geschäftsessen Fünfe gerade sein gelassen, dort mal ein paar Kanapees übers Spesenkonto abgerechnet, hier mal ein bisschen die Präsentation oder die Zahlen aufgehübscht … Ist ja auch nur für dieses eine Mal. Aber dann treten die unternehmenskulturellen Effekte ein: was einmal ging …, und wenn es Müller und Meier machen, warum soll ich dann immer der Dumme sein …, die da oben schauen ja anscheinend sowieso weg …. Es sind eben diese unternehmenskulturellen Haarrisse!

Damit wird es zu einer Frage der Kultur einer Organisation, es wird zu einer Frage der Werte des Menschen. In der Studie „Nachhaltiger Unternehmenserfolg“ ist auffällig, dass gut aufgestellte Unternehmen sich nicht nur auf einige wenige aber wichtige Kernwerte konzentrieren, sondern vor allen Dingen diese auch konsequent nachhalten, Verhalten beobachten und bei kleinsten Anzeichen von Fehlverhalten handeln. Das Zauberwort heißt: Konsequenz! Das muss nicht gleich den Rauswurf bewirken. Oft reicht schon die Sichtbarkeit, dass Fehlverhalten wahrgenommen, angesprochen und geahndet wird. Für die Führung und Belegschaft ein nicht zu unterschätzendes Signal: Wenn‘ s raus kommt, hast du ein Problem …. Und sie schauen hin. Und sie handeln!

Pius Baschera, langjähriger erfolgreicher CEO der mehrfach prämierten Firma HILTI, sagte es mal so: „Du musst in die Organisationen hineinhorchen“! Wohl wahr! Viele Führungskräfte unterschätzen es, welche Informationen sie so nebenbei erhalten: Hier mal eine kurze Bemerkung, dort mal ein kleiner Nachsatz.

In den Kultur-Analysen des Kompetenzzentrums konnte man nach Interviews auf allen Ebenen ein unternehmenskulturelles Mosaik zusammensetzen, bei dem man am Ende oft viel mehr erfuhr als durch Mitarbeiterbefragungen.

Voraussetzung ist aber auch eine ausgewiesene Vertrauens- bzw. Fehlerkultur. Wer Ängste entwickelt, fängt an zu tricksen, wo intransparente Strukturen vorherrschen, blüht die Manipulation, wenn Führungskräfte wegschauen, animiert es zum Schummeln. Es darf keine Scheu bestehen, Versäumnisse, Fehlentwicklungen, Misserfolge und Fehlverhalten zu thematisieren. Es darf aber vor allen Dingen nach Meldungen nichts unter den Tisch fallen. Natürlich ist eine Haltung bequem – und vielleicht sogar menschlich: Was geht mich das an? Betrifft das nicht eigentlich die andere Abteilung? Muss das nicht meine Führungskraft klären? Soll ich mich hier ausgerechnet zum Deppen machen?

Am Ende ist es eine Aufgabe und Verantwortung der Führung, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Offenheit herrscht und Fehler nicht totgeschwiegen werden. Das heißt aber auch: Vorbild sein! Firmen wie HILTI führen daher regelmäßig so genannte Culture Journeys durch, um ihre Werte zu schärfen und zu verbreiten. Erfolgreiche Unternehmen reklamieren kontinuierlich die Rechte und Pflichten in ihren Organisationen. Sie leben von oben Werte vor und sprechen vor allen Dingen mit den Mitarbeitern auch abseits von offiziellen Sitzungen. Es ist erstaunlich, was man da als Führungskraft so alles über die Kultur erfährt, über Mitarbeiter wahrnimmt, zwischen den Zeilen zu hören bekommt und durch aufmerksames Beobachten herausfinden kann. Aber auch aus der Analyse des Verhaltens von Mitarbeitern in vorherigen Situationen – dem so genannten Critical-Incidence-Verfahren – lernt man einiges über Mitarbeiter und Führungskräfte …

Das Kompetenzzentrum hat in seinen Kulturanalysen in Unternehmen so einiges über die wahre Kultur herausarbeiten können: die internen Spielregeln, die Glaubenssätze und versteckten Anreize. Zum Erstaunen der Führung. Wie fragte der renommierte Trainer Heiko Roehl in den Executive Trainings in Anlehnung an das Buch von Goffman: „Spielen wir nicht alle nur Theater?“ Der Blick hinter die Kulissen ist entscheidend. Es ist erstaunlich, was man dann auch über so manche Missstände erfährt. Fragebögen sind geduldig – Interviews, Gespräche etc. abseits der Rituale und Prozesse offenbaren oft das wirkliche Unternehmensleben, die wahren Spielregeln der Organisation. Wenn man genau hinhört …

Wohlgemerkt: kriminelle Energie lässt sich in den seltensten Fällen aufhalten – der Beginn unternehmenskultureller Haarrisse schon. Deshalb sollte sich jedes Unternehmen ein Scrat-Poster an die Wand hängen, um sich an die Folgen zu erinnern. Damit es am Ende nicht heißt: „Tja, gewusst oder geahnt haben wir das ja schon immer, aber ….!“



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