Buch "Eurpoe reforms labour markets" auf Glastisch liegend

Warum Unternehmen politische Reformprozesse scharf beobachten sollten…

Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung, legt gemeinsam mit seinen Co-Autoren Eric Thode und Christiane Weidenfeld sein neues Buch mit dem Titel „Europe Reforms Labour Markets – Leaders‘ Perspectives“ vor. Er interviewt darin 12 ehemalige Regierungschefs, die während ihrer Amtszeit umfassende Reformen auf dem Arbeitsmarkt, im Sozialen und in der Alterssicherung auf den Weg gebracht haben. Unter anderem liefern Gerhard Schröder und Tony Blair Einblicke aus erster Hand, wie es ihnen gelungen ist, trotz großer Widerstände und Unsicherheiten tiefgreifende Veränderungsprozesse in der Politik und Gesellschaft anzustoßen und zum Erfolg zu führen. Auch Wirtschaftsführer stehen immer wieder vor der Herausforderung, auf neue Marktbedingungen zu reagieren, ihr Unternehmen entsprechend auszurichten oder gar ganz neu zu erfinden. Wir haben Aart De Geus gefragt, was die Wirtschaft in dieser Hinsicht von der Politik lernen kann.


Was können Unternehmen für ihr Change Management von Reformprozessen in der Politik lernen?

Auf den ersten Blick unterscheiden sich Reformen im öffentlichen Bereich deutlich von Verän-derungsprozessen in Unternehmen. In der Privatwirtschaft spielen öffentliche Debatten und die Einschätzung der breiten Bevölkerung häufig keine große Rolle. Darüber hinaus ist auch die Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen werden, meist eine andere. Demokratische Abstimmungen sind nach wie vor selten. Bei näherer Betrachtung ergeben sich aber auch zahlreiche Parallelen. In unserem Buch haben wir vier Arenen identifiziert, in denen politische Top-Entscheider aktiv werden müssen, um Reformen erfolgreich zur Umsetzung zu führen: Legitimation, Implementation, Stakeholder-Management und Kommunikation (auf Englisch das so genannte „LISC-Modell“). Legitimation und Rechtfertigung für eine Reform lassen sich nach unserer Analyse vor allem durch ein günstiges Reformklima im Inneren, äußeren Reformdruck und die Nutzung von harten Daten in Form von Zahlen und Fakten schaffen. Das lässt sich unmittelbar auf Unternehmen übertragen. Bei der Implementierung kommt es auf eine sorgfältige Planung, richtiges Timing, fortlaufende Evaluation und persönliche Leadership an.

Die Stakeholder mögen im Unternehmen andere sein als in der Politik. Aber die Arten des Umgangs sind wiederum sehr ähnlich: Die Einschätzungen der Stakeholder einholen, um auf einer sicheren Basis entscheiden zu können, die Befürworter der Veränderung mobilisieren und Kompensationsmöglichkeiten für Reformverlierer ausloten. Und schließlich lassen sich auch im Bereich der Kommunikation viele Aspekte übertragen, ganz gleich ob ein Wahlvolk oder eine Belegschaft angesprochen wird. Ein schlüssiges Narrativ ist Grundvoraussetzung, um die Notwendigkeit der Veränderung zu verdeutlichen. Die Vermittlung muss auf die spezifischen Merkmale unterschiedlicher Zielgruppen zugeschnitten sein. Und last but not least gilt auch hier, dass Kommunikation keine Einbahnstraße ist.

Feedback muss gehört werden und in den weiteren Prozess einfließen.

Welche Unternehmenskultur bildet die Grundlage für erfolgreiche Reformen?

Es muss eine Kombination aus Transparenz und Feedbackkultur geben. Soweit möglich sollten Informationen für alle gleichermaßen zur Verfügung stehen. Darüber lässt sich auch eine größere Einsicht in die Notwendigkeit von Veränderungen herbeiführen. Herrschaftswissen schafft dagegen eine Kultur des Misstrauens und der Ablehnung. Nachvollziehbare und aufeinander abgestimmte Veränderungsschritte tragen ebenfalls zum Verstehen bei, erleichtern die Steuerung und können während des Prozesses die Reformbereitschaft auch bei skeptisch eingestellten Gruppen steigern. Dafür ist eine offene Feedbackkultur unabdingbar. Wenn man Neuland betritt, sind Fehler unvermeidlich – das gilt auf allen Ebenen. Aber nur wenn sie auch erlaubt sind, erkannt und eingestanden werden, können sie ihre positive Wirkung entfalten: Nur dann kann umgesteuert und konstruktiv an ihrer Behebung gearbeitet werden. Nachbesserung darf nicht als Zeichen von Schwäche betrachtet werden. Tony Blair, britischer Premier von 1997 bis 2007, zieht dazu folgendes Fazit: „You need to put the right systems of quality advice in place and pay real attention to the structure you have around you that allows you to get a proper grip on what reforms are necessary.“

Schließlich darf die Abwesenheit von demokratischen Strukturen und Verfahren nicht als Rechtfertigung für strikte Top-Down-Reformen benutzt werden. Das ist tödlich für offenes Feedback und für die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Derartige Reformprozesse enden oftmals damit, dass sich zwar die Strukturen ändern, dass aber die Verhaltensweisen der Beteiligten dieselben bleiben – und alle wundern sich, warum sich im Ergebnis nichts verändert hat.

Welche Rolle spielt bei dem Ganzen der CEO?

Die Frau oder der Mann an der Spitze trägt selbstverständlich die Letztverantwortung für die Ziele einer Reform, für den eigentlichen Prozess und für das Ergebnis – ganz gleich ob in der Politik oder im Unternehmen. Größere Veränderungen sind daher zwangsläufig „Chefsache“.

Leadership steht im Mittelpunkt, und das umfasst auch persönliche Wesenszüge wie Charisma, Authentizität und das eigene Einstehen. Wolfgang Schüssel, Ministerpräsident in Österreich von 2000 bis 2007, bringt es beim Bericht über seine große Rentenreform auf den Punkt: „Without my personal intervention, without my presence and commitment, the outcome would have been completely different.“

Darüber hinaus hat der CEO im Vorstand auch die Rolle des Sprechers für „Visionen“ und für „übergeordnete Ziele“ inne. Konzeptionelle Stärke, das Denken in längeren Zeithorizonten und der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus zeichnen erfolgreiche CEOs in diesem Sinne aus. Und natürlich muss der CEO als Dirigent des Unternehmens die gesamte Partitur des „LISC-Modells“ beherrschen, damit die vier Stimmen Legitimation, Implementierung, Stakeholder-Management und Kommunikation harmonisch zusammenspielen.

 



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