Hand hält Stift und füllt Fragebogen aus

Kulturentwicklung durch mitarbeiterorientierte Kennzahlen

Digitalisierung verbessert die physische Welt. Aber verbessert sie auch unsere soziale Wirklichkeit im Arbeitsleben? Dazu sollten wir ein mittlerweile betagtes Konzept, die Unternehmenskultur, neu diskutieren und verstärkt zur Organisationsgestaltung einsetzen! Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung liefern dafür vielversprechende Anhaltspunkte. Kultur lässt sich messen und Kulturwandel ist machbar. Anknüpfend daran soll das Folgende einen Beitrag leisten:

„Kultur“ ist ein biopsychosoziales Konzept, mittlerweile heimisch nicht nur in den Sozial- sondern mittlerweile auch in den Naturwissenschaften. Forscher sprechen von der „Neuroplastizität“ des Gehirns und vom Gehirn als einem „sozialen Organ“. Weil das Gehirn – jenseits einer genetisch vorgegebenen Grundvernetzung – aus durch Interaktion und Erfahrung erlernten Nervenbahnen besteht. Welche praktische Bedeutung hat diese Erkenntnis? Werden z.B. Mitarbeiter nicht ausreichend über Ziele und Strategien ihrer Organisation informiert, erzeugt das Ungewissheit und Unsicherheit, was den Oxytocinaustoß hemmt, und eine effiziente Teamarbeit und das Engagement für die gestellten Aufgaben behindert (Zak 2017).

Das menschliche Navigationssystem wird – so behaupten angesehene Neuroforscher, wie z.B. der Nobelpreisträger Eric Kandel – von zwei Grundimpulsen gesteuert: von dem Impuls der Annäherung und dem der Vermeidung (Kandel 2014, 103). Mit der Folge, dass sich Menschen im Alltag höchst selektiv verhalten, bestimmte Situationen, Personen, Meinungen und Werte zum Teil heftig billigen, andere ebenso heftig missbilligen, Kooperation gesucht, aber oft auch gemieden wird. Und wo sie zustande kommt, meist nur mit hohem psychischen Aufwand gelingt oder trotz dieses hohen psychischen Aufwands scheitert. Menschen handeln als Kulturwesen werteorientiert. Als Produkt der biologischen Evolution sind Menschen aber auch Naturwesen, beeinflusst von tief im Zwischenhirn verwurzelten Impulsen; entweder nach Zuwendung und Anerkennung durch Mitmenschen („Bindungssystem“) oder aber nach Vermeidung oder Bekämpfung bedrohlicher Akteure oder Situationen („Stresssystem“).

Emotionale Bindungen zwischen Menschen bilden die Grundlage für persönliches Wachstum und Gesundheit – ein Leben lang

Das Stresssystem spielte in der Urzeit der Menschheit eine überlebenswichtige Rolle. Die Fähigkeit zur Mobilisierung unserer physischen Fähigkeiten war entscheidend bei der Jagd und der Bekämpfung feindlicher Artgenossen. Genau diese Fähigkeit zur Bewältigung akuter physischer Herausforderungen spielt aber in der modernen Arbeitswelt keine zentrale Rolle mehr, da heute Maschinen die Muskelkraft ersetzen und moderne Organisationen allenfalls im angegliederten Fitnessstudio Raum lassen zur physischen Entspannung. An die Stelle physischer treten heute psychische Bedrohungen, und tritt die Notwendigkeit zu ihrer Prävention und Bewältigung. Dabei keinesfalls übersehen werden sollte das Bedürfnis nach Bindung und Respekt. Menschen brauchen Menschen, zu ihrer kognitiven, emotionalen und moralischen Entwicklung, zur Problemlösung und zur Stabilisierung ihres seelischen Gleichgewichts. Nichts inspiriert und bewegt emotional so sehr, wie der persönliche Austausch „von Angesicht zu Angesicht“. Menschen sind angewiesen auf Menschen, von denen sie lernen, bestimmte Nervenbahnen im Gehirn zu benutzen. Emotionale Bindungen zwischen Menschen bilden die Grundlage für persönliches Wachstum und Gesundheit – ein Leben lang. Die Abhängigkeit des Kooperationsvirtuosen Mensch von Seinesgleichen begründet zugleich seine große Verwundbarkeit. Kaum etwas verletzt so sehr, wie von Mitmenschen durch Missachtung oder Zurückweisung gekränkt zu werden. Nur der Verlust, wichtiger Personen, Werte, Überzeugungen oder sinnstiftender Tätigkeiten wiegt noch schwerer. Menschen sind keine geborenen Egoisten, sondern durch ihre soziale Natur besonders begabt zur Entwicklung von Gemeinsinn und moralischem Bewusstsein. Sie besitzen ein Bedürfnis nach Fairness, Gerechtigkeit und vertrauensvoller Kooperation. Unser Streben nach Wohlbefinden durch soziale Verbundenheit und sinnvolle Betätigung ist – so Victor Frankl –, immer auch Ausdruck unserer Bedürfnisse zur Bewältigung von Aufgaben, die über uns selbst hinausführen.

Führungskräfte prägen die Unternehmenskultur

Führungskräfte prägen die Unternehmenskultur. Sie stellen Weichen in Richtung entweder einer Kultur der Angst, des Misstrauens und der Kontrolle oder einer Kultur des bindungslosen Wettbewerbs und amoralischen Strebens nach persönlichem Erfolg. Es gibt aber noch eine dritte Option: Entwicklung einer Kultur vertrauensvoller Kooperation auf der Grundlage gemeinsamer Überzeugungen, Werte und Regeln. Auch wenn sich Elemente dieser drei Kulturtypen in jeder Organisation finden lassen, entscheidend ist, welcher Kulturtyp vorherrscht. In Form erlernter Gedanken, Gefühle und Ansichten prägt Kultur das innere Kollektiverleben („Kollektivbewusstsein“) des Menschen, stiftet Sinn und mobilisiert Energie. Eine Kultur des Vertrauens ist „Sinnspeicher“ und „moralischer Kompass“ zur Regulierung des alltäglichen Arbeitsverhaltens. Eine Kultur vertrauensvoller Kooperation erleichtert selbstorganisierte Vernetzung der Gehirne und sie reduziert den Energieaufwand der Führungskräfte für Kontrolle und Koordination. Sie trägt zur Vermeidung von Beziehungskonflikten bei. Sie reduziert das Risiko innerer Kündigung und fördert die Gesundheit. Sie ermöglicht vor allem eine ungestörte Konzentration und den vollen Energieeinsatz zur Bewältigung gestellter Aufgaben. Die Suche nach Sinn, Zuwendung und Anerkennung und das damit angestrebte Gefühl, gebraucht zu werden, bilden primäre menschliche Triebkräfte – nicht nur Angst vor Sanktionen oder finanzielle Anreize (Badura et al. 2017).

Wer sich mit dem Thema Kulturwandel in Organisationen befasst – und das werden durch die digitale Transformation erzwungen zukünftig deutlich mehr Führungskräfte sein als in der Vergangenheit – kommt an den dazu vorliegenden neuen Erkenntnissen der Neuro- und Sozialwissenschaften nicht mehr vorbei: Kultur beeinflusst Aufmerksamkeit, Energieeinsatz und Wohlbefinden und ist damit eine für die Funktionsfähigkeit und Attraktivität jeder Organisation elementar wichtige Bedingung!

Die durch die Digitalisierung zu erwartenden Veränderungen sind schwer vorhersehbar aber sehr wahrscheinlich zugleich weitreichend und tiefgreifend. Dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei eine zentrale Rolle spielen – ihre fachliche und soziale Qualifikation ebenso wie ihre Gesundheit – ist allerdings heute schon absehbar.

Kulturwandel – aber wie?

Zur Entwicklung von Mitgliedern zu Mitarbeitern gilt es, die Bindekräfte des sozialen Systems von Organisationen zu stärken. Erwerb und Veränderung von erlernten Gemeinsamkeiten die verbinden, (wofür der Begriff Kultur ursprünglich in der Anthropologie und Soziologie entwickelt wurde) ist eine alles andere als leicht zu bewältigende Aufgabe. Kulturwandel erfordert Vorbilder mit meinungsbildendem Einfluss („Charisma“); das Erlernen neuer und das Verlernen überkommener Werte, Überzeugungen und Regeln; und schließlich informelle Kontrolle durch das soziale Umfeld, um Rückfälle in „altes“ Denken, Fühlen und Verhalten zu verhüten oder zu korrigieren. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden umso eher bereit sein, sich auf Neues einzulassen, wenn Veränderungen nachweislich der Entwicklung einer Kultur vertrauensvoller Kooperation sowie angstfreier Beteiligung bei der Entwicklung von Arbeit und Organisation dienen. Kennzahlen zur Kulturentwicklung, Committment und Gesundheit sind für einen solchen Nachweis geeignete Instrumente. Derartige Kennzahlen liefern heute von Mitarbeitern, Kunden, Eigentümern und der Finanzindustrie immer häufiger erwartete Informationen über „nichtfinanzielle“ Bedarfe und Konsequenzen unternehmerischen Handelns. Langjährige Forschungsarbeiten an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld haben dazu tragfähige und praktikable Vorschläge entwickelt (Badura et al. 2017).

Vorschlag eines mitarbeiterorientierten Kennzahlensystems
Vorschlag eines mitarbeiterorientierten Kennzahlensystems

 

Für die Bewältigung der mit viel Unsicherheit und Ungewissheit verbundenen digitalen Transformation erscheint ein derartig weiterentwickeltes Berichtswesen unverzichtbar, auch zur Weiterentwicklung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements, der Triebkraft mitarbeiterorientierter Führung.

Wenn Sie sich an der Diskussion darüber beteiligen wollen sind Sie herzlich Eingeladen zu unserer kommenden Jahrestagung, diesmal mit dem Titel: „Kennzahlenentwicklung im BGM“ am 23. November 2017 in Bielefeld.

 



Kommentare

  1. / von MORITZ Consulting

    Die Herangehensweise eine Unternehmenskultur als ein soziales System zu verstehen und von diesem Standpunkt zu verstehen und auch erklären zu können leuchtet ein. Allerdings stellt sich die Frage, ob sich eine Kultur, welche sich unserer Meinung nach durch unbewusste Handlungsmuster und -strukturen ausdrückt in Kennzahlen „festhalten“ lässt.

    Wir, z.B. gehen wie folgt vor: http://www.moritzconsulting.de/was-ist-unternehmenskultur/

    1. / von Martin Spilker
      zu

      Richtig, nur bedingt können Kennzahlen oder Befragungen Kultur abbilden. Man muss Zahlen lesen, nicht auswerten (siehe mein Information-Blog). Das Eisberg-Modell lässt grüßen! Deshalb ist es so wichtig, im Dialog zu bleiben. Unternehmen wie HILTI oder NOVO Nordisk setzen daher auf Kultur-Botschafter. Ihr MS

      1. / von MORITZ Consulting
        zu

        Vielen Dank für den Hinweis, so haben wir es aus dem Beitrag nicht herauslesen können. Die Idee eines Kultur-Botschafters ist sehr vorausschauend und macht unserer Meinung nach auf jeden Fall Sinn.

  2. / von Blog | Creating Corporate Cultures | Schöne neue Arbeitswelt – Gedankenspiele zu einem betrieblichen Gesundheitsmanagement 4.0 - Blog | Creating Corporate Cultures

    […] müssen – weil sich die Arbeitswelt verändert. Denn viele Aufgaben, so der Gesundheitsexperte Bernhard Badura in seinem aktuellen Buch „Arbeit und Gesundheit im 21. Jahrhundert“, werden sich unabhängig […]

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