Sinn

Sinnsuche im Job? Warum das keinen Sinn macht und was stattdessen angebracht ist

„Hey Boss, ab nächstem Monat hätte ich gern 3,5 % mehr Sinn …“

Zugegeben, ein unorthodoxer Wunsch. Bislang ist keine Führungskraft bekannt, die sich so einer konkreten Forderung nach Sinn gegenübersah. Mit Betonung auf: konkret. Denn Sinn im Beruf, in den Organisationen, in dem täglichen Handeln, ja quasi in allem Tun gehört mittlerweile zum guten Ton und wird allen Ortens gefordert. Beispiel Stellenanzeigen: Ohne zumindest eine Andeutung von Sinn scheint das Talent-Management zu kollabieren, sind Organisationen aufgeschmissen.

Aber am Ende werden die meisten Führungskräfte oder HR-Abteilungen dann doch in ihrem Alltag immer wieder mit anderen Forderungen konfrontiert: mit Gehaltserhöhungen, einer Beförderung, einer Weiterbildung, einem Titel etc. Aber warum? Wird Sinn einfach vorausgesetzt? Etwas, was eine Organisation prinzipiell am Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen hat? Zumindest profitiert von dem Hype mittlerweile eine ganze Zunft: eine regelrechte „Sinn- bzw. Purpose-Industrie“.

 

Es gibt keine Garantie auf Sinnstiftung am Arbeitsplatz

Dabei kann es schon mal zu „Sinn-Konflikten“ auf den unterschiedlichen Ebenen kommen. Wie das kürzlich mit jungen Menschen diskutierte Beispiel „Bundeswehr“ zeigt. Dürfte man für sich auf der persönlichen Ebene den Schutz des Landes vor Aggressoren in Anspruch nehmen, dann aber am Sinn einer Bundeswehr zweifeln und Rüstungsinvestitionen kategorisch ablehnen? Kann ich es mir irgendwie zurechtlegen, wie, wo und wann ich Sinnhaftigkeit einfordere?

Und wie soll eine große Organisation seinen Hunderten oder Tausenden von Mitarbeitenden einen Sinn bieten? Ist das überhaupt möglich? Falsche Frage: Es ist nicht nur nicht möglich, es ist auch nicht sinnvoll. Idealerweise mag eine Organisation einen Purpose haben und etwas Sinnvolles tun und anbieten. Aber diese Diskussion ist von der Frage der Sinnsuche in einer Tätigkeit zu entkoppeln. Es kann keine Garantie auf individuelle Sinnstiftung am Arbeitsplatz geben.

 

Wer Sinn sucht, muss auch Kompromisse schließen können

Was heißt das im Umkehrschluss? Jeder Mitarbeitende muss sich selbst fragen, welchen Sinn die Arbeit stiftet und wie viel Sinn in einer Arbeit gefunden wird. Das kann zum Dilemma führen: zwischen organisationaler und individueller Perspektive. Wenn persönlicher Anspruch und betriebliche Realität beim Sinn bzw. Purpose auseinandergehen, fordern manche schnell, dass sich dann doch gefälligst die Realität zu ändern hat. Konsequenzen ziehen sieht anders aus …

Aber die Auseinandersetzung mit den eigenen Werten ist oft genauso unbequem, wie sich der Frage zu stellen: „Was ist für mich nicht verhandelbar?“. Das Angebot eines gut dotierten und inhaltlich interessanten Jobs, leider aber in der Industrie? Die Firma in der Nähe meiner Familie, aber leider mit so wenigen Pluspunkten in Sachen Nachhaltigkeit? In den seltensten Fällen wird man die optimale „rundum-glücklich-machende Lösung“ vorfinden. Dann gilt es, persönlich abzuwägen.

Folgt man den einschlägigen Debatten, gewinnt man sowieso schnell den Eindruck, als handele es sich bei Fragen zum Sinn um eine Elitendiskussion. Wie sagte einmal der Management-Guru bei der Betriebsbegehung: „Das ist aber eine monotone Tätigkeit!“ Womöglich. Aber vielleicht ist die Person am Abend trotzdem stolz, einen Beitrag für den Unternehmenserfolg geleistet zu haben. Und warum sollte nicht auch das Toilettenpersonal an der Raststätte in der Tätigkeit einen Sinn sehen?

 

Sinn kann bedeuten, sinnlose Aufgaben zu eliminieren

Die renommierten Top-Management-Beraterinnen Echter/Assig haben kürzlich in ihrem Newsletter eine entwaffnende Frage gestellt: „Was macht Sinn?“ Ja, was macht eigentlich Sinn? In der Pandemie ist diese Frage wie ein Offenbarungseid, ein Blick wie durch ein Brennglas auf viele Tätigkeiten in Organisation. Und das Resultat ist oft ernüchternd: So manche unserer alltäglichen Aufgaben, Vorgänge, Prozesse etc. in Organisationen machen nämlich wenig oder gar keinen Sinn!

Das wiederholte Ausfüllen eines Formulars für die Freigabe bereits genehmigter Mittel – überflüssig, reine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Die Abstimmungsschleifen zur Veröffentlichung einer Pressemitteilung – so nicht notwendig, geht mit weniger Personen schneller. Der monatliche Bericht an die Führungskraft – steht sowieso fast immer dasselbe drin und ist getunt, ohne richtigen Mehrwert. Die Liste sinnloser Tätigkeiten in Organisationen ließe sich sicherlich noch beliebig erweitern.

Was würde aber passieren, wenn man viele dieser sinnlosen Tätigkeiten einfach wegließe? Man hätte unter Umständen weniger Arbeit … bräuchte damit weniger Personal … könnte so Kosten sparen … etc.! Anscheinend haben sinnlose Beschäftigungen einerseits doch irgendwo und irgendwie einen Sinn: Sie schaffen oder erhalten Arbeitsplätze! Das macht andererseits aber auch wieder keinen Sinn, weil unter Umständen so wertvolle Kapazitäten für wichtigere Dinge gebunden werden.

Und nun? Was tun? Ein wichtiger erster Schritt wäre es, die Debatte um Sinn bzw. Purpose aus der metaphorischen, abstrakten Cloud in die reale (Arbeits-)Welt zu holen. Denn immer dann, wenn es um nichts geht oder man keinem wehtun muss, vor allen Dingen auch sich selbst nicht, ist man schnell bei Plattitüden und hat man einen gemeinsamen Nenner. Klingt alles gut, aber scheitert an der Realität in Form von renitenten Kolleginnen oder Kollegen, begrenzten Ressourcen oder Kundenwünschen.

Wie heißt es doch so zutreffend: „Entscheidend is aufm (Arbeits-)Platz.“ Wie hoch liegt die Schmerzgrenze beim Thema „Sinn“. Welche Priorität räumt man dieser Frage wirklich im Vergleich z. B. zu Einkommensfragen ein. Ist es eine echte Sinnkrise oder doch eher eine aktuelle Unzufriedenheit mit Missständen? Und was wären die Alternativen? Macht alles so wenig Sinn und ist tatsächlich so schlimm, dass man es nicht mehr aushält? Dann muss man bereit sein, Konsequenzen zu ziehen.

Und in der Tat kann nicht zuletzt Führung einen wichtigen Beitrag leisten, Mitarbeitenden Sinn in der Arbeit zu vermitteln, indem man ganz einfach sinnlose Aufgaben sein lässt oder eliminiert. Denn es ist gar nicht einmal die Suche nach dem Sinn, die oft das Ziel verfehlen lässt, sondern manchmal hilft es schon, schlichtweg die Verrichtung unsinniger Tätigkeit zu stoppen. Umgekehrt ist es vielleicht notwendig, den Sinn von bestimmten Tätigkeiten häufiger und gezielter zu verdeutlichen.

 

Wertschätzung und Anerkennung stiften Sinn

Gleichzeitig sollte man aber den vermeintlich einfachen, monotonen Tätigkeiten Wertschätzung und Würde widerfahren lassen. Oftmals reicht schon ein Wort der Anerkennung und/oder des Dankes. Nicht nur von der Führung, auch aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen. Man erlebt es gerade mit dem Hype um das Homeoffice. Denkt man dabei auch an das Altenpflegepersonal, die Müllabfuhr oder Verkaufspersonal, denen dieses Privileg verwehrt bleibt?

Deshalb ist man schnell bei einer grundsätzlichen Debatte. Nämlich der nach der Zukunft der Arbeit oder der Arbeit der Zukunft. Welchen Blick habe ich als Mensch auf einzelne Tätigkeiten, wie bewerte ich diese Arbeiten und die sie ausführenden Personen, welchen Stellenwert besitzen diese in einer Organisation, und wie werden sie bezahlt. Wie geht man – auch als Führungskraft – mit Arbeiten um, die augenscheinlich wenig sinnstiftend sind? Wegschauen? Ansprechen? Ändern?

Mit anderen Worten: Es ist vorrangig eine Verantwortung aller Beteiligten – nicht nur von Führung oder HR –, eine Organisationskultur so zu gestalten, dass unsinnige Tätigkeiten minimiert werden, auch wenn dies sicherlich nie ganz gelingen wird. Und damit rückt wieder die bereits erwähnte Frage in den Vordergrund, um frühzeitig bei der Gestaltung von Arbeitsprozessen, Aufgabenverteilung und Organisationskultur zu überlegen: „Was macht Sinn?“.

 

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Dieser Beitrag erschien im September 2021 bereits als Insider-Beitrag des Autors auf XING



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