Reinhard Mohn

Reinhard Mohn – der Management-Vordenker für Zeiten Digitaler Transformation

„Viele Köpfe ans Denken bringen“ – das war eine Kernaussage Reinhard Mohns in vielen seiner Vorträge. Sie macht deutlich, wie sehr er auf das Prinzip der Delegation von Verantwortung setzte und wie wichtig ihm der damit verbundene Vertrauensvorschuss war. Gleichzeitig blieb ihm Zeit seines Unternehmerlebens die Forderung wichtig, dass Unternehmen einen Leistungsbeitrag für die Gesellschaft erbringen sollten. Klingt modern? Ist modern! Meint angesichts der Herausforderungen durch Globalisierung, technologischen Wandel und Klimadebatte unser Gastautor Willms Buhse, der in seinem Beitrag an die Führungsphilosophie Reinhard Mohns erinnert und so eine Verbindung zum diesjährigen Camp Q schlägt, denn auch dort geht es darum: neu denken, anders führen, nachhaltig wirtschaften …


 

Meine These: Reinhard Mohn ist unbestritten ein Jahrhundert-Unternehmer. Erst seine Überlegungen und Strategien zu moderner Unternehmensführung erlaubten Bertelsmann das fast schon wundersame Wachstum von einem regional verankerten Verlagshaus zu einem global agierenden Medienkonzern. Das Überraschende: Die Tragfähigkeit von Mohns Gedankengut ist so weitreichend, dass es selbst im Zeitalter der Digitalisierung und künstlichen Intelligenz – auch VUCA-Welt genannt (VUCA steht für Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) – hochaktuell ist. Wenn heute andere Unternehmen als Paradebeispiel für erfolgreiche Digitale Transformationen genannt werden, so wird übersehen, dass die eigentliche Management-Transformation bereits in den 80er-Jahren bei Bertelsmann stattgefunden hat. So wurde der Grundstein einer Methode gelegt, mit der Unternehmen die heutigen Herausforderungen der Digitalen Transformation meistern können: dem VOPA-Modell.

Im Detail: Zu Beginn meiner Karriere habe ich selbst sechs Jahre bei Bertelsmann gearbeitet. Zuerst als Technologiescout im Silicon Valley und später als Mitgründer eines Bertelsmann-Start-ups in New York und Hamburg. Der zehnte Todestag von Reinhard Mohn im letzten Jahr ist ein guter Anlass, einmal ganz genau hinzuschauen, um anhand meines VOPA-Management-Modells zu zeigen, wie innovativ – gerade in Bezug auf die Digitale Transformation und New Work – die Ideen von Reinhard Mohn waren. Tatsächlich haben sie kaum etwas von ihrer Aktualität verloren und mich und meine grundlegenden Überlegungen zur Digitalen Transformation von Unternehmen deutlich mehr beeinflusst als mir damals bewusst war.

Dabei gilt Reinhard Mohns Führungsmodell als Erfolgsgeschichte aus einer längst vergangenen Zeit – völlig zu Unrecht. Der 1921 in Gütersloh geborene Unternehmer übernahm schon früh das von seinem Urgroßonkel gegründete Verlagshaus und baute es in fünf Jahrzehnten von einem mittelständischen Betrieb zu einem global führenden Medienkonzern aus. Aber passen seine Impulse heute in das Digitale Zeitalter?

Das VOPA-Modell für Führungskräfte

Heute wird mir erst klar, wie stark mich das Manager-Mindset von Mohn bei meinem eigenen VOPA-Modell geprägt haben muss: Mein Ansatz folgt der Überzeugung, dass Leadership im Digitalzeitalter in erster Linie auf Vertrauen basiert und sich aus den Komponenten Vernetzung, Offenheit, Partizipation und Agilität (eben VOPA – sprich: wie im französischen „Fauxpas“) zusammensetzt.

Wie modern der Konzernlenker tatsächlich dachte, belegen seine wichtigsten Bücher auf beeindruckende Art und Weise. So merkt Reinhard Mohn in „Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers“ gleich Grundsätzliches an:

„Die bei Bertelsmann verwirklichte Unternehmenskultur beruht auf einem partnerschaftlichen und zugleich leistungsorientierten Führungsstil“ (Mohn, 2008).

Der ehemalige Bertelsmann-Vordenker machte sich bereits über agile Konzepte Gedanken, als das Wort noch nicht einmal erfunden war. Er schrieb damals: „Dezentrale Organisationen, die sich auf die Motivation und das Engagement ihrer Mitarbeiter stützen können, erzielen bessere Ergebnisse“ (Mohn, 2008). Später heißt es im selben Buch: „Die Mitarbeiter wollen heute nicht mehr bloße Befehlsempfänger sein, sondern selbst Verantwortung übernehmen und zum Erfolg beitragen“.

Noch stärker beschäftigte er sich mit Offenheit und Transparenz. Hier eine Auswahl wichtiger Zitate:

  • „Der beständige Dialog zwischen Unternehmensführung und Betriebsrat gehört bis heute zu unseren wichtigsten Errungenschaften“ (Mohn, 2003).
  • „Ich hatte gelernt, dass Menschen sehr viel ertragen und leisten können, wenn sie überzeugt sind, auch im Interesse ihres eigenen Vorteils tätig zu sein. Dafür ist es unabdingbar, dass Mitarbeiter und Führungskräfte, vor allem aber auch die Betriebsräte, das Verhalten der Geschäftsleitung verstehen und befürworten“ (Mohn, 2003).

Auch aktuelle Studien belegen, dass Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ein Unternehmen krisensicherer machen.

Auf seinen Wanderungen in und um Gütersloh, bei denen der Unternehmer so gern über die beste Organisationsform für seinen Konzern nachdachte, spielte das Thema Partizipation immer wieder eine Rolle. So schrieb er dazu: „Vertrauen und Kooperation sind die Schlüssel zum Potential der Mitarbeiter“ (Mohn, 2008). An anderer Stelle heißt es dazu: „Mit Hilfe einer auf Vertrauen und Kooperation basierenden Unternehmenskultur lässt sich das Potential, das in der Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen liegt, viel leichter erschließen. Im Hause Bertelsmann wird deshalb auf Dialog und Verständigung gesetzt: Mitarbeiterbefragungen haben gezeigt, dass der partnerschaftliche Führungsstil von den Beschäftigten akzeptiert und mitgetragen wird“ (Mohn, 2008).

So war sich Reinhard Mohn sicher, dass moderne Organisationsformen und autoritärer Führungsstil kaum zusammenpassen: „Unsere komplizierten, hoch entwickelten und flexibel gestalteten Lebens- und Arbeitsverhältnisse überfordern den autoritären Stil. (…) Wo dieser Führungsstil noch angewendet wird, lässt er sich nur aus der Tradition heraus begründen und muss als langfristig ruinös abgelehnt werden“ (Mohn, 2003).

Einer seiner zentralen Sätze zu diesem Thema lautet meiner Meinung nach:

„Bis heute liegt für mich in der Delegation von Verantwortung der Schlüssel zur Innovationsfähigkeit eines Unternehmens“ (Mohn, 2003).

Wer nun glaubt, dass Reinhard Mohn diese Überlegungen auf seinen Streifzügen durch die Natur einfach aus einer Laune heraus anstellte, kannte den Jahrhundert-Unternehmer wahrlich schlecht. Natürlich fußen die meisten seiner Analysen auf fundierten Studien. So konnten beispielsweise Bertelsmann-interne Analysen Folgendes belegen (Mohn, 2003):

  1. Bertelsmann-Firmen mit einer ausgeprägten Unternehmenskultur zeigen sich tendenziell wirtschaftlich erfolgreicher als Bertelsmann-Firmen, deren Unternehmenskultur noch keine ausgeprägten partnerschaftlichen Charaktere aufweisen.
  2. Zwischen der Identifikation der Mitarbeiter und dem wirtschaftlichen Erfolg besteht ein nachweisbarer Zusammenhang. Unter den wirtschaftlich erfolgreichen Firmen ist der Anteil von Firmen mit hoher Zufriedenheit bei partnerschaftlicher Führung und Identifikation besonders hoch.

Gegenposition zu der ausbeuterischen Interpretation einer digitalen Gesellschaft á la Uber

Die wichtigsten Bücher des Bertelsmann-Lenkers sind auch eine lohnende Lektüre im Hinblick auf das Mindset, mit dem mittlerweile eine Reihe von Playern aus dem Silicon Valley höchst egoistisch und geradezu unmenschlich zu agieren scheint. Reinhard Mohn vertrat mit seiner europäisch geprägten Denke ein klares Gegengewicht zu der ausbeuterischen Interpretation einer digitalen Gesellschaft, die auf Internetplattformen basiert. Er schrieb dazu:

„Meine Erfahrungen im Krieg und im Wiederaufbau brachten mich zu der Überzeugung, dass Gerechtigkeit und Menschlichkeit die Grundlage unserer betrieblichen Gemeinschaft bildeten. Immer wieder hatte ich in den schwierigen Anfangsjahren erfahren, dass verantwortliche Führungsarbeit die Belange und Überlegungen der für ein Unternehmen tätigen Menschen einbeziehen musste, wenn sie erfolgreich sein wollte. Nur motivierte Mitarbeiter sind auch gute Mitarbeiter! Die Bewältigung der ersten Nachkriegsjahre hatte mir zudem verdeutlicht, dass der partnerschaftliche Umgang mit den Mitarbeitern und die daraus erwachsene Kreativität der Diskussion einen unentbehrlichen Schlüssel zum Unternehmenserfolg darstellten. Diese Kreativität galt es zu sichern“ (Mohn, 2003).

Mein Fazit: Mithilfe dieses aus heutiger Sicht digitalen und europäischen Mindsets war es in Reinhard Mohns Organisation möglich, schnelle, konsequente und vor allem auch maximal kundenorientierte Entscheidungen zu treffen. Auch wenn die Buchclubs in der Zwischenzeit aus nachvollziehbaren Gründen eingestellt wurden, kann man rückblickend den Aufbau dieses Club-Konzepts als Meisterleistung in Sachen Customer Centricity bezeichnen. Es bediente nur das Kundenbedürfnis, dass die Bücher zu den Lesern und nicht die Leser zu den Büchern kommen mussten – so wie vielleicht Amazon heute. So erreichte Mohn zudem Leserschichten, die sich sonst selten bis gar nicht in einen Buchladen getraut hätten. Damit lieferte der Jahrhundert-Unternehmer auch noch einen nachhaltigen Beitrag für die gesellschaftliche Bildung.

Ich glaube an die These, dass Reinhard Mohn mit seinem Gedankengut eine Generation von Managern geprägt hat, die nach ihren Karrierestufen bei Bertelsmann die deutsche und europäische Wirtschaft mit transformiert haben. Denn Bertelsmann konnte damals keine ausgebildeten Medien-Manager einstellen (weil es keine Studiengänge wie heute zum Beispiel Medienmanagement gab), sondern musste diese selbst zu Führungskräften für die Medienwelt ausbilden. Dass eben diese Manager das Gedankengut Mohns in andere Organisationen getragen haben, ist hoch wahrscheinlich. So werden heute VOPA-Prinzipien bei vielen Branchen-Vorreitern der Transformation wie im Otto-Konzern, bei der Deutschen Telekom oder bei Daimler als lebendes Erbe Reinhard Mohns eingesetzt.

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Quellen:

Reinhard Mohn, 2003: „Von der Welt lernen“
Reinhard Mohn, 2008: „Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers“

 



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