Virtuelle Wir-ologie
Die anderen Tipps zur Führung by Remote
Dirndl-Manufakturen, die plötzlich Atemschutzmasken nähen, Autohersteller, die auf Atemgeräte umstellen. Firmen, in denen Homeoffice strikt untersagt war, wo von einem Tag zum anderen quasi alle aus der Ferne arbeiten. Und dann noch die Heimbeschulung. Neben der Sorge um die eigene Gesundheit und die von Kindern, Eltern, Freunden, wirtschaftliche und finanzielle Ängste, und keine klare Perspektive davon, wie lange das alles dauert, wie viele noch infiziert, krank, schwerkrank werden: Ganz schön viel unterschiedliche Dimensionen von Krise, die der Corona-Virus aktuell beschert. Negatives, Positives und viel „Schaumermal“. Enorme Herausforderungen für Staaten, Organisationen, Einzelne – aber ganz besonders auch für Führende.
In Coachings und Trainings mit Führungskräften mache ich die Erfahrung: Die Verdichtung und Beschleunigung von Arbeit, die immer ungewisseren Herausforderungen, die Globalisierung haben in den letzten Jahren eh schon enorm viel abverlangt von Chefinnen und Chefs. Und jetzt auch noch Corona!
Führung findet in diesen Tagen viel virtueller statt, viel mehr by remote als je zuvor. Und das wird auch so bleiben – zumindest eine Zeit lang, für Viele auch dauerhaft. Wie können Sie auch auf Distanz dicht dran bleiben an Ihrer Belegschaft? Wie können Sie „Wir-ologie“ betreiben, Miteinander, Zusammenhalt und Teamgeist auch über digitale Kommunikations- und Kooperationskanäle fördern?
Hier einige Tipps dazu:
Virtuelle Schätze heben und hervorheben
So groß die Herausforderungen sind und die Einschränkungen: Die virtuelle Zusammenarbeit kann enorme Vorteile bieten. Gestiegene Kreativität, Flexibilität und Produktivität (https://nbloom.people.stanford.edu/sites/g/files/sbiybj4746/f/wfh.pdf), eingesparte Kosten von Tausenden von Euros pro Beschäftigten (https://globalworkplaceanalytics.com/telecommuting-statistics), zufriedenere Mitarbeiter (https://www.owllabs.com/state-of-remote-work/2019): Dazu gibt es Studien, und es lohnt sich, diese Vorteile des virtuellen Zusammenarbeitens herauszustellen. Denn Erfolge, Zuversicht und andere positive Emotionen, das hat die US-Forscherin Barbara Fredrickson bewiesen, fühlen sich nicht nur gut an, sondern machen uns auch produktiver und sozial kompetenter („Broaden-and-Build-Theorie“). Außerdem helfen sie uns, Stress und andere negative Empfindungen abzuwettern („Undoing-Effekt“).
Ein paar Fragen und Impulse für Sie und Ihre Belegschaft:
- Was schaffen wir jetzt leichter, besser, effizienter als vorher?
- Welche Fortschritte auf dem Weg zu mehr digitaler Zusammenarbeit habe ich schon gemacht, haben wir schon gemacht?
- Wo können wir Kunden, Lieferanten, Partnern ein Vorbild sein mit unseren digitalen Kompetenzen?
- Wie kann ich mit Webinaren, Trainings oder ähnlichem für mich und meine Mitarbeiter die Positiv-Effekte von virtueller Zusammenarbeit stärken?
Provisorien akzeptieren
Hunde und Katzen, die durch die Videokonferenz huschen. Kinder auf dem Arm im Zoom-Meeting. Die Vorstandsrunde aus den diversen Küchen und Schlafzimmern: Es wird gerade viel improvisiert und gebastelt. Und das ist auch gut so. Fragen Sie sich nicht bei allem, ob das auch für die Ewigkeit so weitergehen kann, ob es dafür Vorbilder aus der Vergangenheit gibt: Vieles muss heute und hier funktionieren – und morgen oder übermorgen vielleicht schon ganz anders. Akzeptieren Sie Provisorien und ermutigen Sie Ihre Mitarbeiter dazu, dies ebenfalls zu tun!
Autonomie ausprobieren
Unser Gehirn funktioniert bei den allermeisten Menschen morgens am kreativsten und besten, das zeigen Studien (https://www.psychologytoday.com/us/blog/your-brain-work/201007/misunderstanding-the-brain-is-bad-business). Wenn aber morgens gleichzeitig Homeschooling und Versorgung der ältlichen Nachbarin bei Mitarbeiter X ansteht und bei Mitarbeiter Y der Morgen die einzige wahre Produktivitätsinsel des Tages darstellt: Müssen dann wirklich alle von 9 bis 17 Uhr wie sonst auch arbeiten? Muss das Montagmorgenmeeting unbedingt auch in Corona-Zeiten am Montagmorgen stattfinden? Je mehr Kontrolle und Einflussmöglichkeiten wir auf unsere aktuelle Arbeits- und Lebenssituation haben, desto besser können wir mit dem Stress umgehen.
Wie wäre es daher mit folgenden Ideen:
- Welche Arbeitszeiten und -rituale machen für mich persönlich im Moment Sinn? Was könnte ich ausprobieren? Was weglassen?
- Wie kann ich meinen Mitarbeitern Freiräume schaffen und ihnen so viel „work anywhere, work anytime“ wie eben sinnvoll ist ermöglichen?
- Welchen Bedarf und welche Ideen hat das Team für Meetingformate in Zeiten des – überwiegend – virtuellen Zusammenarbeitens?
Verletzlichkeit vermitteln
Von Chefinnen und Chefs wird in Krisensituationen häufig erwartet, sie müssten „Fels in der Brandung“ sein, als „Leuchtturm“ dienen etc. Das ist einerseits gut und schön – was aber, wenn ich selbst große Sorgen und Bedenken habe? Wenn ich Angst um meine eigenen Eltern, Kinder oder die Belegschaft habe? Jedes Horrorszenario, das mir nachts den Schlaf raubt, den Mitarbeitern weitervermitteln – das wäre überreagiert. So weitermachen wie bisher – das wäre unterreagiert. Vielleicht wollen Sie ja auch eigene Sorgen und Bedenken mitteilen. Und/oder dazu ermutigen, dass die Mitarbeiter in einer „Auskotzrunde“ auch mal deutlich machen können, was sie gerade belastet, fordert, überfordert? „Name it to tame it“: Wenn wir negative Empfindungen benennen und versprachlichen können, das zeigen unter anderem Forschungen von Dan Siegel (https://www.youtube.com/watch?v=ZcDLzppD4Jc), werden sie beherrschbarer und weniger dominant. Was also wollen Sie von sich preisgeben? Wie könnten Sie von Ihren Mitarbeitern erfahren, wie es ihnen gerade geht? Was stresst, nervt, behindert wen gerade besonders?
Klarheit schaffen
Unsicherheit und Ambiguität stresst unser Gehirn. Und die Unsicherheiten sind in diesen Tagen ja mannigfaltig und tiefgreifend: gesundheitliche Ängste, um einen selbst, die Angehörigen; finanzielle Sorgen; wirtschaftliche Ungewissheiten, für die Auftragslage, die Zukunft der Organisation, die volkswirtschaftliche Lage und und und.
Als Anregung hier ein paar Tipps und Fragen:
- Welche Kommunikationsrituale will ich neu einführen?
- Auf welchen Kanälen will ich wie mit meinen Mitarbeitern kommunizieren – vom 1:1 über virtuelle Meetings bis hin zu Jammer-, Slack- oder sonstigen Kanälen?
- Welche Zahlen und Ziele kann und will ich verkünden, um somit wenigstens ein Stück Gewissheit zu schaffen? Wie wollen wir möglichen Gerüchten entgegentreten?
- Kann und will unsere Firma den Mitarbeitern zu mehr Klarheit in persönlichen Fragen verhelfen, zum Beispiel durch virtuelle Expertentalks zu Homeschooling-Hacks, virtuellen Kochkursen mit dem Kantinenchef, eine Video-Sprechstunde mit einer Medizin-Expertin?
Priorisieren – und posteriorisieren
„X müsste gemacht werden, um Y sollte sich asapstestens kümmern, und ganz dringend ist auch Z“: Gerade in Krisenzeiten ist Fokus wichtig, sprich: Sich selbst und den Mitarbeitern zu vermitteln, was jetzt wirklich wichtig ist, worauf es jetzt zwingend ankommt. Und was posteriorisiert werden kann, was aktuelle Nicht-Ziele sind, was aufgeschoben werden kann und darf.
Mit Mehrwert meeten
Es gibt zu digitalen Meetings etliche gute Ratgeber da draußen (https://admin.nunatak.com/wp-content/uploads/2020/03/Nunatak_Update-Paper_Remote-Work_2020.pdf), auch ich habe hie und da dazu geschrieben (https://www.xing.com/news/insiders/articles/konstruktiver-meeten-tipps-aus-der-positiven-leadership-2708929). Deshalb hier nur so viel aus meiner Sicht: Die Tool-Frage wird häufig überschätzt, die Hygiene-Faktoren werden häufig unterschätzt.
Daher hier noch einige wenige Tipps:
- Wozu brauchen wir das Meeting, was soll dadurch erreicht werden? Für ein Status-Update reicht ein kurzes virtuelles Stand-Up oder gar eine Mail
- Wen brauchen wir für das Meeting? In den meisten Meetings sind viel zu viele Unbeteiligte, die nur von den Ergebnissen informiert werden müssen, aber nicht zwingend mitzumeeten haben
- Start und Ende pünktlich und positiv: Wenn ein Meeting-Start sich über 15 Minuten hinzieht, dann noch mit allgemeinem Ausgekotze startet und zum Schluss mit großer Verspätung vor lauter Frust nur auseinanderfasert – dann sind alle Potenziale, die die Zusammenkunft bieten hätte können, verpulvert. Eine Runde „What went well“ zu Beginn hebt die Stimmung und macht die Menschen kreativer – ebenso wie ein konstruktiver Review zum Schluss.
- Wenn Sie als Chef echte Meinungsvielfalt wollen: Halten Sie möglichst lange den Mund. Je früher Sie ihn öffnen, desto mehr reden Ihnen die Mitarbeiter nach Selbigem. Vielleicht geben Sie ja sogar die Moderation ab an eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter?
- ToDos und TaDaaas: Ein gutes Meeting endet mit klaren Festlegungen, die an alle Betroffenen kommuniziert werden: Wer macht bis wann was? Und es endet, wie gesagt, mit TaDaaas, also mit einem erfolgsfokussierten Rückblick auf das, was erreicht und weitergebracht werden konnte.
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