Demokratie

Postkarte mit Botschaft. In Sachen Demokratie.

„Demokratie in Organisationen, gar in Unternehmen?“ – diese Frage stellt der renommierte BWL-Professor Günther Ortmann in seinem Blog. Beschleichen einen da nicht seltsame Vorstellungen: Wahlkampf des Führungspersonals, Koalitionen, Wahlgeschenke? Fakt ist aber auch: Ein ‚weiter so‘ in bürokratischen, hierarchischen Organisationen wird der schnelllebigen Arbeits- und Wirtschaftswelt nicht mehr gerecht. Um als Organisation im digitalen Zeitalter zu überleben, braucht es unorthodoxe Ideen, den Perspektivwechsel und mutige Experimente. Auf dem Camp Q am 4. Mai in Berlin wollen wir Antworten für die Führung der Zukunft suchen. Der Blog von Professor Günther Ortmann ist ein wertvoller Impuls für die Debatte:

Erinnern Sie sich an Catos berühmtes „ceterum censeo Carthaginem esse delendam“? Jede seiner Reden vor dem Römischen Senat soll Cato der Ältere, was immer sonst das Thema war, mit diesem Satz beendet haben: „Im Übrigen meine ich, dass Karthago zerstört werden müsse.“

Demokratie in Großorganisationen?

Seit ein paar Jahren komme ich mir ein bisschen wie der alte Cato vor, weil ich in fast jede meiner Publikationen die Botschaft einbaue: „Organisationen sind die mächtigen Akteure der Moderne“, wirkmächtig, aber auch gefährlich für die Demokratie wie damals Karthago für das alte Rom. Nun schwebt mir nicht vor, dass dieser korporative Akteur ‚Organisation‘, Zauberlehrling der Moderne, zerstört werden müsse wie Karthago im Dritten Punischen Krieg (149-146 v. Chr.). Wohl aber gehört er energisch gebändigt, und er bedarf dringend einer Demokratieinfusion. Voller Wehmut kommt einem mit Blick auf Amazon, Facebook et alia ferner in den Sinn, dass noch im Jahre 1974 die AT&T nach einem Antitrust-Verfahren, eingeleitet durch das US Department of Justice, zerschlagen und im – vorläufigen – Ergebnis in die sieben Baby Bells aufgespalten wurde. Nicht, dass Kartellverfahren in dieser Sache das Allheilmittel wären (wie die weitere Entwicklung von AT&T zur Genüge gelehrt hat), auch sind Fusionskontrolle und die Durchsetzung des Kartellrechts seit Längerem rückläufig, und die Missbrauchsaufsicht lässt zu wünschen übrig. Das alles ist paradox genug, wenn man an die Megakonzerne unserer Tage denkt. Eben deshalb bedarf es dringend demokratischer Verhältnisse im Inneren solcher Großorganisationen.

Demokratie in Organisationen, gar in Unternehmen? Da beschleicht uns Akademiker starkes Unbehagen, weil wir sogleich an die enervierenden Prozeduren universitärer Gremiendemokratie denken. Und nun gar Demokratie in Unternehmen? Sollen nun die Affen den Zoo regieren? Und was ist mit den Eigentumsrechten der Eigner?

Creating corporate culture at its best

Vielleicht aber ließe sich eine solche Demokratie als weiterführende Tradition der Reinhard Mohn’schen Idee von der Delegation von Verantwortung denken? Gemäß dem Diktum: Tradition ist Bewahrung des Feuers und nicht Anbetung der Asche? Dass große Unternehmen mit mehreren hunderttausend Mitarbeitern, etwa Siemens oder VW, wie Zentralverwaltungswirtschaften gesteuert werden, mit Vorgesetzten, die ihren Untergebenen vorgesetzt werden, kann das letzte Wort ja wohl kaum sein. Wenn man nun bei Demokratie nicht so sehr an die Installation eigener, dafür zuständig gemachter, bürokratieträchtiger Gremien denkt, sondern an so etwas wie eine demokratische, kulturell gewachsene und stabilisierte, hierarchiearme micro-governance, dann verliert die Sache ihren Schrecken. Ein Mikro-Modell dafür, zugegeben: ein noch recht zartes Pflänzchen, ist jener ziemlich (aber nicht restlos) demokratische Haufen namens Scrum, in dem Leute jenseits von Hierarchie- und Abteilungsschranken mit neuer Gewaltenteilung und neuen Führungsfiguren – Produkt Owner, Scrum Master – gemeinsam Probleme lösen (und es zu einer Art Mikro-Emanzipation der Beteiligten bringen). Creating corporate culture at its best.

Wer kontrolliert den Code?

Karthago stand ja, so sah es Cato, für eine tödliche Bedrohung Roms. Sie finden daher die Parallele, die ich hier ziehe, übertrieben? Nun, ich zitiere aus einem einzigen Artikel von Adrian Lobe in der Süddeutschen Zeitung (Nr. 204 vom 5.9.2017, S. 12): „Facebook legt nach algorithmischer Logik aus, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit liegen.“ „Wie soll der Staat sein Gewaltenmonopol durchsetzen, wenn das Informationsmonopol bei Privaten liegt?“ „Der Code ist nicht nur das Gesetz, wie der Harvard-Jurist Lawrence Lessig formulierte, sondern ein Vehikel, das Recht zu derogieren (derogate = beschneiden) – der Code rangiert in der Normhierarchie ganz oben.“ „Das Recht könnte sich wie der Zucker in einer Kaffeetasse auflösen und durch globale Standards und Soft Law ersetzt werden.“ Und da ist von aggressive tax planning noch gar nicht die Rede. Dass alle Staatsgewalt, wie es in Artikel 20 (2) des deutschen Grundgesetzes heißt, vom Volke ausgeht, klingt da inzwischen ein bisschen wie das Pfeifen der Juristen im Walde.

Denn: Software, die zu Soft Law avanciert, das wirft die Frage auf: Wer kontrolliert den Code? Und die Antwort lautet: die großen Organisationen, und zumal die Microsoft, Alphabet, Facebook, Google, Apple & Co. Gewaltenteilung ade?

Diese jüngere Entwicklung hatte ich noch gar nicht vor Augen, als ich vor acht Jahren in „Organisation und Moral“ Velbrück Wissenschaft 2010, S. 11) schrieb:

„Große Organisationen, besonders, aber nicht nur, große Konzerne, steuern, was kreucht und fleucht, was wir tun und was wir lassen, was, wo und wie wir produzieren, wo und wie wir arbeiten und wohnen, was und wo wir einkaufen, was wir essen und trinken, wie wir kommunizieren und uns informieren – Google-Ziel laut Firmenprofil: ‚die Information der Welt organisieren‘ – , wie, wohin und wie weit wir fahren oder fliegen und, mit einem Wort, was wir erleben und was wir nicht erleben in der Erlebnisgesellschaft. Sie begleiten uns von der Wiege bis zur Bahre. Sie bestimmen auch die Spielregeln, denen das Ganze folgt: die Gesetze, die Verordnungen, die Regulationen, die codes of conduct, die Normen und Standards, die organisatorischen Regelwerke.“

Samuel Goldwyn pflegte das Ansinnen, seine Filme müssten doch eine Botschaft haben, so abzuwehren: „Wer eine Botschaft hat, soll eine Postkarte schicken.“ Auch Wissenschaftler sollten mit Botschaften vorsichtig sein. Aber ein Blog ist ja wie eine Postkarte.



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