„Auch du, mein Sohn Brutus“ – Was man von Verschwörungen im alten Rom lernen kann
Unruhige Zeiten verleiteten schon immer und schnell dazu, Gerüchte, Intrigen und Verschwörungen zu befeuern. Da, wo es droht, neben Gewinnern eben auch viele Verlierer zu geben, wo Status- und Machterhalt auf Forderungen nach Modernisierung und Erneuerung prallen, wo Unsicherheit und Angst vor der Zukunft den Reformwillen und Aufbruchstimmung stoppen, da brodelt es irgendwann unter der Oberfläche. Die digitale Revolution mit ihrem schnelllebigem technologischen Wandel ist so eine unruhige Zeit – auch und vor allen Dingen für Wirtschaft, Arbeitswelt und Unternehmen. Sie ist wie das „Jüngste Gericht“.
Führungskräfte sollten Protagonisten des Wandels sein – eigentlich. Es ist ihre Aufgabe, Unternehmen zukunftsfähig zu machen. Und wenn nicht? Da kann man aus den schlechten alten Zeiten doch so seine Lehren ziehen. Wer sich nicht für Reformen öffnet, wer sich nicht bewegt, wer sich dem Perspektivwechsel verweigert, wer das Querdenken versäumt, dem droht Gefahr, nicht nur den Anschluss zu verlieren, sondern auch auf mehr oder weniger elegante Weise aussortiert zu werden. Deshalb kann es für Führungskräfte so wertvoll sein, sich beispielsweise im Camp Q mit neuen Ideen und Konzepten vertraut zu machen.
„Auch du, mein Sohn Brutus“
Auch das Buch „Große Verschwörungen“ – herausgegeben von Uwe Schultz und durch Zufall entdeckt im Antiquariat – kommt nicht ohne die legendären Worte aus, die Caesar über die Lippen gekommen sein sollen, als er von tödlichen Stichen getroffen auf den Stufen des Senats 44 vor Christus sein Leben aushauchte. Ob es diese Worte waren, darüber streiten bis heute Historiker wie Laien.
Dabei ist ein anderer Ausruf viel wichtiger: „Cave Idus Martias“ – Hüte dich vor den Iden des März! Mit diesen Worten warnte Plutarch Caesar vor dem Anschlag. Wie die Geschichte ausging, ist bekannt. Caesar ignorierte die Warnung, das Schicksal nahm seinen Lauf. Zur Klarstellung: Natürlich sollte es nie so weit kommen! Aber der Reihe nach.
Palastrevolutionen sind kein schönes Thema. Mancher mag sich fragen, was solche politischen Verschwörungen, oder deren kleine Schwestern, die Intrige und das Ränkespiel, mit der Wirtschaft zu tun haben? Nun, zum einen gibt es auch hier solche Vorkommnisse. Und zum anderen kann man aus Dynamik und Systematik solcher Ereignisse der Geschichte einige Lehren ziehen.
Da wäre zum Beispiel die Frage: Wer verbirgt sich oft hinter den Verschwörern? Entgegen der weitläufigen Meinung sind es in den wenigsten Fällen unbekannte, externe Personen. Ausnahmen bestätigen zwar auch hier die Regel. Aber in vielen Fällen sind es – und damit Lehre Nr. 1 – Personen aus dem engeren oder engsten Umfeld. Oft sogar mit familiären Verstrickungen.
Die Geburtsstunde der Verschwörungen
Lehre Nr. 2 resultiert aus der Frage: Warum werden Personen zu Verschwörern? Es sind fast nie die offensichtlich ärgsten Kritiker einer Person. Oft handelt es sich sogar um anfängliche Anhänger, die sich zunächst von Leistung und Worten begeistern ließen, sich dann aber abwenden, als sie die wahren Ziele durchschauten oder den Weg moralisch nicht mehr mitgehen wollten.
Unter welchen Bedingungen gedeihen überhaupt Verschwörungen? Offensichtlich schafft eine Günstlingswirtschaft – Lehre Nr. 3 – den besten Rahmen, um Intrigen etc. zur Blüte zu treiben. Gründe sind vielfältig: Günstlinge, die enttäuscht oder verbannt wurden, die sich mehr erwartet hatten oder die einfach durch neue Günstlinge ersetzt wurden. Geht es am Ende nicht immer um Macht?
Lehre Nr. 4: Wer sich nur noch mit Personen umgibt, die nach dem Munde reden und sich Privilegien erhoffen, wer auf Ja-Sager und Hof-Staat setzt, läuft Gefahr, nur noch eine gefilterte Wahrheit zu hören. Das Syndrom: „Des Kaisers neue Kleider“! Nicht umsonst gab es im Mittelalter die Figur des Hofnarren – der dann oft genug auch für missliebige Meinungen bestraft wurde.
Ganz besonders sind Organisationen bzw. Führungskräfte gefährdet, die sich überheblich gebärden, selbstherrlich agieren, alles sowieso besser wissen oder einfach die Bodenhaftung verlieren. Dann gilt für Organisationen die alte Weisheit: Erst kommt der kulturelle Verfall, dann der wirtschaftliche Verfall. Und für Personen das Sprichwort: Hochmut kommt vor dem Fall.
Milliarden-Schäden durch Verschwörungen
Es wird wohl niemand ernsthaft behaupten, dass es so etwas in Wirtschaft und Arbeitswelt nicht gäbe. Intrigen und Ränkespiele, Verschwörungen und Palastrevolutionen in Organisationen verursachen wahrscheinlich jedes Jahr Milliarden-Schäden durch Produktivitätsausfälle und Reputationsschäden, demotivierte Mitarbeiter und verprellte Kunden – persönliche Beschädigungen nicht mitgerechnet.
Umbrüche, wie aktuell durch die Digitalisierung, machen für aufrührerische Gedanken besonders empfänglich: Da prallen unterschiedliche Führungsphilosophien aufeinander, werden Führungskräfte als „Old School“ diskreditiert, Geschäftsmodelle stehen auf dem Prüfstand, viele meinen mit mehr oder weniger gut gemeinten Ratschlägen mitreden zu müssen.
Darin lauern große Gefahren für die Organisationskultur. Ist deren DNA erst einmal unterminiert, dauert es oft Jahre, sie wieder zu kitten. Wenn überhaupt! Würden Führungskräfte auf mahnende Worte hören oder Aufsichtsräte Warnsignale wahrnehmen, bliebe Organisationen manch‘ unrühmliche Epoche erspart. Aber woran erkennt man Zäsuren in der Organisationskultur?
Erste Anzeichen deuten sich an, wenn am Rande einmal Aussagen auftauchen wie: „Was soll uns schon passieren?“ oder „Wer kann uns was anhaben?“ bzw. „Ach, Müller sitzt doch fest im Sattel!“ oder „Wie lange läuft sein Vertrag eigentlich noch?“ sind oft nur höfliche Umschreibungen für: „Wie lange soll das hier noch gehen?“ oder „Wird es nicht langsam mal Zeit?“
Karriere durch Tricksen und Täuschen?
Deshalb stellt sich doch die Frage: Muss es erst soweit kommen? Da viele der Ereignisse nicht öffentlich, sondern in Analogie zum „Eisberg-Modell“ von Ed Schein unter der Oberfläche stattfinden, gelten nach wie vor zwei Botschaften: Erstens, es beginnt immer im Kleinen, mit unternehmenskulturellen Haarrissen, und zweitens an die Kontrollgremien gerichtet: „Es ist die Pflicht, euch zu informieren!“
So lange immer noch Ratgeber für Aufstieg und Karriere machiavellistische und vergleichbare Strategien der Täuschung und des Tricksens empfehlen, sind Organisationen selbst vor Autokraten und / oder Narzissten nicht gefeit. Führungstypen, die so gar nicht mehr in das heutige Bild von einer agilen, partizipatorischen Arbeitswelt passen will.
Würden die Aufsichtsgremien auf den unterschiedlichen Ebenen die Alarmzeichen frühzeitig und richtig deuten, wäre sicherlich schon einiges gewonnen. Das beginnt bereits bei der Berücksichtigung von Werten und Verhalten bei der Auswahl des (Spitzen-) Personals und endet auf der organisationalen Ebene mit der regelmäßigen Reflektion der Unternehmenskultur.
Deshalb wird die renommierte Klagenfurter Wirtschaftspsychologin Linda Pelzmann nicht müde, immer wieder auf die so wichtige Aufarbeitung des Verhaltens einer Person in heikler Situation hinzuweisen. Zeigt sich doch gerade dann, wie besonnen oder tyrannisch manch einer reagiert. Diese als Critical Incidence-Methode bekannte Vorgehensweise hat sich bewährt.
Gefährliche Cliquen-Bildung
Gleichzeitig gilt es immer wieder, Eigendynamiken innerhalb der Organisation zu analysieren und Prozesse zu hinterfragen. Wie konnte es überhaupt zu solchen Situationen kommen? Wie kam unter Umständen eine inkompetente oder den Werten der Organisation abträgliche Führungsperson ans Ruder? Gibt es nicht Aufsichtsräte, Personalausschüsse, Talent Pools, Wegbegleiter etc.?
Die bereits oft ausgezeichnete Firma HILTI hat daher seinen Verwaltungsrat aktiv in Analyse und Arbeit zur Verbesserung der Organisationskultur mittels der „Culture Journeys“ eingebunden. Ebenso begrenzt das Unternehmen zudem mit Altersgrenzen für ihr Führungspersonal die Zugehörigkeit in Führungsgremien und damit schädliche Cliquen-Bildungen.
Hilfreich sind auch regelmäßige Kultur-Analysen mit Tiefeninterviews auf allen Ebenen durch Externe. Mitarbeiterbefragungen sind hier nur bedingt einsetzbar. Wichtig ist es bei den Tiefeninterviews vor allen Dingen zwischen den Zeilen zu hören. Oft verbergen sich hinter Ironie oder süffisantem Lächeln, Stirnrunzeln oder langer Pause schon wichtige Botschaften.
Darüber hinaus muss es aber durch eine sorgfältige Personalauswahl gelingen, Narzissten, Autokraten etc. in der Führung zu vermeiden. Ansonsten gilt die Maxime: Nicht lange warten, sondern so früh wie möglich konsequent handeln! Auch als Abschreckung für andere.
Willkommen am „Point of no Return“
Was aber, wenn sich erst einmal ein defizitäres System etabliert hat? Wenn sich eine Person von der Organisation, deren Ziele und vor allen Dingen deren Werte abwendet? Dann stellt sich die schwierigste aller Fragen für eine Person: die Gewissensfrage! Der Wiener Ethik-Professor Markus Scholz nennt es den „Point of no Return“, den jeder für sich selbst definieren muss.
Am Ende kommt niemand darum herum, mit sich selbst auszumachen, wo moralische Grenzen überschritten werden, ob und wann die Zeit zum Handeln gekommen ist, ob die Mittel angemessen sind und die Sache gerechtfertigt ist. Es gilt zu hoffen, dass in Organisationen auf die kulturell so empfindliche digitale Transformation besonnen reagiert wird.
Der Schaden könnte irreparabel sein.
Kommentar verfassen