Das Ding mit dem Homeoffice … (Teil 5)
„Wenn Krisen ehrlich machen …“ – es war nicht nur der Titel unseres digitalen Camp Q – der Leadership-Konferenz für Querdenker am 16. Juni 2020. Wir als Team des Kompetenzzentrums haben es auch als Einladung an uns selbst verstanden, uns Gedanken zu unseren Gefühlen und Einschätzungen zur Coronakrise aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu machen. Entstanden ist ein Kaleidoskop aus fachlichen Betrachtungen und persönlichen, oft einfühlsamen Eindrücken. Denn, diese Krise hat viele Gesichter. Aber vor allem verbergen sich dahinter Menschen … Mit mehreren Blogbeiträgen möchten wir nicht zuletzt dazu einladen, sich mit eigenen Gedanken zu beteiligen.
In den vergangenen Wochen gab es viele Möglichkeiten, sich mit Beschäftigten und Führungskräften in Unternehmen und Organisationen auszutauschen, sei es im direkten Telefonat oder in einer der vielen digitalen Konferenzen. Dabei zeigen sich einige altbekannte Problematiken zum Thema Führung wie durch ein Brennglas noch einmal deutlicher als sonst.
Es ist kein Geheimnis, dass viele Führungskräfte der Ansicht sind, Mitarbeiter würden nur dann arbeiten, wenn sie körperlich im Betrieb anwesend sind und regelmäßig kontrolliert werden (können). Homeoffice war vor der großen Krise vielen Führungskräften ein Dorn im Auge. Die Sorge, dass die Mitarbeiter daheim die Füße hochlegen und alles andere tun außer arbeiten, war weit verbreitet. Die Kritik an dieser Anwesenheitskultur im Gegensatz zu einer Leistungskultur ist seit Langem groß. Sie entspricht schon lange nicht mehr den Grundsätzen moderner Führung und Unternehmenskultur. Obwohl viele Unternehmen nach außen hin Flexibilität, agiles Arbeiten, moderne Organisationsstruktur und neue Arbeitswelten propagieren: Konfrontiert mit dem Wunsch von Mitarbeitern nach mehr Flexibilität, mobilem Arbeiten und Homeoffice waren Unternehmen oft sehr findig darin, Gründe technischer oder organisatorischer Art anzuführen, die dagegensprachen.
Umso erstaunter waren dann alle, als es ja doch ging. Organisatorisch zumindest. Groß war dann auch der Jubel derjenigen, die seit Langem für mehr Digitalisierung und Flexibilisierung kämpfen und nun all jene Lügen strafen konnten, die bisher mit eher fadenscheinigen Ausreden eine Flexibilisierung des Arbeitsortes verhindert hatten. Aber ist dieser Jubel berechtigt? Macht es wirklich keinen Unterschied, ob alle oder ein Großteil der Belegschaft eines Unternehmens einzeln im Homeoffice, im Park oder im Café sitzt? Tut das den Menschen und einer Unternehmenskultur gut? Und was bedeutet das für Führung?
Nach Wochen im Homeoffice keimt die Erkenntnis, dass Homeoffice tatsächlich technisch und organisatorisch weit besser funktioniert, als viele gedacht haben, aber auch eine Kehrseite hat, die nicht unterschätzt werden sollte.
Mobiles Arbeiten, oder momentan eher Homeoffice, ist grundsätzlich eine gute Sache. Man kann sich selbst organisieren und Vieles erledigt sich mindestens ebenso gut, manch konzentriertes Arbeiten sogar besser als in einem wuseligen Büro. Aber die Dosierung ist wichtig. Ausschließlich isoliertes Arbeiten liegt nicht Jedem. Für viele Beschäftigte besteht im Homeoffice mehr als im Betrieb die Gefahr der Entgrenzung. Wenn der Laptop und das berufliche Mobiltelefon ständig in Sichtweite sind, ist die Gefahr groß auch außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit noch schnell etwas zu erledigen. Viele Selbstständige kennen das, es braucht mehr Disziplin als bei festen Arbeitszeiten vor Ort im Betrieb. Dieser Trend ist zwar seit Einführung der mobilen Geräte in den letzten Jahren ohnehin gestiegen, bekommt jetzt aber noch einmal eine neue Dimension. Oft haben Beschäftigte kein Arbeitszimmer und behelfen sich mit Küchen- oder Esstisch.
Hinzu kommt: Online-Konferenzen sind deutlich anstrengender als Präsenzsitzungen. Man konzentriert sich anders, wenn man die Teilnehmer nicht persönlich vor oder neben sich hat und realer Austausch und Begegnungen sind immer persönlicher als das digital möglich ist. Der persönliche Austausch fehlt sowohl auf der menschlichen als auch auf der beruflich fachlichen Ebene. Man kann durch Telefonate oder Video Gespräche Kontakt halten, aber menschliche Nähe nicht ersetzen.
Vertrauen und Wertschätzung ist die Basis für eine motivierende Arbeitsatmosphäre und Unternehmenskultur. Dies entsteht durch regelmäßigen Austausch, Gespräche, auch mal jenseits des Beruflichen, zwischen den Mitarbeitern, aber auch mit dem Vorgesetzten. Digital ist dies nur begrenzt möglich. Wenn jeder immer nur allein vor seinem Laptop sitzt, droht die Unternehmenskultur auseinanderzufallen. Für spontanen Austausch fehlt die Gelegenheit, Gespräche gibt es ausschließlich zu festgelegten Terminen. Kommunikation ist erschwert. Der sogenannte „Flurfunk“, der die informelle Informationsquelle über betriebsinterne Vorgänge ist, findet nicht statt. Mitarbeiter, die nicht an vielen Online-Konferenzen teilnehmen, erfahren kaum noch, was die Kollegen und die Unternehmensführung umtreibt. Dies spaltet die Belegschaft in Informierte und Nichtinformierte. Wenn jeder allein für sich ist, gibt es irgendwann keinen Zusammenhalt, kein „wir“ mehr. Beschäftigte aller Branchen haben in den letzten Wochen viel geleistet. Strategien und Produkte an die veränderten Umstände angepasst, analoge Veranstaltungen in digitale umgewandelt und sich viel technisches Wissen neu angeeignet. All diese Anstrengungen waren aber nur möglich, weil die Beschäftigten zumeist gemeinsam an einem Strang gezogen haben.
Sicher gibt es Beschäftigte, die die Möglichkeit nicht in den Betrieb zu gehen zur Ausdehnung ihrer Freizeit nutzen, statt ihre Arbeit zu erledigen. Entgegen der Ansicht vieler Führungskräfte arbeiten aber die meisten Beschäftigten im Homeoffice tatsächlich, und das häufig sogar mehr als sonst. Man könnte nun meinen, und die Hoffnung war groß, dass Führungskräfte der oberen und mittleren Ebene jetzt, wo sie gewissermaßen zwangsweise Erfahrung mit dem Homeoffice ihrer Mitarbeiter machen, erkennen, dass sie bisher geirrt haben; dass sie ein positiveres Bild von mobilem Arbeiten gewinnen und daher künftig offener für die Umsetzung auch ohne Krise sind.
Das ist auch bei Manchen sicher der Fall. Aber das Vertrauen vieler Führungskräfte in ihre Mitarbeiter diesbezüglich fehlt offenbar noch immer. Obwohl in Unternehmen die Abläufe funktionieren und die Arbeit erledigt wird, haben viele Führungskräfte ein Problem mit dem Kontrollverlust. Mitarbeitern, die sie nicht körperlich vor sich sehen, vertrauen sie nicht genug, um anzuerkennen, dass diese arbeiten. Schlimmer noch: Statt die trotz Krise funktionierenden Arbeitsabläufe mit der Arbeit der Beschäftigten im Homeoffice in Verbindung zu bringen, sind sie der Ansicht, der Betrieb funktioniere offenbar auch mit deutlich weniger (sichtbaren) Mitarbeitern und spekulieren mehr oder weniger offen über Entlassungen. Nach wochenlangem Homeoffice fangen nun viele Unternehmen an, erleichtert aber unreflektiert, die Präsenz ihrer Mitarbeiter wieder anzuordnen. Die Hoffnung, dass sich mobiles Arbeiten nach der Krise etabliert haben wird, ist wohl eine Illusion.
Klar ist: Führung in dieser Zeit ist eine schwierige Aufgabe. Neben dem herausfordernden Geschäftsbetrieb in unsicheren Zeiten ist der Zusammenhalt des Teams aus der Ferne, ohne einzelne Mitarbeiter zu verlieren, eine anspruchsvolle Aufgabe für Führungskräfte, die mehr Intuition und Menschenkenntnis und vor allem Kommunikation braucht als in ruhigen Zeiten. Es braucht aber auch einen reflektierten Umgang mit der eigenen Angst vor Kontrollverlust. Erfolgreiche Führung in Krisenzeiten gelingt nur mit einer mitarbeiterorientierten, offenen und von gegenseitigem Respekt geprägten Unternehmenskultur. Vertrauen in die Mitarbeiter ist dafür unerlässlich. Wo das fehlt, wird die Motivation der Mitarbeiter sehr bald schwinden.
Weitere Blogbeiträge zur „Coronakrise“ finden Sie hier:
Teil 1 „Opa, wie war das noch damals mit dieser Krise …“
Teil 2 „Krisenmanagement und Corona – Wenn der Schwarze Schwan zuschlägt“
Teil 3 „Wie ich die Coronakrise wahrnehme …“
Teil 4 „Gibt es DIE Corona Zeit? Hier ist meine.“
Kommentare
Sehr geehrte Frau von Würzen,
Sie haben einen sehr treffenden und schlüssigen Analysebericht über das
Arbeiten im Homeoffice geschrieben. Ich stimme weitgehend mit Ihnen überein.
Vertrauen ist der Grundwert, auf dem alles menschliche Zusammenleben basiert. Um Vertrauen aufzubauen, ist eine Unternehmenskultur unmgänglich. Unternehmenskultur beinhaltet Emotionen, nur die lassen sich
durch einen Lap-Top nur sehr schwer aufbauen.
Führung muss sich grundsätzlich und verstärkt durch die neuen Gegebenheiten
in den Gesellschaften (Wirtschaft und soziales Leben) verändern.
Nur diese Veränderung passiert nicht durch ein Hebel umlegen und alles wird von heute auf morgen sehr viel besser. Bewusstsein verändern verlangt tagtägliches hartes Arbeiten. Hierbei ist die Kommunikation ein entscheidender Faktor. Diese Kommunikation ist im direkten menschlichen Kontakt (in die Augen
schauen) sehr viel erfolgversprechender als digital.
In meinen Blog-Beiträgen, für Ihr Haus, habe ich meine Erfahrungen zum Thema
Führung ansatzweise aufgezeigt.
Beste Grüße
Dr. Joachim Bußmann
Sehr geehrter Herr Bußmann,
Danke für Ihren Beitrag – und für Ihre immer sehr wertvollen Beiträge! Lassen Sie uns gemeinsam weiter an den Themen arbeiten.
Herzliche Grüße
Barbara v. Würzen
Eine grossartige Zusammenfassung der gegenwärtigen Situation ! Sicher ist ein permanentes Home Office keine adäquate Lösung aber die Flexibilität sollte bleiben. Was steht wirklich hinter den Argumenten der Präsenzkultur ? Bewahren des Status Quo oder Hierarchiedenken ? Oder ist es die Herausforderung das ich als Führungskraft nun die Prozesse kennen muss, um zu wissen was ich wann und wie erwarte ? Home Office erfordert mündige Mitarbeiter, Selbstorganisation der Mitarbeiter, Vertrauen, Kommunikation und Interaktion zwischen allen. Als Einzelner im Team einen Platz einnehmen. Wenn ich das als Führungskraft erreiche kann, dann ist das für mich die Idealtypische Führungsrolle und zahlt sich langfristig auf den Unternehmenserfolg aus. Nicht einfach aber machbar !
Liebe Frau Daus, vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Tatsächlich ist Führung gerade jetzt eine anspruchsvolle Aufgabe, wie Sie sagen: nicht einfach, aber machbar. Schwierige Zeiten wirken da wie ein Brennglas und es zeigt sich sehr deutlich, wer wirklich eine gute Führungskraft ist.
Führung fängt immer bei einem selbst an. Somit ändert sich nur etwas, wenn Führungskräfte an sich selbst arbeiten und Vertrauen schenken. Massives home office funktioniert dort gut, wo dieses Vertrauen vorhanden ist. Gab es das vorher nicht, kann es natürlich nicht plötzlich entstehen.
Die Führung auf Distanz ist eine Selbstverständlichkeit in der internationalen Zusammenarbeit. Diese Erfahrungen lassen sich gut auf den lokalen Kontext übertragen: zum Kennenlernen und Aufbau von Vertrauen ist Präsenz wichtig. Kennt man sich gut und vertraut man sich, funktioniert Führung auf Distanz sehr gut. Die Mischung macht es.
Lieber Herr Dr. Hettich, herzlichen Dank für Ihre wertvolle Ergänzung. Sie haben absolut recht.