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Führung in der Krise – Sind CEO´s systemrelevant …? (Teil 9)

„Wenn Krisen ehrlich machen …“ – es war nicht nur der Titel unseres digitalen Camp Q – der Leadership-Konferenz für Querdenker am 16. Juni 2020. Wir als Team des Kompetenzzentrums haben es auch als Einladung an uns selbst verstanden, uns Gedanken zu unseren Gefühlen und Einschätzungen zur Coronakrise aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu machen. Entstanden ist ein Kaleidoskop aus fachlichen Betrachtungen und persönlichen, oft einfühlsamen Eindrücken. Denn, diese Krise hat viele Gesichter. Aber vor allem verbergen sich dahinter Menschen … Mit mehreren Blogbeiträgen möchten wir nicht zuletzt dazu einladen, sich mit eigenen Gedanken zu beteiligen.


 

Die Boulevard-Zeitung verkündet: „Impfstoff gegen Corona rettet Leben!“ Es wäre zunächst – in diesem Fall rein fiktional – die gute Nachricht: Endlich existiert ein verlässlicher Impfstoff gegen Covid-19! Es würde aber eine zu erwartende Pointe fehlen, wenn nicht auf den Fuß auch eine schlechte Nachricht folgen würde: Der Impfstoff reicht nicht für alle!

Was im Verteilungsmechanismus zwischen Ländern schon zu langwierigen Aushandlungsprozessen mit Schwierigkeiten und Streitigkeiten führen könnte, würde dann wohl auch als Allokationsproblem vor den analogen oder virtuellen Werkstoren nicht haltmachen.

Entscheidungen zwischen Ethik und Ökonomie?

Damit würden sich für das Führungspersonal gleich mehrere gravierende Fragen zwischen Betriebswirtschaft, Organisationstheorie und Ethik stellen: Wenn der Impfstoff nicht für alle Mitarbeitenden reicht, welche Personen soll man auswählen? Nach welchen Kriterien? Wer und was ist systemrelevant?

Undenkbar? Eine solche Situation hätte sich fast bei der Vogel- und Schweinegrippe 2005 bzw. 2009 ergeben. Denn das Medikament Tamiflu wäre im schlimmsten Fall nicht uneingeschränkt verfügbar gewesen, weil nicht lange haltbar und damit nicht lange im Voraus auf Vorrat produzierbar.

Es wäre gerade jetzt an der Zeit, darüber nachzudenken, wie man mit solchen Situationen umgeht, bevor ein neuer Schwarzer Schwan in der Zukunft alles durcheinanderwirbeln könnte.

Denn man möchte sich nicht ausmalen, was für Diskussionen oder Schachereien angesichts von Engpässen möglicherweise in Organisationen hätten entstehen können. Wer sich mit einem Mal als wichtig generiert. Wer unter Umständen bereit gewesen wäre, Entscheidungen nachzuhelfen.

Nicht zu vergessen und zu unterschätzen der Abwägungsprozess zwischen persönlichen Sympathien im Alltag und beruflichen Notwendigkeiten im Betriebsablauf, zwischen der Aufrechterhaltung professioneller Führungsstrukturen oder dem Prinzip „Family & Friends“ in der Governance etc.

Wer entscheidet, wer systemrelevant ist?

Am Ende stünde vielleicht sogar die Frage: Wie systemrelevant ist denn eigentlich der CEO bzw. ein einzelner oder gar der gesamte Vorstand? Berichten nicht Führungskräfte immer wieder mal von dem komischen Gefühl, dass dann, wenn Chef oder Chefin nicht da sind, der Laden genauso weiter oder sogar besser läuft?

Vielleicht erinnert sich noch jemand an eine ältere Filmkomödie, in der drei Sekretärinnen ihren despotischen Chef kidnappen, sie an seiner Stelle nun Entscheidungen fällen, um schließlich als Vorzeige-Organisation wegen der humanen Unternehmenskultur ausgezeichnet zu werden.

Die Coronakrise mit ihren Beschränkungen und Schutzmaßnahmen stellt wie unter einem Brennglas die Frage nach der Systemrelevanz einzelner Abteilungen, Funktionen und Personen. Mit anderen Worten: Es verlangt nach Prioritäten mit Bewertungen abseits von Hierarchie und Position.

Damit stünde gleich eine nicht unerhebliche Frage im Raum: Wer entscheidet überhaupt über „Systemrelevanz“? Der Vorstand? Der Aufsichtsrat? Die Gesellschafter oder gar Aktionäre? Der Markt und die Kunden? Oder basisdemokratisch die gesamte Belegschaft? Oder HR? Oder alle Stakeholder gemeinsam?

Welche gesetzlichen Grundlagen gäbe es überhaupt für die Entscheidungen? In welcher Weise verpflichten Aktienrecht, HGB etc. zum Handeln in die eine oder andere Richtung? Corporation first? Hehre Leitbilder einer Organisation geraten in solch´ einer Krisensituation auf den Prüfstand.

Ändern sich Machtverhältnisse durch die Krise?

Wie unabhängig kann ein Entscheidungsprozess zu solch´ essenziellen Themen für Unternehmen, Institutionen und Person wirklich stattfinden? Wer kontrolliert ihn? Wie sind die Machtverhältnisse in der Organisation? Wie verschieben sie sich durch Krisen? Wer bestimmt die Einhaltung der Werte?

Erste Studien bestätigen, dass sich in Organisationen Macht-Konstellationen durch Krisenstäbe und Expertentum verschieben. Seit Max Weber ist bekannt, dass einmal institutionalisierte Bürokratien ein Eigenleben führen: Geben sie ihre Macht nach der Krise aber wieder ab? Gleichzeitig stellt das Homeoffice das Vertrauen zwischen Führung und Belegschaft auf die Probe.

Traditionelle Macht und angestammter Status drohen zu erodieren und Erwartungen an neue Führungsmodelle werden befördert – wie es Barbara von Würzen in ihrem Blog darlegt. Können sich diese neuen Arbeitsformen etablieren oder gibt es ein Zurück zu alten Strukturen.

Die Definition von Systemrelevanz ist also nicht trivial. Sie beschränkt sich natürlich nicht auf die Coronakrise oder die Verteilung eines Impfstoffes. Sie greift tief in die Führungsstrukturen und Machtverhältnisse einer Organisation ein. Sie stellt die Frage nach der Daseinsberechtigung.

Wenn Krisen ehrlich machen …

Wenn Krisen ehrlich machen, wie es das diesjährige Camp Q 2020 im Titel formulierte, dann gehört dazu auch die Frage nach der Systemrelevanz vor, während und vor allen Dingen nach der Krise. Wer trägt wirklich zu etwas bei? Wer übernimmt Verantwortung? Und was bedeutet das für Führung?

Nicht umsonst gab es schon immer den Begriff der „Hausmacht“. Wer es bisher verstand, die internen Regeln und ungeschriebenen Gesetze einer Organisation für Bündnisse etc. und damit für sich zu nutzen, konnte sich auf der Gewinner-Seite fühlen. Aber wie lange noch?

Die Krise hat hier ehrlich gemacht. Organisationen merken mit einem Mal, dass vieles in der herkömmlichen Form so nicht mehr gebraucht wird. Dass es eben nicht systemrelevant ist. Manche beginnen bürokratischen Ballast abzuwerfen und Prozesse und Hierarchien zu hinterfragen. Natürlich nutzen andere die Krise auch zur Umsetzung bereits für sinnvoll erachteter Entscheidungen. Insofern hat eine Krise auch einen Legitimationscharakter. Und nun?

Organisationen tun gut daran, alte Trutzburgen der Macht und des Status zu schleifen, Führung breiter, dezentraler und agiler aufzustellen, um flexibler auf Risiken reagieren zu können. Damit gehen andere Anforderungen an Führungskräfte und deren Ausbildung einher.

Auch wenn manche Organisationen und Führungskräfte zur alten Ordnung zurückkehren werden, hinterlässt die Coronakrise Spuren, die sich nicht so einfach wegwischen lassen. Das Geschmäckle verquerer Machtstrukturen und mangelnder Systemrelevanz bleibt und haftet Personen an!

Als systemrelevant bleibt zudem die Person in Erinnerung, die sich nicht in der Krise künstlich aufgeblasen hat, sondern ökonomisch vernünftig, ethisch-moralisch und gesellschaftlich verantwortungsbewusst gehandelt und kommuniziert hat. Auch wenn nicht alles geklappt hat.

Führung ist systemrelevant …

Denn abseits der Folgen durch die Coronakrise zeichnet sich durch die vielfältigen globalen und technologischen Herausforderungen für Unternehmen eine zunehmende Verschränkung ethischer, gesellschaftspolitischer und betriebswirtschaftlicher Fragestellungen und Entscheidungen ab.

Ob bei Betriebsschließungen, Kontrollen der Wertschöpfungskette, Fallstricken bei Produkten oder dem Umgang mit dem Social Media-Shitstorm oder eben einem Impfstoff – die Bandbreite von Entscheidungen, in denen Führung ethisch-moralisch und ökonomisch gefordert ist, bleibt lang.

Führung muss darauf reagieren. Denn die unbekannten Schwäne sind längst nicht mehr nur schwarz, sondern haben viele Schattierungen, wie es Jörg Habich in seinem Blog voraussagt. Der nächste nicht-weiße Schwan wartet also schon auf seine Entdeckung. Aber wie reagieren?

Führung sollte sich darüber im Klaren sein, dass es eine „Comprehensive Risk Map“ braucht, um möglichst viele Risiken abzubilden und vor allen Dingen, in Verbindung zu setzen. Risk Management und Szenariotechnik in der klassischen Form sind out – es gilt zu fragen: „Was wäre, wenn …?“.

Insbesondere gilt es dabei ein Gespür dafür zu entwickeln, wo man noch den „Room for Manoeuvre“ verorten kann, bevor man in den wirklichen Krisenmodus umschalten muss. Denn es gibt immer Frühindikatoren – oft kommt erst der unternehmenskulturelle, dann der wirtschaftliche Verfall.

Außerdem sollte sich jeder Aufsichtsrat nicht allein als Kontroll- und Überwachungsgremium verstehen, sondern sich zu einem Zukunfts- und Ethikrat weiterentwickeln. Denn ein Shitstorm z. B. durch ein als moralisch zweifelhaft angesehenes Krisenmanagement können fatal sein.

In der Führungskräfteentwicklung braucht es eine Art „Ethikrat“ als Tool, wie schon beim Camp Q 2019 erprobt, um zu lernen, verschiedene Perspektiven auszuleuchten. Unterschiedliche Rollen (Ich schlüpfe in die Rolle der „Effizienz“, du in die des „Anstand“) einzunehmen, schafft Sensibilität.

Für die Mitarbeitenden bedeutet das in der Konsequenz eine Personal Social Responsibility durch Selbstreflexion und den Abgleich der eigenen Werte mit der Unternehmenskultur. Systemrelevanz verlangt auch der Belegschaft Diskussionen um Solidarität und Arbeitsethos ab.

Fazit:

Und ja, um die zu Beginn gestellte Frage zu beantworten, CEOs wie auch Vorstände und andere Führungskräfte sind systemrelevant, wenn sie das tun, was ihre ureigenste Aufgabe ist: nämlich zu führen. Wirtschaftlich, ethisch und gesellschaftlich verantwortlich und zum Wohle von Share- und Stakeholder. Und das nicht nur in Krisenzeiten.

 


Weitere Blogbeiträge zur „Coronakrise“ finden Sie hier:

Teil 1 „Opa, wie war das noch damals mit dieser Krise …“
Teil 2 „Krisenmanagement und Corona – Wenn der Schwarze Schwan zuschlägt“
Teil 3 „Wie ich die Coronakrise wahrnehme …“
Teil 4 „Gibt es DIE Corona Zeit? Hier ist meine.“
Teil 5 „Das Ding mit dem Homeoffice …“
Teil 6 „Meine Erfahrungen aus der Zeit in der Coronakrise“
Teil 7 „Ein Virus verändert Alles …“
Teil 8 „Gib´ mir ein V …. Gib´ mir ein U … oder Krisenmanagement by Buchstabensuppe“



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